Grill: „Bauernsterben“
Wie Profitgier unsere Lebensgrundlagen vernichtet

In seinem Buch „Bauernsterben“ warnt der Journalist und Bauernsohn Bartholomäus Grill vor dem agrarindustriellen Komplex und dessen Wachstumsideologie. Dieser führe einen Krieg gegen die Natur - und damit auch gegen alle Menschen und sich selbst.

Von Brigitte Neumann |
Ein Blick von oben auf ein Spargelfeld mit fünf nebeinander herfahrenden Traktoren in Hessen.
In der modernen Landwirtschaft stecke eine tief verwurzelte Wachstumsideologie, schreibt der Journalist Bartholomäus Grill. (picture alliance / imageBROKER / Martin Moxter)
Da sei ein Kampf im Gange, ein Kampf um fruchtbare Böden, um Wasser, um Macht. Es sei ein Kampf auf Leben und Tod, geradezu ein Krieg, und dieser Krieg überziehe die ganze Welt, so Bartholomäus Grill in seinem neuen Buch „Bauernsterben“. Er berichtet von einem mafiösen Filz. Die Akteure – Politiker, Pestizidhersteller, Lobbyisten, Saatgutmonopolisten, Banken, Landmaschinenhersteller, Großgrundbesitzer – handelten überall nach dem gleichen Muster: „Das Muster kann man nennen: Die sogenannte grüne Revolution, die in der Nachkriegszeit begann, ganz intensiv in den 60er-Jahren. Das war eine Revolution in der landwirtschaftlichen Produktion.“

Die Macht des agrarindustriellen Komplexes

Neu gezüchtete Nutztierrassen brachten mehr Eier, Milch, Fleisch. Kunstdünger vervielfachte die Ernteerträge. Gifte gegen Insekten und Unkräuter führten zu störungsfreiem Wuchs der Ackerfrüchte. Die Öffnung der Weltmärkte ermöglichte Ländern ohne viel Fläche - wie zum Beispiel den Niederlanden - die Aufzucht großer Massen Vieh und Geflügel, indem sie Tierfutter in großem Stil aus Indonesien und Brasilien zukauften. In diesen Ländern würden dann aber entsprechend weniger Pflanzen für die menschliche Ernährung angebaut, erinnert Bartholomäus Grill:
„Und dieses Muster hat irgendwann den ganzen Planeten erfasst. Der agrarindustrielle Komplex hat eine ähnliche Macht wie der militärisch-industrielle Komplex. Und er führt auch – das nenne ich so – er führt auch Krieg. Nämlich Krieg gegen die Natur und gegen sich selbst, weil die industrielle Landwirtschaft sich die eigenen Grundlagen zerstört.“
Folge dieser „Kriegsführung“ sei zum Beispiel eine fortgeschrittene Bodendegradation, das heißt, dass die Produktivität der Böden allmählich sinkt. Weltweit habe bereits die Fruchtbarkeit von etwa 40 Prozent der Ackerflächen nachgelassen, so Grill. Humus gehe verloren, und zwar durch Wind, Ausschwemmung, Überdüngung, Bodenverdichtung: „Das sind sehr komplexe Prozesse. Jedenfalls der Humus ist ja diese dünne Schicht von ungefähr 30 Zentimetern, die auf der Erde wie eine Haut liegt - und von diesen 30 Zentimetern leben wir.“
Bartholomäus Grill schöpft für sein Buch „Bauernsterben“ aus seiner Erfahrung als bayerischer Bauernbub, dessen Eltern den Hof aufgeben mussten und seinem Fundus von Korrespondentenberichten der letzten 30 Jahre im Auftrag von „Zeit“ und „Spiegel“. Dafür recherchierte er in Tadschikistan, Brasilien, Polen, auf den Philippinen, in den USA. Von dort berichtete er 1989 über die US-Bewegung des Family Farming - Biolandwirte, die in kleinen Einheiten produzieren.
Dem stellt Grill die Maßstäbe der industriellen Landwirtschaft gegenüber: „Man hat den Landwirten und Landwirtinnen über Jahrzehnte eingebläut: wachse oder weiche. Und man musste sich vergrößern, weil der Preisdruck enorm war. Die Preise werden diktiert von Molkereiketten, von Discountern, von Supermärkten. Um überhaupt rentabel zu produzieren, die Gestehungskosten hereinzuwirtschaften, muss man wachsen. Das heißt, man hat eben eine tief verwurzelte Wachstumsideologie in der modernen Landwirtschaft, und das ist gleichzeitig das Fatale, denn unsere biologischen Grundlagen sind begrenzt.“

