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Richterbund zu Hass im Netz
"Wir wollen systematisches Aufräumen"

Jens Gnisa, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, hat das Maßnahmenpaket der Bundesregierung gegen Hasskriminalität im Netz begrüßt. "Bisher läuft die Strafverfolgung ins Leere", sagte Gnisa im Dlf. Für die nun zu erwartende Zunahme an Strafverfahren werde jedoch viel Personal benötigt.

Jens Gnisa im Gespräch mit Philipp May |
Jens Gnisa, Direktor des Amtsgerichts Bielefeld und Vorsitzender des Deutscher Richterbund, DRB
Jens Gnisa, Direktor des Amtsgerichts Bielefeld und Vorsitzender des Deutscher Richterbund, DRB (imago/Reiner Zensen)
Philipp May: Hass und Hetze, weiter verbreitet über die vermeintlich sozialen Netzwerke – das ist eine der Hauptursachen, sagen Experten, warum der Rechtsextremismus weltweit auf dem Vormarsch ist. Gestern hat die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket beschlossen. Unter anderem soll gegen Hetze im Netz in Zukunft massiver vorgegangen werden. Beleidigungen online vor Millionen-Publikum beispielsweise härter bestraft werden. Lokalpolitiker, die häufig besonders im Feuer stehen, besser geschützt werden vor übler Nachrede. Und vor allem sollen Facebook und Co. Verpflichtet werden, mutmaßliche Straftaten wie Volksverhetzung den Strafverfolgungsbehörden zu melden.
Da kommt viel Arbeit auf die Staatsanwälte und Gerichte zu. Reden wir drüber, und zwar mit Jens Gnisa, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, der Berufsvereinigung sowohl der Richter als auch der Staatsanwälte. Herr Gnisa, schönen guten Morgen.
Jens Gnisa: Ja, guten Morgen.
May: Wird das Recht in Zukunft nicht mehr von Polizisten und Staatsanwälten, sondern von Facebook durchgesetzt?
Gnisa: Nun, das ist natürlich in unserem Rechtssystem eigentlich nichts Neues, dass man auch auf die bürgerliche Gesellschaft setzt. Denken Sie an ein Mietshaus oder an einen Laden. Überall sind auch die Leute zunächst mal dafür gerufen, das Recht in ihrem Haus, in ihrem Geschäft durchzusetzen und, wenn es nicht klappt, Polizei und Justiz zur Hilfe zu rufen. Ich denke, diese Parallele gilt auch hier: zunächst die bürgerliche Gesellschaft.
Der Eingang der Staatsanwaltschaft in München.
Maßnahmenpaket der Bundesregierung - Neue Pläne gegen den Hass im Netz
Die Bundesregierung hat ihr "Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität" auf den Weg gebracht. Unter anderem soll das Netzwerkdurchsetzungsgesetz verschärft werden, um mehr gegen Hass im Netz zu tun. Was das Vorhaben genau bedeutet und wie Experten reagieren – ein Überblick.
May: Sie sagen, dass Facebook jetzt dazu verpflichtet wird, nicht einfach nur zu löschen, sondern auch aktiv den Finger zu heben, das ist richtig?
Gnisa: Das ist absolut richtig, denn bisher laufen wir vor eine Wand, weil wir diese Auskünfte nicht bekommen, fast niemals. Man hat zwar vor einiger Zeit das Gesetz geändert, dass Facebook und Co. Personen benennen müssen, die überhaupt Auskünfte geben. Aber diese Auskünfte sind völlig inhaltsleer und wir bekommen keine Namen, keine Bestandsdaten, gar nichts, und das geht so nicht, wenn man die Strafen auch wirklich verfolgen möchte.
Gesetz schon seit einiger Zeit gefordert
May: Das ist ein gutes Gesetz?
Gnisa: Ja! Das ist ein Gesetz, was wir schon seit einiger Zeit gefordert haben, weil wir gemerkt haben, dass hier Strafverfolgung ins Leere läuft. Es bringt ja nichts, wenn wir letztendlich Justizverfolgungsmöglichkeiten haben, aber die strafprozessualen Möglichkeiten dann nicht da sind, die Auskünfte, die wir dafür brauchen, zu bekommen.
Marina Weisband steht auf einer Bühne und vor einem Pult mit dem Logo der Grünen und macht mit beiden Händen die Geste von Anführungsstrichen.
Radikalisierung im Netz: Weisband kritisiert Maßnahmen der Bundesregierung
Die Netzaktivistin Marina Weisband hält die von der Bundesregierung angekündigten Maßnahmen zur Bekämpfung von Hasskriminalität und Rechtsextremismus im Netz für unzureichend. "In diesem Paket steht gar nichts von Fortbildung der Behörden oder von einer Ausweitung des Personals, das macht mich skeptisch", sagte Weisband im Dlf.
