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Revierkampf der Natur- und Artenschützer

Dass ihm die Umweltbewegung besonders am Herzen, hat den US-Autor T.C. Boyle nie daran gehindert, sie in all ihrer Widersprüchlichkeit vorzustellen. So auch in seinem neuen Okö-Roman, in dem sich Umwelt- und Tierschützer unversöhnlich gegenüber stehen.

Von Johannes Kaiser |
    "Ich bin von den andern Geschöpfen auf dieser Welt und den Ökosystemen fasziniert. Viele Leute verstehen weder die grüne Bewegung noch die Umweltschutzbewegung, weil sie nie Natur erlebt haben. Ich habe schon immer Natur direkt erfahren, viel Zeit draußen verbracht. Mir gefällt es, dort in der Wildnis allein zu sein, die Seele der Erde, unserer Vorfahren und aller unterschiedlichen Arten zu spüren. Was derzeit passiert: Unsere Bedürfnisse und die unserer Technologie führen zur Artenverarmung auf der Erde. All die zauberhaften Arten, die wir entdeckt haben - das es vorbei. Ein Buch wie ‘Wenn das Schlachten vorbei ist’ will einfach nur die Debatte ausweiten und die Leute dazu bringen, über solche Themen nachzudenken. Ich kenne keine Lösung."

    Typisch Boyle ist man versucht zu sagen. Der amerikanische Schriftsteller, ein überzeugter Grüner, hat schon mehrfach in seinen Romanen Umweltthemen aufgegriffen und stets gegen den Strich gebürstet, nicht einfache Antworten präsentiert. Das ist ganz und gar nicht sein Stil. Schlichte, eindeutige Lösungen gibt es eben nicht. Und genau davon, von den Dilemmata des Natur- und Artenschutzes handelt auch sein letzter Roman "Wenn das Schlachten vorbei ist".

    Nicht weit von jenem Ort entfernt, in dem er selbst wohnt, nämlich an der kalifornischen Küste von Santa Barbara und auf den ihr vorgelagerten Inseln spielt sein neues Buch.

    Auf den als Nationalparks ausgewiesenen Inseln ist das ökologische Gleichgewicht der Tier- und Pflanzenwelt massiv gestört, seit in der Vergangenheit von Siedlern fremde Arten eingeschleppt wurden. So haben zum Beispiel auf Anacapa die eingeschleppten Ratten so überhandgenommen, dass seltene, nur hier vorkommende Vogelarten auszusterben drohen. Die Naturschutzbehörde beschließt daraufhin, die Ratten mit Gift auszurotten. Das ruft eine radikale Tierschutzorganisation auf den Plan. Sie protestiert heftig gegen die Tötung der Ratten, scheut selbst vor Sabotageakten nicht zurück. So stehen sich unversöhnlich auf der einen Seite die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Nationalpark-Services Alma sowie ihr ebenfalls dort beschäftigter Freund Tim und auf der anderen Seite der Elektronikladenbesitzer Dave LeJoy, ein fanatischer Tierschützer und dessen Freundin Anise sowie einiger Helfershelfer gegenüber. Figuren wie aus dem Leben gegriffen und tatsächlich regten auch reale Zeitgenossen T.C. Boyle zur schriftstellerischen Ausschmückung an.

    "Es gab tatsächlich so einen radikalen Umweltschützer wie die Figur, die ich erfunden habe. Ich habe von ihm in der Zeitung gelesen. Als die Nationalparkbehörde einen Helikopter einsetzte, um das Gift zu verteilen, das die Ratten töten sollte, ist er tatsächlich mit großen Packungen von Vitamin K-Tabletten, einem Gegenmittel, zur Anacapa Insel herausgefahren und hat sie auf der ganzen Insel verteilt. Er wurde wegen unerlaubter Fütterung des Wildlebens in einem Nationalpark verhaftet. So was kann man gar nicht erfinden, weil es so absurd ist.

    Die gesamte Verkettung von Ereignissen auf diesen Inseln ist absurd, aber sie ist außerdem auch sehr aufschlussreich. Wenn man ein geschlossenes Ökosystem hat und der gesamte Globus ist in zunehmendem Maße ein geschlossenes Ökosystem, wenn man da entweder absichtlich oder unabsichtlich Arten wegnimmt oder hinzufügt, dann löst man eine Kaskade von Ereignissen aus, die man gar nicht vorhersehen kann. Ich habe also diesen Kerl nie getroffen. Ich wusste nicht, wer er ist - einfach nur ein Name in der Zeitung. Aber im letzten Herbst war ich bei der öffentlichen Premiere eines Films, der auf einem meiner Romane basiert, und anschließend kam jemand aus dem Publikum auf mich zu und sagte: ich bin Dave LeJoy und er war tatsächlich dieser Kerl. Ich vermute, ihm gefiel, dass ich das, was er getan hatte, veröffentlicht hatte, obwohl die Figur, ich erfunden habe, extrem unsympathisch ist."

