Archiv

Vor 75 Jahren gestorben
Die Schriftstellerin Ricarda Huch - Repräsentantin eines neuen Deutschlands

1924 fand Thomas Mann lobende Worte für seine Kollegin Ricarda Huch anlässlich ihres 60. Geburtstags. Auch nach 1945 war die Autorin von Gedichten, Romanen und historischen Büchern als Repräsentantin eines neuen geistigen Deutschlands sehr gefragt.

Von Christian Linder |
Die Schriftstellerin Ricarda Huch im Kreis ihrer Kollegen der Sektion für Dichtkunst an der Berliner Akademie der Künste. Von links nach rechts: Alfred Döblin, Thomas Mann, Ricarda Huch, Bernhard Kellermann, Hermann Stehr und Alfred Mombert. Foto, 1929
Die Schriftstellerin Ricarda Huch im Kreis der Berliner Akademie der Künste. Von links nach rechts: Alfred Döblin, Thomas Mann, Ricarda Huch, Bernhard Kellermann, Hermann Stehr und Alfred Mombert. Foto, 1929 (picture alliance / akg-images / Erich Salomon )
Vor längerer Zeit vernahm man aus dem Radio manchmal noch ein Rauschen und Knistern: „Meine lieben Kollegen, es ist mir ein Bedürfnis, meine Freude darüber auszusprechen, dass Schriftsteller aus den westlichen Zonen so zahlreich sich eingefunden haben.“
Da sprach, im Oktober 1947 in Berlin, die 83-jährige, in der östlichen Zone, in Jena, lebende Ricarda Huch und eröffnete als damalige „Grande Dame“ der deutschen Literatur einen zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs erstmals wieder und für lange auch letztmals stattfindenden gesamtdeutschen Schriftsteller-Kongress.

Jung, klug, aufmüpfig

Das gibt uns das Gefühl, in Deutschland zu sein, nicht nur in einem Teil von Deutschland, sondern im ganzen einigen Deutschland.“
Es war ein weiter Weg für Ricarda Huch von Braunschweig, wo sie 1864 in eine Kaufmannsfamilie hineingeboren wurde, in die Ruinenlandschaft Berlins des Jahres 1947. Das junge Mädchen, sehr klug, aber auch sehr aufmüpfig, verliebte sich vor dem Abitur in den Mann ihrer Schwester – und schrieb und veröffentlichte zudem noch Gedichte, voller Sehnsucht nach Libertinage. Ein Skandal in Braunschweig. So wich sie nach Zürich aus.

Promotion als eine der ersten Europäerinnen

Während in Deutschland im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Frauen der Zugang zu Universitäten noch versperrt war, konnte Ricarda Huch in Zürich studieren und 1892 als eine der ersten Frauen in Europa sogar promovieren, in Geschichte. Verschiedene Berufschancen standen ihr nun offen und einige probierte sie auch aus, aber letztlich hielt sie an ihrem früh empfundenen Gefallen am eigenen Schreiben fest und wurde freie Schriftstellerin, indem sie zunächst ihre Vagheit überwand und zum Beispiel ihre frühen Gedichte später nie mehr drucken ließ:
„Zum großen Teil kindlich, ohne bewussten Formungswillen, allzu sehr hingesungen, wie der in den Zweigen wohnende Vogel singt.“
Auf ihren Träumen bestand sie aber weiter, und sie bekamen nun auch einen Richtungssinn durch ihre Lektüre der Romantiker, über deren Blick aufs Ganze des Kosmos sie eine zweibändige, 1899 und 1902 erschienene fundamentale Studie schrieb. Auch Ricarda Huchs eigener Blick hatte sich aufgrund der Erkenntnis, dass alles mit allem zusammenhängt, weit geöffnet. Seit 1900 zurück in Deutschland, veröffentlichte sie nun neben Lyrik und Prosa zum Beispiel auch Abhandlungen über den Ursprung von Musik. Der Spur ihrer Wirkung auf sie persönlich folgte sie aber ebenso in Gedichten wie dem von ihr selbst 1947 gelesenen:
„Musik bewegt mich, dass ich dein gedenke, / So will auch Meer und Wolke, Berg und Stern, / Wie anderer Art als du, dir noch so fern, / Dass ich zu dir das Herz voll Andacht lenke.“

Huch kritisierte die Nationalsozialisten von Anfang an

1933 der Wendepunkt. Sofort nach Hitlers Machtantritt trat Ricarda Huch aus der Preußischen Akademie der Künste aus als Protest gegen die darin grassierende Sympathie für die Nationalsozialisten. Im ersten, 1934 erschienenen Band ihrer insgesamt dreibändigen „Geschichte der Deutschen“ dann gleich zu Anfang der Satz:
„Verschiedene germanische Völker gründeten Reiche, die überraschend aufblühten, einige vergingen so rasch, wie sie entstanden waren, alle glaubten ohne Wurzel im Zufälligen der eigenen Kraft zu schweben ...“
Trotz später noch deutlicherer Ausdrücke ihrer Ablehnung der Nationalsozialisten ließen diese Ricarda Huch relativ unbehelligt und sie schrieb, seit Mitte der 1930er-Jahre zurückgezogen in Jena lebend, ihr Werk fort; vieles, wie das Buch „Urphänomene“, erschien erst nach 1945. Der Bitte, im Oktober 1947 in den Ruinen Berlins das Schriftsteller-Treffen zu eröffnen, folgte sie gern. Es war ihr letzter öffentlicher Auftritt. Von Berlin aus nach Hessen weitergereist, wo ihr Schwiegersohn eine Anstellung bekommen hatte, starb Ricarda Huch ein paar Wochen später, am 17. November 1947, in Kronberg im Taunus. Mit die würdigsten Abschiedsworte fand Alfred Döblin:
„Mut war ihr selbstverständlich. Sie war, wie es sich für Naturen ihrer Art gehört, viel zu stolz, um nicht mutig zu sein.“