Wirtschaftliche Lage
Was bedeutet die Rezession für Deutschland?

Für Deutschland scheint eine Rezession unausweichlich. Doch was sind die Ursachen für den wirtschaftlichen Abschwung? Womit müssen Verbraucherinnen und Verbraucher rechnen – und welche Rolle spielt dabei die Inflation?

    Eine Rentnerin hält einen Geldbeutel mit drei verschiedenen Euromünzen
    Im Zuge der Gaskrise und der erwarteten Rezession müssen sich Verbraucherinnen und Verbraucher auf eine geringere Kaufkraft einstellen. Die Konsumfreudigkeit der Bevölkerung könnte sinken. (picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand)
    Nach Einschätzung der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute steuert Deutschland direkt in eine Rezession. Das haben die Ökonomen bei der Vorlage ihres gemeinsamen Herbstgutachtens am 29. September prognostiziert. Für 2023 rechnen die sechs beteiligten Institute im Jahresdurchschnitt mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent. Noch im Frühjahr waren sie von einem Wachstum von 3,1 Prozent ausgegangen.
    Zwar rechnen die Ökonomen wegen des besseren ersten Halbjahrs für das Gesamtjahr 2022 noch mit einem Wachstum des Bruttoinlandprodukts von 1,4 Prozent. Allerdings werde die Wirtschaft anschließend voraussichtlich drei Quartale hintereinander schrumpfen: im zu Ende gehenden Sommerquartal, in Herbst sowie Anfang 2023.
    Erst für das Jahr 2024 erwarten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine nachlassende Spannung auf den Energiemärkten und damit auch eine wirtschaftliche Erholung. Ab diesem Zeitpunkt gehen die Institute wieder von einem Wachstum um 1,9 Prozent aus.

    Warum droht Deutschland eine Rezession?

    Alle sechs am Herbstgutachten beteiligten Wirtschaftsinstitute sind sich einig, wenn es um die Frage der Hauptursache hinter der schlechten Lage geht: Die Gaspreise sind der entscheidende Faktor, der die deutsche Wirtschaft in die Rezession treiben dürfte.
    Laut Prognosen der Ökonomen sei die Spitze der Preisentwicklung leider noch nicht erreicht und würde Mitte des kommenden Jahres erwartet.
    Was ist eine Rezession?
    Basierend auf dem lateinischen Substantiv „recessio“ (das Zurückweichen), beschreibt der Begriff „Rezession“ das Schrumpfen der Wirtschaft. Wenn das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Quartalen zurückgeht (im Vergleich zu den Vorjahresquartalen), ist von einer sogenannten technischen Rezession die Rede.
    Wie sehr die ebenfalls am 29. September von der Bundesregierung bekanntgegebene Gaspreisbremse der Preissteigerung entgegensteuern wird, bleibt abzuwarten.

    Szenario bei Gasmangellage

    Mit Stand 30.09.2022 sind die deutschen Gasspeicher mit mehr als 91 Prozent gefüllt. Vor diesem Hintergrund dürfte eine Gasmangellage zumindest unwahrscheinlich sein – so sehen es auch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute.
    Allerdings hängt viel von der Entwicklung des Winters ab. Sollte aufgrund sehr vieler kalter Tage viel geheizt werden, könnte Gas tatsächlich knapp werden und die deutsche Wirtschaft laut Herbstgutachten im Jahr 2023 sogar in eine bislang beispiellose Rezession rutschen: mit bis zu 7,9 Prozent Wirtschaftsrückgang. Auch und gerade bei niedrigen Temperaturen wären Energieeinsparungen also wichtig.
    Der Krieg in der Ukraine und die ausbleibenden Lieferungen von russischem Gas nach Deutschland sind wesentliche Ursachen hinter den steigenden Energiepreisen. Aber auch die zurückliegenden Jahre der Corona-Pandemie haben die wirtschaftliche Leistung gebremst.

    Der Konjunkturzyklus

    Die Grafik zeigt die Phasen des Konjunkturzyklus
    Die Grafik zeigt die Phasen des Konjunkturzyklus (Deutschlandradio / Andrea Kampmann)
    Laut dem Vier-Phasen-Modell des Konjunkturzyklus folgt eine Rezession auf einen wirtschaftlichen Boom. In dieser Hinsicht widerspricht die aktuelle Situation dem Lehrbuch. Die gröbsten wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie sollten allmählich überwunden sein und wir uns an der Schwelle zum Aufschwung befinden.

