Es gibt Bücher, die man empfehlen kann, obwohl einem beim Lesen viele Zweifel kommen. Das aktuelle Sachbuch des Harvard-Biologen und Genetikers David Sinclair ist so ein Fall. Skeptisch macht schon der sensationsheischende Titel: "Das Ende des Alterns. Die revolutionäre Medizin von morgen". Dann liest man erstaunt, dass Altern eine Krankheit sei, die erfolgreich bekämpft werden könne. Dazu präsentiert David Sinclair eine "Informationstheorie des Alterns", nach der fast alles möglich scheint:
"Kein biologisches, chemisches oder physikalisches Gesetz besagt, dass das Leben enden muss. Ja, Alterung ist eine Zunahme der Entropie, ein Informationsverlust, der zu Unordnung führt. Aber potenziell können wir ewig leben, solange wir die entscheidende biologische Information intakt halten und Energie aus irgendeiner Quelle im Universum aufnehmen können."
"Potenziell können wir ewig leben"
Ein Wissenschaftler, der uns Menschen ewiges Leben in Aussicht stellt – da ist natürlich Vorsicht geboten. Doch selbst wenn David Sinclairs Vision unerreichbar bleiben sollte – mit seinem Glauben daran ist der Mann in guter Gesellschaft. Das Forschungsgebiet boomt und Startup-Unternehmen schießen aus dem Boden, die mit Verjüngungskuren viel Geld verdienen wollen. Gemeinsam mit dem Journalistikprofessor Matthew D. LaPlante liefert Sinclair Einblicke in die Labors, verrät wie die Macher ticken und wie sie den biologischen Alterungsprozessen ein Schnippchen schlagen wollen. Die Grundlagen dafür liefern neueste Erkenntnisse der Genetik.
"Die meisten meiner Kollegen sprechen von »Langlebigkeitsgenen", weil man nachweisen konnte, dass sie bei vielen Lebewesen sowohl die durchschnittliche als auch die maximale Lebensdauer verlängern können. Aber solche Gene machen das Leben nicht einfach nur länger, sondern sie machen es auch gesünder. Wenn wir in der Lage sind, alle diese genetischen Mechanismen zu steuern, werden sich die Medizin und auch unser Alltagsleben grundlegend wandeln."
Die Genforschung weist den Weg
Die Autoren schildern die verschiedenen Ansätze, biologische Alterungsprozesse zu kontrollieren, sehr detailliert. Streckenweise muss man sich mühsam durch biochemische Fachbegriffe kämpfen und wird mit Langlebigkeitsregulatoren wie Sirtuinen, AMPK oder mTor konfrontiert. Bildliche Darstellungen fassen den komplexen Stoff aber immer wieder einprägsam zusammen. Und Anekdoten und steile Thesen animieren zum Weiterlesen. Am Ende weiß man viel darüber, wie Altern mit Krankheit zusammenhängt und was man tun sollte, um möglichst lange gesund zu leben. Man kennt die Argumente jener, die glauben, dass wir bald 120 oder 160 Jahre alt werden können. Und ist darüber im Bilde, welches Maß an Selbstdisziplin und permanenter Gesundheitsüberwachung uns das abverlangen würde.
"Eigentlich gibt es keinen Grund, warum nicht auch kleinere Körperschmuckstücke - insbesondere solche, die durch die Haut dringen – zur Messung vieler tausend Biomarker genutzt werden können. Dann wird jedes Familienmitglied - Großeltern, Eltern und Kinder- vermessen. Selbst Säuglinge und vierbeinige Hausgenossen werden solche Überwachungsgeräte tragen."
Die Pläne der Forscher faszinieren - und irritieren
Das Buch provoziert und polarisiert – und ist insofern eine gute Entscheidungshilfe bei der Beantwortung einer existenziellen Frage: Inwieweit wollen wir die Visionen von Forschern teilen, die daran arbeiten, Menschen unsterblich zu machen?
Zielgruppe: Alle, die bewusst älter und gesünder werden wollen.
Erkenntnisgewinn: Die Grenzen des Alterns lassen sich womöglich beeinflussen, aber vieles ist noch Zukunftsmusik und die möglichen Nebenwirkungen sind kaum erforscht.
Spaßfaktor: Ein aufwühlender Mix aus fundierten Informationen und kühnen Thesen, die zum Widerspruch reizen.
David A. Sinclair und Matthew D. LaPlante: "Das Ende des Alterns. Die revolutionäre Medizin von morgen"
Aus dem Englischen übersetzt von Sebastian Vogel
Dumont-Verlag, 512 Seiten, 26 Euro
Aus dem Englischen übersetzt von Sebastian Vogel
Dumont-Verlag, 512 Seiten, 26 Euro