    Boyles Dave ist tatsächlich ein fanatischer Kotzbrocken - anders kann man ihn kaum bezeichnen -, der Widerspruch nicht erträgt, herrsch- und rachsüchtig ist, nie aufgibt, sich selbst bei Kleinigkeiten in Wutanfälle steigern kann, wie seine Gegenspielerin Alma sehr frühzeitig miterlebt. Bevor die beiden zu unversöhnlichen Feinden werden, treffen sie sich zu einem Abendessen. Dave bestellt den teuersten Weine auf der Karte, nur um ihn nach dem Öffnen als Fusel zurückzuweisen. Bei der zweiten Falsche dasselbe Spiel.

    "Alma wusste nicht, was sie tun sollte... Er war derjenige, der zahlte - er hatte sie eingeladen-, und so musste sie sich fügen. Aber er war zweifellos unhöflich, nein, ungehobelt und zwar ohne jeden Grund. Absolut ungehobelt. Er sagte nicht Abmilderndes, weder ‘Entschuldigung, es tut mir leid, und ich weiß, dass das nur sehr selten vorkommt, aber’ ... noch ‘er muss gekippt sein’, sondern machte nur eine Bewegung aus dem Handgelenk, als würde er ein lästiges Insekt verscheuchen, und vertiefte sich abermals in die Weinkarte. Diesmal bestellte er einen französischen Wein, den zweitteuersten auf der Karte ... Und diesmal sagte LaJoy mit angeekelt verzogenem Mund, ... den Blick fest auf Alma gerichtet: "Essig." ... Das war der Augenblick, in dem sie nach ihrem Sachen griff ... und es war egal, ob es ihre erste Verabredung war oder nicht."

    T.C. Boyle läuft zu satirisch-sarkastischer Hochform auf, gilt es, sich aufbrausende Feuerköpfe wie Dave auszudenken. In all seinen Romanen finden sich solche zynisch-arroganten Machomänner.

    "Dave ist schon was Besonderes und ich weiß, deutsche Männer sind dagegen sehr maßvoll und vernünftig, aber in Amerika haben wir Männer, die einfach nur ständig auf alles wütend sind und nicht wissen, wie sie das ausdrücken sollen und Dave gehört zu dieser Sorte Mann. Er ist die ganze Zeit stocksauer. Ich verspüre in meinen Büchern für Figuren wie Dave oder harte Kerle oder Punks viel Sympathie. Es fällt mir leicht, solche Figuren zu beschreiben."

    Ihm gegenübergestellt ist Alma, die Mitarbeiterin der Naturschutzbehörde, die zwar die Massaker an den Ratten und später auf einer anderen Insel an verwilderten Schweinen zu verantworten hat, aber dennoch eine eindeutig sympathischere Figur ist.

    "Alma hat anders als Dave einige Merkmale einer Person, die ich sehr gut kenne, einer Biologin auf der Insel. Ich hab aber so viel dazu erfunden, dass sie nicht einfach wiederzuerkennen ist. Doch ich bin von ihr inspiriert gewesen. Sie ist eine Frau wie Alma, Eltern unterschiedlicher ethnischer Herkunft, sehr schön, promoviert, ein Biologin, sehr kontrolliert, sehr bestimmt, eine großartige Frau."

    All diese Eigenschaften besitzt auch Boyles Alma. Darüber hinaus besitzt seine Protagonistin einen Dickschädel und ist zu Kompromissen nicht bereit. Da trifft sie sich eigentlich mit Dave:

    "Eine Ironie dieses Buches besteht darin, dass beide Seiten, Alma und Dave durchaus Verbündete hätten sein können. Sie hätten eigentlich zusammenarbeiten können, aber da taucht ein weiteres Problem der Umweltbewegung auf: Sie ist zu so einer Art Revierkampf ausgeartet. Wem gehört die Insel? Wer hat das Recht zu kontrollieren, was dort geschieht? In der größeren Welt sind wir versucht, die Natur zu kontrollieren, aber unsere Versuche sind zum Scheitern verdammt, weil wir selbst ein Teil der Natur sind und ihren Gesetzen unterworfen sind."

    Alma ist sich der Schwierigkeit ihres Vorhabens denn auch durchaus bewusst: Die Ausbreitung eingeschleppter Arten in fragile Ökosystemen zu unterbinden, ist eine Sisyphos-Aufgabe. Nur selten gelingt es, einen Eindringling wirklich erfolgreich zu eliminieren. Ist der eine vernichtet, droht eine Invasion des nächsten Fremdlings.

