"Wenn man an Richard von Weizsäcker denkt, dann sieht man direkt so seine Gestalt vor sich: sein silbernes Haar, sein edel gezeichnetes Gesicht, also das Bild von Richard von Weizsäcker erscheint unmittelbar und damit Assoziationen ja gewissermaßen eines aristokratischen Republikaners möchte man sagen. So erschien er jedenfalls: als der preußische Adlige in der Demokratie der Bundesrepublik."
Der Historiker Paul Nolte beschreibt den ehemaligen Bundespräsidenten, wie er wohl heute noch vielen Deutschen in Erinnerung ist. Dabei stammte Richard von Weizsäcker gar nicht aus Preußen, sondern aus Württemberg. Er wurde am 15. April 1920 in Stuttgart geboren.
Paul Nolte: "Der Großvater war württembergischer Ministerpräsident gewesen, also eine Politikerfamilie, aber im weiteren Sinne eben auch eine Familie, die es gewohnt war, auch Führungsanspruch zu erheben, ihre Kinder für Führungsaufgaben auch vorzubereiten."
Seit 1954 Mitglied der CDU
Vorsitzender der CDU-Grundsatzkommission, Regierender Bürgermeister von Berlin und Bundespräsident heißen ein paar dieser Führungspositionen, die Richard von Weizsäcker später einnehmen wird. Der Grundstein dafür wurde schon in seiner frühen Kindheit gelegt. In der Familie wurde viel über Politik diskutiert, erinnerte er sich später:
"Ich war der jüngste von vier Geschwistern, trotzdem hat mein ältester Bruder Carl-Friedrich schon als ich 6 Jahre alt war, gewissermaßen um mich zu ärgern, gesagt, ich beteiligte mich an der Diskussion in einer Form, aus der man entnehmen könnte, ich würde eines Tages Parlamentsredner werden."
Doch zunächst wurde Richard von Weizsäcker Soldat. Am 1. September 1939 marschierte er mit seiner Einheit in Polen ein, am Tag darauf wurde sein Bruder Heinrich erschossen und von ihm beerdigt. Ein Erlebnis, das ihn prägte, wie die fast sechs Jahre, die er an verschiedenen Fronten kämpfte. Nach dem Krieg studierte er Jura und verteidigte seinen Vater Ernst von Weizsäcker bei den Nürnberger Prozessen.
Der ehemalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt wurde wegen seiner Beteiligung an der Deportation der französischen Juden verurteilt, ein Urteil, das Richard von Weizsäcker als "moralisch und historisch ungerecht" bezeichnete. Doch trotz der Loyalität zu seinem Vater wurde ihm der verbrecherische Charakter des NS-Regimes immer bewusster. Das wird vor allem in der Rede deutlich, die ihn bis heute berühmt macht. Seit 1954 Mitglied der CDU, wurde Richard von Weizsäcker 1984 zum Bundespräsidenten gewählt.
Ein Jahr später erinnerte er im Bundestag an den 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges: "Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern. Die Menschen, die ihn bewusst erlebt haben, denken an ganz persönliche und damit ganz unterschiedliche Erfahrungen zurück. Viele waren einfach nur dankbar dafür, dass Bombennächte und Angst vorüber und sie mit dem Leben davongekommen waren. Andere empfanden Schmerz über die vollständige Niederlage des eigenen Vaterlandes."
Ende vom Bild der "sauberen Wehrmacht"
Wenig später folgte der Satz, der heute als historisch gilt: "Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai überhaupt erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang." (Applaus)
Auch die Rede hatte etwas Befreiendes, so der Historiker Paul Nolte: "Eine zweite Befreiung könnte man sagen: nach der Befreiung vom Nationalsozialismus auch eine Befreiung von bestimmten Denkschemata über den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg und den Weg dann aus der nationalsozialistischen Herrschaft heraus. Also ich würde es als eine Verdopplung der Befreiung, eine kulturelle Befreiung für die Bundesrepublik bezeichnen."
Auch andere Ereignisse trugen zu dieser "kulturellen Befreiung" bei. Die Fernsehserie "Holocaust" brachte 1979 Ausgrenzung und Vernichtung der Juden in die deutschen Wohnzimmer, die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht" zerstörte in den 1990er-Jahren das Bild von der sogenannten sauberen Wehrmacht.
Doch die Rede von Weizsäckers ragt auch deswegen hervor, weil seine Aura als "preußischer Adliger" ihn gerade in konservativen Kreisen besonders glaubwürdig machte. Nach zwei Amtszeiten als Bundespräsident ging Richard von Weizsäcker 1994 in den Ruhestand. 20 Jahre später, im Januar 2015, starb er im Alter von 94 Jahren in Berlin.