May: Aber besteht nicht die Gefahr, dass Facebook und Co. In Zukunft bestimmen, weil es einfach so viele Fälle sind, was Hetze ist und was nicht? Weil die führen Ihnen die Fälle dann ja alle zu.
Gnisa: Ja, das haben wir schon seit einiger Zeit diskutiert unter der Frage Overblocking. Das ist das Fachwort letztendlich für diese Frage, dass man die Meinungsäußerungen löscht, oder jetzt umgekehrt die Frage, wieweit gibt man das weiter. Wir haben nicht die Erfahrung gemacht, dass es hier zu überfließenden Löschungen kommt. Natürlich ist es so, dass hier eine vorläufige Rechtsprüfung stattfindet von Facebook. Man wird dort Juristen und Angestellte haben, die das tun, die das aber auch schaffen können. Aber dann wird ja keine Strafe von Facebook ausgeworfen, sondern man teilt das einfach nur den Staatsanwälten und den Gerichten mit und dort findet dann die eigentliche Rechtsprüfung statt, die relevant ist für die Beschuldigten.
"So kann es nicht bleiben"
May: Aber Facebook sind natürlich erst mal die, die die Polizei spielen.
Gnisa: Ja! Aber wir müssen ja die jetzige Situation sehen. Die jetzige Situation heißt, wir kriegen so gut wie nichts, oder nur durch Zufall, wenn vielleicht irgendwo ein Bürger merkt, da findet Hass und Hetze statt. Das bekomme ich auch sogar schon mal auf meinen eigenen Schreibtisch, dass sich ein Bürger meldet. Aber das sind ja alles eher zufällige Dinge und so kann es nicht bleiben. Wir wollen ein systematisches Aufräumen letztendlich in diesen Bereichen.
Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Beauftragter für Religion und Weltanschauungen der Partei Buendnis 90/Die Gruenen im Deutschen Bundestag
Von Notz (Grüne) - Strafen im dreistelligen Millionenbereich für Hasskriminalität im Netz
Bei Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten im Internet müsse härter durchgegriffen werden, forderte der Grünen-Politiker Konstantin von Notz im Dlf. Mit Konzernen wie Facebook und Google werde in Deutschland in Sachen Haftungsrecht viel zu milde umgegangen.
May: Nun sind die Gerichte schon jetzt überlastet. Wir wissen, es findet Hass und Hetze fast zu hunderttausendfach, millionenfach möglicherweise im Netz statt. Es werden viele, viele Verfahren auf Sie zukommen. Können Sie das stemmen?
Gnisa: Nein, das können wir so nicht stemmen. Das muss man klar sagen. Die Politik hat zwar geholfen mit dem sogenannten Pakt für den Rechtsstaat, bei dem wir ja 2000 Stellen bekommen werden. Das ist aber nur ein Nachholeffekt. Das was wir in der Vergangenheit nicht hatten, das gleicht man jetzt aus. Man packt jetzt aber doch immer wieder seitens der Politik neue Dinge drauf und dann muss man natürlich klar sagen: Ja, das wollen wir machen, das wollen wir stemmen, aber dazu brauchen wir natürlich auch die Ressourcen und dazu gehört auch Personal.
May: Aber wir wissen, es ist Ländersache, Staatsanwaltschaften und Gerichte. Das heißt, die Länder müssen mitziehen. Das heißt, die Bundesregierung beschließt was, aber ausbaden müssen es die Länder?
Gnisa: Ja! Das ist die Problematik, die uns das Grundgesetz aufgibt mit dem Föderalismus. Dieses System des Föderalismus hat natürlich auch Vorteile. Aber in der Vergangenheit haben Sie recht, da ist es immer so gewesen, dass der Bund sich Gesetze ausdenkt und die Länder dann doch nicht das Personal zur Verfügung gestellt haben – in dem Maße, wie es notwendig gewesen wäre. Man hat sogar Personal abgebaut. Ich habe aber die Hoffnung, dass die Politik jetzt begriffen hat, dass es so nicht geht, wie es in den letzten Jahrzehnten gelaufen ist, und ein Zeichen, dass es sich ändert, ist auch der schon genannte Pakt für den Rechtsstaat.
Daumen draufhalten ist wichtig
May: Aber es könnte sein, dass es in Zukunft so ist, dass man in Bayern lieber nicht hetzt, weil da ist die Staatsanwaltschaft möglicherweise besser ausgestattet; in Bremen hetzt es sich dann besser?
Gnisa: Das muss man ja so sehen: Wir haben das Internet und das ist ja deutschlandweit, sogar weltweit. Man kann von vornherein gar nicht sagen als Hetzer, vor welche Staatsanwaltschaft man kommt. Das ist letztendlich anderen Regeln geschuldet.