    Was sind die möglichen Folgen der Rezession?

    Kurz gesagt: Es ist mit Wohlstandsverlusten über womöglich längere Zeit zu rechnen. „Die Hauptbelastung findet derzeit bei den privaten Haushalten statt, die einen massiven Kaufkraftverlust hinnehmen müssen“, so die Erläuterung des Wirtschaftswissenschaftlers Torsten Schmidt vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung.
    Um die durch den hohen Gaspreis zusätzlich aufkommenden Kosten bewältigen zu können, müssten die Verbraucher durchschnittlich ungefähr ein Netto-Monatseinkommen aufwenden, prognostiziert Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

    Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt vorerst wohl gering

    Immerhin dürften die Folgen für den Arbeitsmarkt nach der gegenwärtigen Prognose mit einer vergleichsweise milden Rezession überschaubar bleiben. Da es ohnehin Personalmangel in vielen Bereichen gibt und Arbeitskräfte dringend benötigt werden, wird lediglich eine vorübergehende Delle auf dem Arbeitsmarkt erwartet. Spätestens ab 2024 sei dann wieder mit einem Beschäftigungsaufbau zu rechnen, heißt es in der Prognose der insgesamt sechs Wirtschaftsforschungsinstitute.

    Welchen Zusammenhang haben Inflation und Rezession?

    Zusammen mit den wahrscheinlich vorerst weiter steigenden Energiepreisen wirken die parallel dazu abnehmende Kaufkraft der Bevölkerung sowie die ansteigende Inflation stark negativ auf die Wirtschaftsentwicklung ein. Stichwort Inflation: Für das aktuelle Jahr rechnen die Institute mit einer Teuerungsrate von durchschnittlich 8,4 Prozent, für 2023 mit 8,8 Prozent.

    DIW-Konjunkturbarometer

    Grafik zeigt Konjunkturbarometer
    Dennoch sehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels: Für 2024 gehen sie von sinkenden Energie- und Rohstoffpreisen aus und damit von einer Inflation von 2,2 Prozent. Das entspricht einem guten Wert – die EZB betrachtet eine jährliche Inflationsrate von ungefähr zwei Prozent als ideal für die wirtschaftliche Entwicklung.
    Doch welche Zusammenhänge und Wechselwirkungen gibt es zwischen Inflation und Rezession?
    Eigentlich geplante Investitionen werden in Zeiten hoher Preise bekanntlich oft zurückgestellt. Die Menschen können und wollen sich nicht mehr so viel leisten. Der Wirtschaft fehlt dadurch zunehmend der finanzielle Zulauf, womöglich wird in manchen Branchen die Produktionskapazität verringert, ebenso wie Personal – ein Teufelskreis.

    Wie ist die wirtschaftliche Prognose für Europa und weltweit?

    Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Folgen der Corona-Pandemie belasten das globale Wirtschaftswachstum stärker als einst erwartet. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wird die Inflation auch bis ins Jahr 2023 hinein hoch bleiben. Die OECD rechnet für 2022 mit einem bescheidenen Wachstum der Weltwirtschaft von drei Prozent, das sich 2023 sogar auf 2,2 verringere.
    Der Krieg in der Ukraine hat die Lebensmittel- und Energiepreise weltweit ansteigen lassen. Russland ist ein wichtiger globaler Energie- und Düngemittellieferant, beide Länder sind wichtige Getreideexporteure, von denen Millionen – teilweise hungernde – Menschen weltweit abhängig sind.
    Für die 19 Länder des Euro-Währungsraums rechnet die OECD für das Gesamtjahr 2022 mit 1,25 Prozent Wachstum – im Folgejahr 2023 nur noch mit 0,3 Prozent.
    Quellen: Jörg Münchenberg, DIW, ifo Institut, Hans-Böckler-Stiftung, OECD, dpa, AFP, AP, RedaktionsNetzwerk Deutschland (rnd), Wirtschaftswoche, jma