Luis Rubiales ist zwar kein Präsident des spanischen Fußballverbandes RFEF mehr. Aber der tiefe Riss zwischen den Spielerinnen und dem Verband, der nach der Fußball-WM für alle sichtbar wurde, ist immer noch nicht gekittet.
Das übergriffige Verhalten des Verbandschefs, der nach dem siegreichen WM-Finale die Spielerin Jennifer Hermoso auf den Mund geküsst hatte, war nicht der Auslöser der Krise: Schon im November 2022 waren 15 Spielerinnen geschlossen aus der Nationalteam zurückgetreten. Auch aus Protest gegen Nationaltrainer Jorge Vilda, dem Respektlosigkeit, Übergriffigkeit und Sturheit vorgeworfen wurde.
Die Spielerinnen forderten ein Umdenken, der Verband unter Präsident Luis Rubiales stellte sich dagegen hinter Nationalcoach Vilda und forderte eine Entschuldigung der Spielerinnen. Nur drei von ihnen standen im Kader für die Weltmeisterschaft, die mit dem Titelgewinn endete; aber auch mit dem Skandal um den Verbandspräsidenten, den staatsanwaltschaftliche Ermittlungen erwarten.
Als Folge der Ereignisse wurde nach der WM auch Coach Vilda, der als Gefolgsmann von Rubiales galt, freigestellt. Nachfolgerin wurde die bisherige Co-Trainerin Montse Tomé.
Weltmeisterinnen im Streik - Eskalation mit Ansage
Mit der Berufung von Tomé verknüpfe der Verband offenbar die Hoffnung auf ein Ende des Konflikts mit den Spielrinnen. Doch Tomé, zuvor Assistenztrainerin des umstrittenen Vilda, kämpfte von Anfang an gegen den Verdacht, für "das alte System" im spanischen Verband zu stehen.
Die Spielerinnen beharren auf weiteren Reformen - und haben dies im Vorfeld der anstehenden Spiele in der Nations League auch gegenüber dem Verband zum Ausdruck gebracht.
21 Mitglieder des Weltmeisterkaders und 18 weitere Topspielerinnen erklärten am vergangenen Freitag (15.09.2023) in einem offenen Brief, weiterhin nicht für das Nationalteam spielen zu wollen. Die ergriffenen Maßnahmen reichten Spaniens Top-Fußballerinnen nicht. Sie forderten auch die Absetzung von RFEF-Interimschef Pedro Rocha und weiterer Funktionäre, die Rubiales nahestanden.
Ungeachtet des angekündigten Streiks berief die neue Nationaltrainerin Tomé alle Spielerinnen für die Länderspiele gegen Schweden und die Schweiz. Zunächst schien es, als wäre die Nominierung mit den Spielerinnen abgestimmt gewesen, spanische Medien berichteten von einer Einigung Tomés mit den Streikenden.
Diesem Eindruck trat das Team aber nach der Zusammenkunft in Madrid entgegen. Sie erklärten, dass sie sich weiter im Ausstand befänden. Der Berufung zu den Länderspielen seien sie nur gegen ihren Willen gefolgt.
Sportgesetz in Spanien - Antrittspflicht nach Nominierung
Vor diesem Hintergrund rückte ein besonderes Gesetz in Spanien in den Fokus. Demnach sind Sportlerinnen und Sportler verpflichtet, einer Nominierung für einen Nationalkader zu folgen. Anderenfalls drohen ihnen Geldstrafen bis zu 30.000 Euro und eine langjährige Sperre, die faktisch einem Berufsverbot gleichkommt.
Spaniens oberste Sportbehörde CSD hatte in der Zwischenzeit bekräftigt, dass diese Sanktionen auch gegen die streikenden Weltmeisterinnen verhängt werden würden. Wenn die Spielerinnen der Nominierung nicht folgten, sagte CSD-Vorsitzender Victor Francos, dann müsste die Regierung eingreifen und das Gesetz anwenden.
