- "In der Gegend sind hunderte von Menschen ums Leben gekommen bei den Hochwässern, die ganz verheerend waren. Das ganze Rheintal war ja geflutet."
- "Sandsäcke auf dem Weg zur Arbeit – finde ich originell!"
Besucher bummeln andächtig über einem Kieshof in der Vorarlberger Gemeinde Lustenau, nur ein paar hundert Meter vom Bodenseeufer entfernt: Der Karren mit den Sandsäcken drauf ist mittlerweile zur Touristenattraktion geworden. Und erinnert doch an jene Zeiten, in denen genau hier, am östlichen Ufer des Bodensees, die Furcht vor dem Hochwasser den Alltag der Menschen bestimmte:
"Es war natürlich wirklich ein hoher Wasserstand, wirklich weitläufige Überschwemmungen. Die Leute haben sich mit einfachen Flößen beziehungsweise Holzbrettern vor den Fluten gerettet, wirklich eine Tragödie."
Alte, zum Teil unscharfe Schwarz-weiß-Fotos, Skizzen, Dokumente: All dies finden die Besucher in dem Gebäude gleich neben dem Kieshof. Und all diese ausgestellten Exponate beleuchten ein- und dasselbe Thema: Nämlich wie der in früheren Jahrhunderten aus dem Schweizer St. Gotthard-Massiv herab brausende Rhein nach starken Regenfällen oder heftiger Gletscherschmelze die ganze Gegend Meter hoch unter Wasser setzte.
Kleines Museum bietet Einblicke in die Rhein-Geschichte
"Rhein-Schauen" heißt das kleine Museum, dessen Name Programm ist: Die Gäste können in die Geschichte des Rheins reinschauen: eine Geschichte mit Katastrophenmeldungen, die sich auf den Schautafeln wiederspiegeln:
"Die 'Leipziger Illustrierte' berichtete 1868 ausführlich über die größte Hochwasserkatastrophe, die das St. Galler Rheintal im 19. Jahrhundert erlebte. Neun Menschen kamen ums Leben. Die Schäden an Häusern und Fluren waren enorm."
Auf einer aufmodellierten Flusslandschaft sehen die Besucher, was damals passierte: Hier der Rhein, der sich in seinem verschlungenen, natürlichen Flussbett seinen Weg zum Bodensee sucht, dabei Unmengen an Geröll mitreißt und schließlich im Schnitt alle drei Jahre über die Ufer tritt. Das ist, wie gesagt, längst Vergangenheit – ebenso wie jene ersten Bemühungen der Menschen im Rheintal, sich dem Hochwasser entgegen zu stemmen.
"Daraus ist die Idee entstanden, die ersten Wuhre, die ersten Dämme zu bauen. Da haben sie auf die sogenannten Faschine zugegriffen. Das sind einfach Weidenäste."
Doch von den ersten primitiven Dämmen aus Weidenästen sollte es noch Jahrzehnte dauern, bis sich Österreich und Schweiz, die im Bereich der Bodensee-Rheinmündung aneinandergrenzen, auf ein Jahrhundertprojekt einigen konnten: die internationale Rheinregulierung. Ein Staatsvertrag aus dem Jahre 1892, unterzeichnet von Regierungsvertretern beider Länder, legt fest: Der Alpenrhein wird, bevor er in den Bodensee mündet, umgeleitet in ein neues, künstlich anzulegendes und wesentlich breiteres Flussbett, umsäumt von stabilen Dämmen. Das war der Auftakt zu einem der bis heute größten Bauvorhaben in der Region.
Der Weg zu Fuß von dem Ausstellungsraum zu einem Schuppen gleich nebenan dauert nur wenige Minuten. Kaum stehen die Besucher innendrin, rümpfen sie auch schon die Nase.
"Es riecht so, der typische Geruch nach alten Maschinen: Maschinenöl und ein bisschen Koks oder irgendwie so etwas. Ein faszinierender Geruch nach Technik, nach Bewegung, nach Mobilität, nach Kraft."
Dampflokomotive half beim Bau des neuen Rheinbettes
Walter Rundel aus dem oberschwäbischen Ravensburg blickt auf eine mächtige, stählerne Dampflokomotive. Sie wurde vor weit über 100 Jahren beim Dammbau und bei der Verlegung des Flussbettes eingesetzt. Nicht minder beeindruckend daneben die alten Fotos von Heerscharen von Arbeitern, die einst rund um die Lok mit Pickeln und Schaufeln damit beschäftigt waren, das mächtige neue Flussbett des Rheins zu bauen – überwiegend in Handarbeit; ein mehr als schweißtreibender Job.
