Wer bei medizinischen Notfällen, sei es auf der Straße oder in der Wohnung, die Nummer 112 wählt, sollte dies ruhig und überlegt tun. Denn der daraufhin einsetzende Dialog mit der Leitzentrale entscheidet darüber, wie Rettungseinsätze ablaufen. Bei Stichworten wie "Schmerzen in der Brust" oder "Starke Blutung" werden sofort ein Rettungswagen und ein Notarzt auf den Weg geschickt. Bei erkennbar harmloseren Fällen bleibt der Notarzt in der Klinik.
Informationsdefizit der Anrufer
Das klingt plausibel, birgt in der Praxis aber Probleme. Viele Anrufer überschätzen die Gefahr, ein Notarzt vor Ort wäre häufig nicht notwendig. Weil gleichzeitig die Zahl der Einsätze dramatisch steigt, die dafür notwendigen Rettungssanitäter und Notärzte aber fehlen, bleibt für die Teilnehmer des Notfallmedizin Kongresses in Koblenz nur eine Lösung: Das bundesdeutsche Rettungswesen muss reformiert werden. Schritt Nummer eins: Die potenziellen Anrufer der Notfallnummer sollen künftig besser informiert sein.
"Wir müssen auf jeden Fall die Bevölkerung mehr sensibilisieren, dass sie selber beim ersten Kontakt schon sehr, sehr wichtig sind. Das heißt, der Ersthelfer vor Ort, der ist mit entscheidend", so Privatdozent Dr. Jörg Christian Brokmann, Leiter der Zentralen Notaufnahme am Universitätsklinikum Aachen. Wichtig sei in diesem Zusammenhang, dass die Angehörigen oder Passanten aktiv an der Rettung des Patienten teilnehmen.
"Bei lebensbedrohlichen Erkrankungen wie einer Wiederbelebung oder ähnliches bringt es auf jeden Fall sehr viel, wenn er drückt und beatmet, was auf Seiten der Deutschen Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin immer wieder sehr propagiert wird, so dass wir versuchen, das in einfache Worte zu fassen auch für die Laienhelfer."
Digital erreichbare Zentrale
Was freilich nur funktioniert, wenn die Laien für solche Einsätze vorbereitet werden. Der Erste-Hilfe-Kurs für den Führerschein ist keine wirkliche Hilfe. Ohne intensive Nachschulungen verläuft der gut gemeinte Ansatz ins Leere, fürchten die Notfallmediziner.
Schritt Nummer zwei, um die mittlerweile massive Überlastung bei Rettungseinsätzen zu lindern, lässt sich mit den Begriffen "Digitalisierung" und "Vernetzung" umschreiben. Eine Idee, so Dr. Christian Hermanns, Notarzt und Mitglied des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten, bestehe in einer per Bild und Ton ständig erreichbaren Zentrale: "Wo sich Kollegen aus dem Rettungswagen hin schalten lassen können, und da sitzt dann ein Notarzt, beurteilt mit dem Personal vor Ort den Fall und gibt Tipps und Anweisungen, was die machen können, und überbrückt so, wir sagen 'das therapiefreie Intervall', bis der mobile Notarzt vor Ort ist ."
Aufgabe: Einheitliche Honorierung
Oder eben nicht kommt, weil das Team ein minderschweres Problem diagnostiziert hat, das die Klinikkollegen in Ruhe behandeln können. Der dritte Schritt zur Reform des bundesweiten Rettungswesens zielt auf die Leitzentralen, also die Stellen, die auch in Zukunft beurteilen müssen, welche Hilfe vor Ort benötigt wird.
"Dafür brauchen wir eine sehr, sehr gute technische Unterstützung, wir müssen aber auch die Leitstellenmitarbeiter und -mitarbeiterinnen deutlich besser qualifizieren. Wir haben hier aus meiner Sicht noch ein großes Qualitätsdefizit. Profis aus der Leitstelle vergleichen es immer mit Fluglotsen. Der Fluglotse muss auch nicht fliegen können, aber er muss das Geschäft verstehen, und wir brauchen hier Kommunikationstechniken und bessere technische Unterstützung."
Dr. Stefan Poloczek, Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes Berlin. Last but not least - Schritt vier zur Reform des Rettungswesens - müssen die unterschiedlichen Honorierungssysteme aufeinander abgestimmt werden, so Jörg Christian Brokmann aus Aachen. Erst eine Harmonisierung der Honorare, bei der keine der beteiligten Organisationen Vor- oder Nachteile hat, unterstütze die Reform des Rettungswesens.