Einer Drohung, der sich die Spielerinnen am Ende beugten: "Wir sind gezwungen worden, hierhin zu kommen“, sagte Barca-Verteidigerin Mapi Leon und bezog sich auf die angekündigten Strafen. Aitana Bonmatí, beste WM-Spielerin, erklärte in einer Mitteilung beim Kurznachrichtendienst X: "Unser fester Wille, aus berechtigten Gründen nicht nominiert zu werden, bleibt in vollem Umfang gültig."
Auch Jennifer Hermoso attackierte den Verband. Die Nominierung der Spielerinnen entgegen deren ausdrücklichen Wunsch sei "ein weiterer Beweis dafür, dass sich nichts geändert" habe, erklärte Hermoso. Spaniens Verband verfolge damit "eine Strategie der Spaltung und Manipulation ist, um uns einzuschüchtern."
Für die anstehenden Länderspiele war Hermoso nicht nominiert worden. Man wolle sie nach dem von Rubiales ausgelösten Skandal beschützen, hieß es von Nationaltrainerin Tomé. Dem widersprach Hermoso: "Mich schützen, wovor? Und vor wem?"
Einigung mit streikenden Nationalspielerinnen - vorerst
Angesichts der zerrütteten Beziehung zwischen Spielerinnen und Verband - die Sportzeitung Marca sprach vom "offenen Krieg" - versuchte sich Spaniens Nationaler Sportrat CSD als Vermittler – und erzielte offenbar einen ersten Erfolg.
Am Mittwoch (20.09.2023) teilte die Regierung mit, dass die Spielerinnen eine grundsätzliche Einigung mit dem Verband erzielt und die Bereitschaft erklärt hätten, wieder ins Nationalteam zurückzukehren. Zwei der 23 Spielerinnen, Mapi Leon und Patri Guijarro vom FC Barcelona, reisten trotz der Einigung aus dem Teamquartier ab.
Zuvor hatte es in Valencia bis in den frühen Morgen Verhandlungen zwischen den Spielerinnen, der Spielerinnengewerkschaft und RFEF-Funktionären gegeben. Verbandspräsident Rocha soll nicht beteiligt gewesen sein.
Der Verband versprach den Spielerinnen im Anschluss Zugeständnisse und tiefgreifende Strukturveränderungen. Die Vereinbarungen sollten am Donnerstag unterzeichnet werden und von einer gemeinsamen Kommission zwischen RFEF, CSD und Spielerinnen umgesetzt werden, kündigte CSD-Präsident Victor Francos an.
Fußballverband RFEF in der Kritik - wie geht es weiter?
Sportstaatssekretär Francos hatte sich zuvor auf die Seite der Spielerinnen gestellt und den Verband kritisiert, sich bei der Lösung des Konflikts hinter der Politik und gesetzlichen Verordnungen zu verstecken. Zudem, so berichteten spanische Medien, habe der Verband die von der FIFA vorgeschriebene Vorlauffrist für die Nominierung zu den Länderspielen nicht eingehalten. Demnach hätten die Spielerinnen des FC Barcelona erst aus der Pressekonferenz mit Trainerin Tomé von der Berufung erfahren.
Auch Spaniens Sportminister Miquel Iceta hatte den Verband in die Pflicht genommen und umfassende strukturelle Reformen gefordert. Vorwürfe von übergriffigem Verhalten und Diskriminierung hatte es während Rubiales‘ Amtszeit schon vor dem Skandal beim WM-Finale gegeben.
Erwartet wird, dass weitere Stellvertreter des "Rubialismus" im Verband nicht zu halten sein werden. In spanischen Medien wird dabei vor allem Verbandsgeneralsekretär Andreu Camps genannt. Nationaltrainerin Montse Tomé soll vorerst im Amt bleiben, ungeachtet ihrer unglücklichen Kommunikation im Streit um die Nominierung.
Quelle: Dlf, Sportschau, sid, dpa