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Reverenz an den Pasolini-Film

"Salvatore" ist eine merkwürdige Lektüre, die man nicht so schnell vergisst: Zuerst wirkt das Buch wie ein Roman, dann wandelt es sich zur hymnischen Nacherzählung eines Pasolini-Films, um schließlich zum Essay zu werden: eine scharfe Polemik gegen die textkritische Theologie. In der Salvatore-Figur verkörpert Arnold Stadler jene religiöse Sehnsucht, die bei keiner Glaubensgewissheit angekommen ist.

Von Martin Krumbholz |
    Von Arnold Stadlers neuem Buch zu sprechen, heißt über Pasolini zu reden. Über den italienischen Schriftsteller und Filmemacher Pier Paolo Pasolini, den herausragenden Intellektuellen, der nicht nur die Namen der beiden wichtigsten Gründungsväter der katholischen Kirche trägt, sondern sich zeitlebens auch als Katholik verstanden hat - aber eben auch als Marxist.

    1921 wurde er geboren, 1975 in der Nähe von Rom von einem Strichjungen brutal erschlagen - ein Italien und die ganze Welt schockierender Akt. Pasolinis Verfilmung des Evangeliums nach Matthäus, in seiner Strenge und Lakonie ein bewegender Film, löste 1964 eine Kontroverse aus. Stadlers "Salvatore" ist eine Reverenz an diesen Film.

    Das Buch - kein Roman - gliedert sich in zwei oder sogar drei Teile, die nicht durch eine Kontinuität der Handlung verbunden sind, nicht einmal durch eine Einheit der Gattung, sondern nur durch den roten Faden der Begeisterung für den Film von Pasolini.

    Zuerst erzählt Stadler in epischer Form von seinem Protagonisten Salvatore, einem Deutschitaliener der zweiten Generation. Im zweiten Teil erzählt er auf 60 Seiten die Handlung des Matthäus-Films nach, wie Salvatore ihn sieht. Schließlich gibt es auf den letzten 70 Seiten einen kühnen Sprung in eine andere Gattung, den Essay; hier werden in Zusammenhang mit Pasolini und dem Renaissance-Maler Caravaggio, der die Berufung des Matthäus gemalt hat, theologische und zeitgeschichtliche Fragen diskutiert.

    Welchen Stellenwert aber hat die Katholizität Pasolinis heute für Arnold Stadler und dessen jüngstes Buch?

    "Hier könnte ich sagen, dass die Katholizität Pasolinis zwei Aspekte hat, einen formalen Aspekt, aber auch einen inhaltlichen Aspekt. Pasolini ist fasziniert von der Schönheit des Evangeliums desMatthäus, des Evangeliums der Kirche, wie es auch heißt, aber auch von dem, was die Hauptfigur Jesus zu sagen hat. Das hat er übertragen in herrliche, großartige Bilder, zu denen man eigentlich nur noch 'Ja' sagen kann ...

    Aber das genügt ja nicht, und ich wollte eine weitere Übertragung machen - vom Film wieder ins Buch, in meine Sprache letztlich. Von diesem ursprünglichen Plan, alles Wort für Wort in meine Sprache zu übersetzen, habe ich dann wieder abgesehen und habe sehr frei eine Erzählung, die 'Salvatore' heißt, geschrieben - von einem Mann, der in den Film geht und diese Unvergesslichkeit wahrnimmt, was für ihn zu einer unerhörten Begebenheit wird: zu einer Novelle."

    Im zweiten, eigentlich essayistischen Teil des Buchs nähert sich Stadler in sehr persönlicher Weise dem Leben und Wirken Pasolinis: einer Figur, die nichts von ihrer Strahlkraft eingebüßt habe.

    Pasolinis Kritik eines hemmungslosen Konsumismus findet Stadler auch heute aktuell. Habe man allerdings im "Matthäus"-Film eine Partitur der Hoffnung sehen können, sei Pasolinis letzter Film "Salo oder Die 120 Tage von Sodom" so etwas wie ein Widerruf dieser Botschaft: eher eine Partitur des krassen Pessimismus, der Hoffnungslosigkeit. War Pasolini so etwas wie ein Prophet, ein früher Globalisierungskritiker?