Auswirkungen in Äthiopien

Grills beeindruckendster Bericht stammt aus dem von Hungersnöten heimgesuchten Äthiopien. Die Regierung verweigerte ihm 2011 eine Akkreditierung für das Landesinnere, wo er über die vom damaligen Präsidenten eingefädelten Leasing-Verträge über Ackerland zugunsten von Investoren aus Saudi-Arabien, Indien und China berichten wollte. Es ging um insgesamt 600.000 Hektar. Die Folgen konnte er einige Jahre später erleben:
„Das ist zum Teil verheerend und auch obszön. Da fuhren auf der einen Straßenseite die Nahrungsmitteltransporte der Vereinten Nationen, die Speiseöl und Reis und Weizen zu den Hungernden brachten, und auf der anderen Seite fuhren Schwertransporter zum Hafen von Dschibuti, um eben die Erzeugnisse von gepachteten Agrarflächen zu exportieren. Dieses sogenannte Land-Grabbing hat mittlerweile gewaltige Dimensionen angenommen.“
Bartholomäus Grills Buch „Bauernsterben“ ist das zahlen- und faktengesättigte Werk eines Journalisten, der beschreibt, wie sich die immer gleichen Abläufe auf der ganzen Welt wiederholen. „In der Rückschau auf meine Recherchen in Asien, Lateinamerika und Afrika verschmelzen die armen Dörfer zu einem Schauplatz globaler Ungleichheit“, heißt es an einer Stelle. Das ist die wichtige Botschaft des Buches – Profitgier vernichtet unsere Lebensgrundlage jetzt und überall – und zugleich seine Schwäche.

Das "zornige Buch eines Bauernsohns"

Denn das Bohren des immer gleichen Bretts ist ein sich wiederholender Vorgang. Beim Lesen ermüdet man leicht. Vielleicht wäre es besser gewesen, das Buch etwas größer zu dimensionieren. Die gut 200 Seiten sind für eine Schilderung der Abläufe in der Agrarwirtschaft der gesamten Welt zu wenig. Aber Grill macht mit seinem Überblickswerk und seiner Konzentration auf die materiellen Bedingungen der landwirtschaftlichen Produktion klar, wo der Hebel für Veränderungen angesetzt werden sollte: Nehmt den Agrarkonzernen die Macht, fordert er.
„Es ist ja eigentlich auch – im Französischen sagt man ein ‚Cri de Colère‘. Es ist ein zorniges Buch eines Bauernsohnes, der eben miterlebt hat, wie sich der ländliche Raum verwandelt, wie die Bauern in einem unglaublichen Ausmaß aufgeben müssen. ‚Bauernsterben‘ – deswegen der Titel dieses Buches.“
Aber immer noch lebt die Mehrheit der Bevölkerung im ländlichen Raum, die Mehrheit der Wähler. Sie mögen sich im Alltag machtlos fühlen. Aber alle vier Jahre können auch sie so etwas loslassen wie einen „Cri de Colère“. Demokratische Politiker sollten das endlich ernst nehmen.
Bartholomäus Grill: Bauernsterben. Wie die globale Agrarindustrie unsere Lebensgrundlagen zerstört
Siedler Verlag, 240 Seiten, 24 Euro