Es ist wichtig, dass man immerhin Gefahr geht, als Hetzer erkannt zu werden und gemeldet zu werden, und ich glaube, da den Daumen draufzuhalten, das ist wichtig.
May: Was ich mich jetzt natürlich bei der ganzen Sache frage: Was helfen diese neuen Gesetze, wenn am Ende ein Urteil zum Beispiel steht, wie im Fall der Grünen-Politikerin Renate Künast, die gegen nun wirklich glasklare Beleidigung vorgegangen ist, aber die Richter in Berlin in diesem Fall entscheiden dann, dass sie diese Beschimpfung als zulässige Meinungsäußerung hinzunehmen habe?
Gnisa: Ja, den Einwand kann ich gut verstehen. Es gibt im Moment eine juristische Fachdiskussion, ob dieses Urteil richtig ist oder falsch. Frau Künast ist auch in Berufung gegangen, in Beschwerde gegangen, und ich schlage vor, dass wir erst mal abwarten. Wir haben es hier mit einer Materie zu tun, mit der Beleidigungsmaterie, die auch stark gekennzeichnet ist von einer toleranten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsäußerung. Das wurde in der Vergangenheit auch immer gelobt. Das muss aber auch umgesetzt werden in der Praxis, und da tarieren wir die Dinge im Moment einfach neu aus. Da würde ich dafür plädieren, einen Moment abzuwarten, was jetzt das Kammergericht entscheidet in dem Fall Renate Künast.
May: Und Sie plädieren auch für eine Neuaustarierung im Sinne von härterer Rechtsprechung in diesem Fall?
Gnisa: Das ist natürlich dem Richter im Einzelfall überlassen. Ich habe jedenfalls das Gefühl, grundsätzlich, dass der Staat jetzt die klare Kante zeigen muss, dass er die Täter ermitteln muss, dass die Rechtsprechung auch geklärt werden muss, damit deutlich wird, was darf man und was darf man nicht. Es gibt ja hier in dem Maßnahmenkatalog auch noch einige Punkte mehr, die zu begrüßen sind. Zum Beispiel der Schutz von Kommunalpolitikern vor Hass und Hetze. Ich denke, das ist einfach der richtige Weg, der dort jetzt beschritten wird.
Schmähkritik ist zurückgedrängt worden
May: Wo endet denn die zulässige Meinungsäußerung und wo fängt Hetze für Sie an?
Gnisa: Das Problem ist, dass in der Rechtsprechung der Begriff der Schmähkritik immer weicher geworden ist. Schmähkritik heißt, wo man als Bevölkerung sagen würde, jetzt ist wirklich eine rote Linie überschritten worden, das geht nicht.
May: Da würden im Fall von Renate Künast, glaube ich, 99 Prozent der Menschen sagen, da ist eine rote Linie aber so was von überschritten worden, und trotzdem haben die Berliner Richter anders entschieden.
Gnisa: Ja, richtig! Das wird ja wie gesagt neu austariert, ob das wirklich richtig ist, diese Rechtsprechung insoweit. Tatsache ist aber, dass die Schmähkritik zurückgedrängt worden ist auch vom Bundesverfassungsgericht, wenn es um Personen geht, die im Zeitgeschehen stehen. Man hat das sehr weit gezogen. Man sagt, wenn ich mich als Person in das Zeitgeschehen stelle, muss ich auch bestimmte Diskussionsformen hinnehmen. Wir müssen jetzt einfach diskutieren, ob wir das nicht neu festsetzen müssen, die Grenzen dort. Das ist eine juristische Fachdiskussion, der wir uns gerne stellen.
May: Eine Frage habe ich noch. Wenn selbst allerdings deutsche Richter daran scheitern – Sie haben gerade ausgeführt, wie schwer es ist, da diese Grenze zu ziehen, diese Grenze zu definieren -, wie sollen das dann Betreiber sozialer Netzwerke hinbekommen?
Gnisa: Ja! Ich denke, man wird sich erst mal weiterhin an bestimmten Wörtern orientieren, die schlichtweg als Beleidigung anzusehen sind, auch nach der allgemeinen Meinung, und die wird man dann melden. Und dann gibt es natürlich den Staatsanwalt und später den Richter, der diese Meldungen prüft. Man muss wohl bei Personen des Zeitgeschehens nach der jetzigen Rechtslage fast immer eine Einzelfallabwägung machen, was wollte die Person im Netz letztendlich damit aussagen, welche Ziele hatte sie, hat sie die Verhältnismäßigkeit gewahrt und so weiter. Diese Abwägung ist natürlich schwierig. Sie wird aber nicht von Facebook und Co. Getan, sondern von den Staatsanwälten und den Richtern am Ende.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.