    T.C. Boyle greift hier ein Thema auf, dass uns weltweit beschäftigt. Der globale Handel hat dazu geführt, dass allerorten Pflanzen und Tiere auftauchen, die dort nie gelebt haben und sich so erfolgreich ausbreiten, dass sie einheimische Arten verdrängen. Genau dies ist auf den Inseln vor der kalifornischen Küste passiert. Auf Anacapa waren es die Ratten, auf Santa Cruz Schafe und Hausschweine:

    "Alles, was ich in diesem Roman erzähle, beruht auf Tatsachen. Die Schafe konnten von der Insel entfernt werden, denn sie sind wegen der Wolle ständig hin und her getrieben worden. Also hat man sie gefangen und weggebracht. Die Schweine konnten nicht zurückgebracht werden, weil man befürchtete, sie hätten vielleicht Krankheiten entwickelt, die die Schweine auf dem Festland anstecken könnten. Die Schweine waren vor vielen Jahren zufällig durch Bauern dort hingekommen. Nun waren sie wilde Schweine, die die Umwelt in vielerlei Hinsicht zerstörten. Sie gruben Dinge aus und ermöglichten so invasiven Unkräuter, sich anstelle von einheimischen Pflanzen anzusiedeln. Sie haben außerdem die Eicheln der Eichenbäume gefressen. Dadurch hat sich die gesamte Ökologie der Insel verändert. Man braucht dort Bäume, um die Feuchtigkeit aus dem Nebel herauszufiltern. Wenn man also diese Bäume nicht mehr hat, dann ist alles vorbei, dann wird die ganze Insel zu einer Wüste; und so entschlossen sie sich, diese Schweine zu entfernen, aber dabei gab es gewisse Probleme. Das hat meine Fantasie gestartet."

    Während die Tötung der Ratten von der Öffentlichkeit widerspruchslos hingenommen wird, stoßen die Pläne der Naturschutzbehörde, die Schweine abschießen und anschließend verrotten zu lassen, nicht nur bei Dave und seinen militanten Freunden auf massiven Widerstand. Alma hat also an mehreren Fronten zu kämpfen und genau in dieser Situation entdeckt sie, dass sie schwanger ist. Das Kind bekommen oder abtreiben? –ihr Freund droht sie zu verlassen, will sie es austragen. Das ist wohl durchaus symbolisch zu verstehen und als Metapher anzusehen. In übertragenen Sinne sind auch die Inseln ihr Kind und die Frage lautet: aufgeben oder retten.

    Geschickt weiß der Schriftsteller die Spannung zu steigern, indem er in seinem Roman ständig die Perspektive wechselt: Mal schauen wir Alma über die Schulter und dann wieder Dave. Dabei lässt er jeweils am Ende eines Kapitels über einen der beiden Hauptprotagonisten offen, welche Folgen die gerade geschilderten Ereignisse haben. Da zwischen den einzelnen Abschnitten zudem zeitlich größere Abstände liegen, erfährt man die Auswirkungen auf den Fortgang der Geschichte nur indirekt und quasi verspätet im nächsten Kapitel. Die Auseinandersetzungen eskalieren. Es kommt sogar zu einem tödlichen Unfall und dann zu einem dramatischen Schiffsunglück. Ohne Katastrophen kommt kein T.C.Boyle Roman aus:

    "Ich liebe Katastrophen, denn wir steuern auf Katastrophen zu, individuell wie kollektiv. Wir werden in dreieinhalb Milliarden Jahren verschwunden sein. Das ist nur eine kurze Zeit. Ich wünschte, es würde länger dauern. Alles, was wir sagen können, ist: Retten wir diese besonderen Bedingungen, die es unserer Art erlaubt hat, aufzukommen. Alles wird bald verschwunden sein, weil wir die Voraussetzungen zerstören, die es uns erlauben zu leben. Aber ich habe dafür eine ganz einfache Lösung: Alle Menschen müssen sich, ohne Mogelei, die nächsten 100 Jahre aller sexuellen Beziehungen enthalten und damit ist das Problem gelöst."

    Das ist wieder ein klassischer T.C. Boyle und genauso ist auch sein neuer Roman: Er spricht ernste, grundsätzliche Probleme an, würzt sie aber mit der ihm eigenen Ironie und einer gehörigen Portion Sarkasmus, sodass man sich bestens unterhalten fühlt und dennoch ganz nebenbei in Nachdenken gerät.

    T.Coraghessan Boyle: Wenn das Schlachten vorbei ist
    Aus dem Amerikanischen Dirk von Gunsteren
    Hanser Verlag München 2012
    461 Seiten, 22.90 Euro