    "Nein, er war kein Hellseher, er hat nichts voraussehen können, er war auch kein Wissenschaftler - er hat seine Welt in Bilder gefasst als Dichter und als Filmemacher. Wie die Welt in der Globalisierungskelter verschwindet, ohne dass es den Terminus Globalisierung schon gegeben hätte, das hat er allerdings sehr scharf erkannt. Und es hat ihm leidgetan, auch um sein Italien, das er ja liebte. Er war ja kein Zyniker. Kein Thomas Bernhard."

    Täuscht der Eindruck, dass Arnold Stadler ein wenig den Humor seiner frühen Bücher verloren hat, von "Mein Hund, meine Sau, mein Leben" bis etwa zum "Hinreißenden Schrotthändler"? Ist das Thema zu ernst? Oder gibt es auf dieser Welt am Ende einfach nichts mehr zu lachen?

    "Wie soll ich sagen - es gibt in diesem Buch keine zynischen oder ironischen Komponenten. Es ist eindeutig. Es geht von der Tatsache aus, dass der Mensch Sehnsucht hat, das ist auch der rote Faden. Wie Sie die füllen wollen, das ist allerdings eine ganz andere Frage, und ob Sie am Ende bei der Unfehlbarkeit des Papstes landen - das glaube ich eher nicht."

    "Salvatore" ist unter anderem auch eine Streitschrift des Theologen Stadler gegen die sogenannte "historisch-kritische Theologie", die er auch schon mal historisch-"destruktive" Theologie nennt. Was ist etwa an Luthers Formel "sola scriptura", allein auf die Schrift komme es an, so anstößig - namentlich in den Augen eines Schriftstellers?

    "Die ursprüngliche Hochschätzung der Schrift ist meines Erachtens durch diese Art von Theologie völlig verlorengegangen. Da sind Klemptner am Werk, die wie Automechaniker an der Schrift herumpfuschen, und völlig aus dem Auge verloren haben, was der Text für Luther, der ein großer Sprachmensch war, ein großer, großer Sprachmensch …

    Die späteren Theologen haben diesen Aspekt, dass es sich bei der Bibel um ein Sprachkunstwerk handelt, völlig vergessen. Pasolini wusste das. Pasolini war von der Schönheit dieses Textes und von seinem Protagonisten, nämlich Jesus, fasziniert. Dieser Faszination ist es zu verdanken, dass Pasolini den Film gemacht hat. Und mein Unternehmen geht darauf zurück, dass auch ich fasziniert bin: von dem Film, der von dem Buch fasziniert war, und ich bin von beidem fasziniert, vom Film und vom Buch."

    Was letztlich mit dem anderen Protagonisten, mit Salvatore, zu deutsch "Erlöser", nach der unerhörten Begebenheit - dem großen Erlebnis der Begegnung mit dem Film geschieht - das bleibt offen. Stadlers Erzählung bricht an der Stelle ab, und das mag manchen Leser irritieren. Lässt sich so etwas tief Religiöses schlechterdings nicht erzählen?

    "Sie können nicht alles zu Ende erzählen. Da sind ja zwei immer im Spiel: Da ist der Autor, und da kann man nichts mehr ändern. Und dann kommt der Leser dazu, und es bleibt dessen Imaginationskraft überlassen, wie er damit nach Hause geht. Das ist nicht meine Sache. Da ist der Text dann auch wieder eine Partitur, die der Kunst des Lesens bedarf. Auch der Neigung. Und das wäre dann ein Glück für mich, dass ich die Widmung, die ich dem Buch voranstelle, 'Für die mit der Sehnsucht nach dem ganz Anderen', dass ich die finde: die richtigen Leser."

    Und sind darunter eigentlich auch evangelische Leser?

    "Ich bin überrascht … Ich habe gar nicht gedacht, dass ich katholische Leser habe. Ich habe gute Leser, hoffe ich. Und das sollten Leser sein, die eben nicht wie der analytische Philosoph Quine das Fragezeichen aus dem Typewriter ausgebaut haben. Für die muss das Fragezeichen das wichtigste Zeichen sein in ihrem Kopf."

    Arnold Stadlers: Salvatore,
    S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2008,
    223 Seiten, 17,90 Euro