Klaus Gräber aus Nonnenhorn am Bodensee blickt mit großem Respekt auf die Fotos und auf einige der ausgestellten Werkzeuge von damals:
"Geschafft, geschuftet haben die, wie die Tiere, waren krank, waren siech. Und die Leute wurden eigentlich richtig ausgebeutet."
"Es gab eigentlich keine Baugeräte, so wie das heute bekannt ist, also keine Bagger in dem Sinne, sondern einfach betriebene Eimerkettenbagger, die quasi die Flusssohle aushoben. Und alles andere wurde mit Muskelkraft bewerkstelligt, also mit Schaufeln, mit einfachen Geräten, elf Stunden täglich. Und es waren bis zu 1.000 Arbeiter beschäftigt."
Erklärt Lian Maree aus Lustenau, die regelmäßig durch das Museum führt. Dann der 8. Mai 1900: Der Tag des Durchstiches, der Tag, an dem der Rhein sein neues Flussbett beziehen soll, der Tag, der einen Schlusspunkt markieren soll unter die lange Folge verheerender Überschwemmungen. Doch der Rhein wäre nicht der Rhein, hätte er nicht an so einem Tag den Festgästen ein Schnippchen geschlagen, indem er sich bereits vor dem offiziellen Durchstich seinen Weg zum neuen Flussbett bahnte.
"Das ist eine lustige Geschichte. Und zwar war hier ein großes Fest geplant, mit Trallala. Und leider hat sich der Rhein über Nacht den Weg schon vorher seinen Weg gesucht. Und dann war das Spektakel nicht so groß wie erhofft. Aber es war für jene Zeit ein Highlight sozusagen."
"Das wäre eine Traum, hier am Rhein herum zu gurken mit einer alten Elektrolokomotive, bei Wind und Wetter, vielleicht sogar bei Schnee – ja, das wär es schon."
Die alte Dampflok bleibt zwar im Lokschuppen. Und dennoch: Mit einer Elektrolok aus den 50er-Jahren und in historischen Wahngongs geht es mit dem Rheintalbähnle auf Tour. Herbert Guth aus dem oberschwäbischen Wilhelmsdorf genießt die Fahrt auf jener Schmalspurbahn, die direkt auf dem Rheindamm Richtung Bodensee entlang führt.
"Vom Rhein sehe ich im Augenblick ganz wenig, weil eine aufgeschüttete Mauer den Rhein abschirmt von der restlichen Wiese, über die wir gerade über den Zug tuckern. Aber jetzt, ganz weit vorne, macht er eine leichte Biegung. Und ich sehe sogar ganz weit im Hintergrund den Bodensee, schließlich nach über 91 Kilometer die Endstation des Rheins. Bis zum See, wo er nachher weitergeht."
Mehrere Dämme wurden künstlich aufgeschüttet
Plötzlich ist links und rechts des Zuges nichts als Wasser. In den 50er-Jahren wurde die Rheinmündung mit zwei künstlich aufgeschütteten Dämmen links und rechts immer weiter in den Bodensee hinein verlegt. Auf dem Damm selbst wachsen ein paar kärgliche Sträucher. Wer hier aus dem Zug aussteigt und weiter sparzieren geht, sollte festes Schuhwerk mit dabei haben. Denn dort läuft es sich "nicht gut. Es ist zwar ein Naturweg, aber sehr uneben. Für alte Leute schlecht."
Dafür wird Herbert Meindel aus Friedrichshafen, der ebenfalls im Rheintalbähnle saß und jetzt ein wenig Mühe hat mit dem Rheindamm, durch eine einzigartige Aussicht belohnt:
"Da sieht man viel Wasser und im Hintergrund Berge."
"Man kann den Blick schweifen lassen über das bayerische und schwäbische Meer, über die Alpenkette – Erholung pur."
Und damit sind die Besucher vom Blick in die Vergangenheit, als sich der Rhein mit seinen Überschwemmungen von seiner garstigen Seite zeigte, in der Gegenwart angekommen
Eine Gegenwart, in der sich der Rhein überwiegend als friedlich dahinplätscherndes Gewässer zeigt. Und selbst, wenn sich das ab und an mal in einen reißenden Strom verwandelt, so können sich die Bewohner seit Jahrzehnten auf die neuen Dämme und auf das neue Flussbett verlassen, das den Rhein in Zaum hält – und das bereits seit mehr als einem Jahrhundert.