Wussten Sie, dass Alan Shepard, der erste Amerikaner im All, die "wunderbare Aussicht", die er bei seinem kurzen Flug mit der Freedom 7 so begeistert beschrieb, gar nicht gesehen hat? Er konnte nur durch ein Periskop nach außen schauen – und weil er zuvor stundenlang auf der Startrampe hatte warten müssen, hatte er einen grauen Filter auf die Linse gelegt, da die Sonne ihn blendete – und in der Aufregung ganz vergessen, ihn wieder abzunehmen. Nun wollte Shepard die Millionen Fernsehzuschauer nicht enttäuschen – und beschrieb die Wolkendecke über der Küste Floridas...
Gut, Richard Wisemans Buch dreht sich eigentlich nicht um solche bekannten und weniger bekannten Histörchen am Rande. Sie sind nur die kleinen Bonbons, die der Autor immer wieder einstreut. Es geht vielmehr um die Frage, wie in aller Welt der Sprung auf den Mond gelingen konnte – nicht aus der oft durchleuchteten technischen Sicht, sondern aus psychologischer. Was waren das für Menschen, die das Unmögliche möglich gemacht hatten, was trieb sie an – und was können wir für unser eigenes Leben von ihnen lernen?
Mit Begeisterungsfähigkeit zum Erfolg
Für sein Buch hat Psychologieprofessor Wiseman in Archiven recherchiert und mit Beteiligten gesprochen – mit Astronauten, aber vor allen mit denen, die hinter den Kulissen das Projekt vorangetrieben haben: den Technikern und Ingenieuren, den Männern im Kontrollraum. Er fand heraus, dass die meisten dieser Männer aus bescheidenen Verhältnissen stammten und oft die ersten ihrer Familien waren, die ein College besucht hatten. Sie waren begeisterungsfähig, bereit zu lernen und sich ins Zeug zu legen. Nur so kann man etwas erreichen, dass hatten sie von klein auf gelernt. Sie waren kreativ, so wie John Houbolt, der letztendlich selbst den übermächtigen Wernher von Braun von seinem Konzept der Mondlandefähre überzeugen konnte.
"Anders als von Braun hatten diese jungen Ingenieure nicht einen Weltkrieg lang damit zugebracht, Raketenwaffen zu bauen. Sie hatten keine Vorliebe für riesige Raketen entwickelt, die auf direktem Weg von A nach B flogen. Sie waren auch für andere Ansätze offen, und nachdem sie eine Reihe von Optionen ausgewertet hatten, fassten sie einen ganz anderen Plan. Houbolt wollte ein Raumfahrzeig aus zwei Teilen bauen. Im ersten sollten die Astronauten mi ihrer Ausrüstung und ihrem Treibstoff untergebracht sein. Der zweite Teil sollte eine kleinere Mondlandefähre sein, deren Aufgabe darin bestand, die Astronauten zur Oberfläche und wieder zurück zu befördern."
Richard Wiseman beschreibt, wie beispielsweise Flugdirektor Gene Kranz das Apollo-Team zusammenzuhalten wussten. Etwa nach dem verheerenden Brand, der bei einem Routinetest an Bord der Apollo-1-Kapsel ausbrach. Die drei Astronauten Ed White, Gus Grissom und Roger Chaffee starben. "Zwar war der Brand von Apollo 1 eine furchtbare Tragödie", schreibt Wiseman, "aber ohne sie und die neue Einstellung, die sie hervorbrachte, wäre Kennedys Vision vom bemannten Mondflug vor dem Ende des Jahrzehnts niemals Wirklichkeit geworden."
Schutzpessimismus und Improvisationskunst
Denn aus der Tragödie folgte unter anderem eine neue Einstellung Fehlern gegenüber. Wenn ein so ambitioniertes, schwieriges und gefährliches Projekt gelingen sollte, musste offen mit ihnen umgegangen werden, um daraus zu lernen und es besser zu machen. Ein anderer wichtiger Faktor: eine gehörige Portion an Schutzpessimismus. Die Mitarbeiter dachten darüber nach, was alles schief gehen könnte, suchten vorneweg nach Lösungen, entwickelten Simulationen, die im Ernstfall bei der Entscheidungsfindung helfen sollten. Unvorhersehbar blieb trotzdem noch genug. Beispielsweise, dass der Schaltknopf für den Start der Raumfähre abbrechen könnte. Genau das geschah, doch Buzz Aldrin hatte einen Filzstift in seiner Schultertasche – die Spitze passte perfekt in die abgebrochene Buchse. Es war Improvisationskunst - und Glück, denn eigentlich hätte Aldrin einen speziell entwickelten Weltraumstift mitnehmen sollen und nicht seine geliebten Filzstifte. Aber auch das gehörte zur erfolgreichen Mondmission.
Das Apollo-Team, so schließt Wiseman, schaffte die Mondlandung, weil sie sie unbedingt schaffen wollte. Es sind die Geschichten und Analysen, die das Buch so spannend machen, dass man es in einem Rutsch durchliest. Richard Wiseman wäre allerdings nicht Richard Wiseman, wenn wer nicht auch praktische Tipps und psychologische Tests einbauen würde. Die fallen dann unter das Kapitel: Wer es mag. Man kann sie auch einfach überblättern – und wieder in diese so ganz anders erzählte Mondflug-Geschichte eintauchen.
Richard Wiseman: "Sprung auf den Mond"
Wie wir Unerreichbares schaffen können
S. Fischer, April 2019, 224 Seiten, 18 Euro
Wie wir Unerreichbares schaffen können
S. Fischer, April 2019, 224 Seiten, 18 Euro