
Die Björn Steiger Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, die Notfallversorgung in Deutschland zu verbessern. Gerade sieht sie aber so große Defizite im Rettungswesen, dass sie sogar vor das Bundesverfassungsgericht ziehen will. Und auch Studien belegen, dass es große qualitative Unterschiede im Rettungswesen gibt. Dabei gibt es drei große Problemfelder.
Unterschiedliche Standards im Rettungsdienst
In Deutschland hat jedes Bundesland ein eigenes Rettungsdienstgesetz. Und in der Regel liegen die Zuständigkeiten für den Rettungsdienst bei den Landkreisen und Kommunen. Das führt zu einem großen Flickenteppich in der Notfallversorgung. Beispielsweise führen in manchen Landkreisen Notärzte ein Mittel gegen Lungenembolien mit, in anderen Landkreisen täten Notärzte das nicht, berichtet Pierre-Enric Steiger von der Björn Steiger Stiftung.
Auch die gesetzlich vorgeschrieben Zeiten, in denen der Rettungsdienst nach Eingang des Notrufs vor Ort sein muss, variieren stark. Während in einer nordrhein-westfälischen Großstadt der Rettungsdienst binnen acht Minuten vor Ort sein muss, muss er in einer Großstadt in Thüringen erst nach 14 Minuten da sein. In ländlichen Regionen hat der Rettungsdienst in NRW zwölf und in Thüringen 17 Minuten Zeit.
Diese sehr unterschiedlichen Standards führen auch dazu, dass beispielsweise bei Katastrophen Einsatzkräfte zusammenarbeiten müssen, die unterschiedliche Arbeitsweisen und unterschiedliche Ausrüstung gewohnt sind. Insgesamt macht es somit in der Überlebenswahrscheinlichkeit einen Unterschied, wo man beispielsweise einen Herzinfarkt erleidet, sagt Luis Teichmann, Sanitäter, Buchautor und Influencer zum Thema.
Warum die Stiftung klagt
Die Björn Steiger Stiftung sieht den Bund in der Verantwortung, diese Unterschiede auszugleichen. Er könnte das machen, indem er einheitliche Vorgaben für das Rettungswesen bereitstellt. Daher klagt die Stiftung auch vor dem Bundesverfassungsgericht. Sie ist der Auffassung, dass der Bund seiner Aufgabe, die Notfallversorgung der Bürgerinnen und Bürger sicherzustellen, nur unzureichend nachkommt. Dass er kein durchgängig funktionierendes, flächendeckendes Rettungsdienstsystem mit bundesweit vergleichbaren Qualitätsstandards garantiere, verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, sagt Pierre-Enric Steiger von der Stiftung.
Einsätze, die keine Notfälle sind
Der Rettungsdienst ist in Deutschland nur für Notfälle gedacht. Aber häufig rufen Menschen die Notfallnummer 112 an, wenn ihre gesundheitlichen Beschwerden eigentlich ein Fall für den Hausarzt sind. Gerade am Wochenende oder abends, wenn reguläre Arztpraxen geschlossen haben, rufen Menschen den Rettungsdienst wegen sogenannter Bagatelleinsätze, erklärt Autor und Rettungssanitäter Luis Teichmann. Die Zahl der Einsätze sei gestiegen, obwohl die Anzahl der Notfälle gleich geblieben sei. Viele Menschen kennen die Nummer 116 117 nicht – die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes. Diese Nummer ist dafür gedacht, Patienten weiterzuhelfen, wenn kein akuter Notfall vorliegt und keine Arztpraxis zu erreichen ist.
Diese Bagatellfälle binden nicht nur Rettungskräfte, die unter Umständen an anderer Stelle gebraucht würden, sondern blockieren auch die Notaufnahmen. 60 Prozent der Fälle in den Notaufnahmen sind laut Krankenkassen nur ambulant versorgt worden und hätten auch in eine Bereitschaftspraxis gehen können. Zudem wussten demnach 28 Prozent dieser behandelten Menschen, dass sie eigentlich besser in eine Arztpraxis hätten gehen sollen. Sie hätten aber keinen zeitnahen Termin bekommen und seien deswegen in die Notaufnahme gegangen.
Notfallreform als Lösung?
Um Patienten besser zu steuern, hat die Ampel-Regierung eine Notfallreform auf den Weg gebracht. Ein Vorhaben ist es, die Rettungsleitstellen mit der 112 und die Kassenärztlichen Vereinigungen mit der Bereitschafsnummer 116 117 so zu verknüpfen, dass Patienten, die kein Notfall sind, direkt an den hausärztlichen Bereitschaftsdienst weitergeleitet werden können. Zudem sollen für akute Fälle unter der 116 117 flächendeckend und rund um die Uhr Telemedizin oder eine Notdienstpraxis erreichbar sein.
Das Vorhaben ist jedoch nicht unumstritten, da es gut geschultes Personal braucht, welches am Telefon zwischen echtem und vermeintlichem Notfall unterscheiden kann. Das Vorhaben scheiterte vorerst mit dem Ende der Ampel-Regierung.
Fachkräftemangel
Wenn nicht bald etwas passiert, stehe das ganze System vor dem Kollaps, warnt Ralf Bischoni, Rettungsdienstleiter der Malteser NRW. Denn den steigenden Einsatzzahlen kommt der Rettungsdienst mit Blick aufs Personal gar nicht hinterher. Zudem ist die Personal-Fluktuation im Rettungsdienst enorm hoch. Die durchschnittliche Verweildauer im Beruf beträgt sieben Jahre – ein Wert weit unter dem Durchschnitt aller Branchen. Einer der Gründe: unattraktive Arbeitsbedingungen. Neben der häufig mental und körperlich anstrengenden Tätigkeit führt der Personalmangel zu zusätzlichem Stress.
Forderung nach weniger Einsätzen als Ausweg
Weniger Einsätze – das sei der Schlüssel, um mit dem bestehenden Personalstamm zurechtzukommen, meint Christian Karagiannidis, Experte für Intensiv- und Notfallmedizin: „Die zukünftige demografische Entwicklung, plus die immer höheren Einsatzzahlen, machen es gerade jetzt erforderlich, dass wir das System einmal wirklich so grundlegend reformieren, dass wir von den hohen Einsatzzahlen runterkommen.“
mg