Archiv

Richterwahl im Bundestag
"Aktive Politiker gehören nicht an das Bundesverfassungsgericht"

Mit der Wahl des CDU-Politikers Stephan Harbarth zum Verfassungsrichter seien Interessenkonflikte vorprogrammiert, sagte Niema Movassat (MdB, Linke) im Dlf. Denn in Karlsruhe müsse der bisherige Abgeordnete über Gesetze befinden, die Bundestagspolitiker wie er mit entworfen hätten.

Niema Movassat im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Das Bundesverfassungsgericht spricht ein Urteil
    Stephan Harbarth soll Richter am Bundesverfassungsgericht werden und sogar 2020 auf Präsident Voßkuhle folgen (dpa/picture alliance/Uli Deck)
    Sandra Schulz: Seit 2000 Rechtsanwalt in Mannheim, seit dem Frühjahr Honorarprofessor an der Universität Heidelberg, seit 2009 CDU-Abgeordneter im Bundestag und zuletzt auch Fraktionsvize. Das sind die wichtigsten beruflichen Koordinaten von Stephan Harbarth, und die sind heute Morgen interessant, weil Harbarth aller Wahrscheinlichkeit nach heute im Bundestag auf ein neues mächtiges Amt gewählt wird. Stephan Harbarth soll Richter am Bundesverfassungsgericht werden, und wenn morgen auch der Bundesrat zustimmt, sogar 2020 auf Präsident Voßkuhle folgen.
    Ein Rollenwechsel ist das vom Gesetzgeber in das höchste deutsche Gericht, der manche fragen lässt, ob eine Politisierung des Bundesverfassungsgerichts drohe, oder was der Schritt für die Gewaltenteilung heißt. Skepsis, die allerdings die Vertreter von Union, SPD, Grünen und FDP so nicht teilen. Sie tragen den Kandidaten gemeinsam. Die AfD will einen eigenen Kandidaten vorschlagen, aber auch bei der Linkspartei gibt es Bedenken gegen Stephan Harbarth, und darüber können wir jetzt sprechen. Am Telefon ist Niema Movassat, für die Linkspartei Obmann im Rechtsausschuss. Schönen guten Morgen!
    Niema Movassat: Schönen guten Morgen!
    Schulz: Welches Problem haben Sie mit Stephan Harbarth?
    Movassat: Meine Grundkritik ist, dass aktive Berufspolitiker nicht an das Bundesverfassungsgericht gehören. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet ja unter anderem über die Verfassungsmäßigkeit von Bundesgesetzen mit der Verfassung, und das sind meistens Gesetze, die Politiker, die im Bundestag sitzen, mit entworfen haben, mit diskutiert haben, vor allem jemand wie Stephan Harbarth, der ja auch im Rechtsausschuss war. Insofern wird er möglicherweise über Gesetze entscheiden als Bundesverfassungsrichter, die er selber mit entschieden hat. Das ist ein Problem, und um solche Interessenkonflikte zu vermeiden, ist es besser, wenn aktive Politiker nicht an das Bundesverfassungsgericht kommen.
    Wächter über Einhaltung der Grundrechte
    Schulz: Aber welches Problem ist es genau, das Sie sehen? Er hat es mit formuliert und jetzt interpretiert er mit. Was ist das Problem?
    Movassat: Das Problem dabei ist natürlich: Wenn er einem Gesetz als Bundestagsabgeordneter zugestimmt hat und er dann später im Bundesverfassungsgericht darüber zu entscheiden hat, ob das Gesetz verfassungsgemäß ist oder nicht, dann wird er natürlich dazu neigen, das für verfassungsgemäß zu erklären, weil er ja sonst erklären müsste, dass er damals verfassungswidrig gehandelt hätte. Insofern ist da ein großer Interessenkonflikt vorprogrammiert, und zwar beim Großteil der Arbeit, die er als Richter am Bundesverfassungsgericht leisten muss. Man muss ja wissen: Er wird ja an den Ersten Senat kommen. Das ist der, der sich mit dem Thema Grundrechte beschäftigt, also mit dem Thema, ob bestimmte Gesetze mit den Grundrechten vereinbar sind, und da sind natürlich Interessenkonflikte im Besonderen vorprogrammiert.
    Der CDU-Bundestagsabgeordnete Stephan Harbarth.
    Der bisherige CDU-Bundestagsabgeordnete Stephan Harbarth. (dpa / Soeren Stache)
    Schulz: Aber es gibt ja auch viele Fälle von Verfassungsrichtern, die in ihrer Zeit vor Karlsruhe auch schon als Politiker aktiv waren: Roman Herzog, Ernst Benda, Jutta Limbach. Da sind sich viele einig, dass gerade solche Persönlichkeiten und deren Wirken in Karlsruhe diese Sorgen eigentlich zerstreut haben. Das sehen Sie anders?
    Movassat: Das sehe ich ein Stück weit anders. Zum einen muss man sagen, dass die Fälle Roman Herzog, Jutta Limbach oder auch Peter Müller Landespolitiker waren. Das hat noch mal ein bisschen einen anderen Klang, als wenn ein Bundespolitiker ans Bundesverfassungsgericht geht, weil das Bundesverfassungsgericht häufig mit Bundesgesetzen befasst ist. Insofern ist da der Interessenkonflikt wahrscheinlicher als bei einem Landespolitiker. - Das ist der eine Punkt.
    Der andere ist natürlich schon, dass bei Herrn Harbarth auch noch mal im Besonderen sich die Frage stellt, inwiefern er jetzt wirklich zu verfassungsrechtlichen Fragen befähigt ist, sich damit zu befassen. Und man muss auch sagen, dass es früher natürlich durchaus problematisch war, wenn aktive Berufspolitiker ans Bundesverfassungsgericht gewechselt sind. Bei Peter Müller gab es natürlich auch Kritik und sehr nachvollziehbare Kritik, weil er jetzt gar nicht so großartig mit rechtlichen Fragen vorher befasst war. Er war vier Jahre Richter gewesen, als er jünger war. Da gab es schon immer Kritikpunkte und das ändert sich jetzt auch nicht bei Herrn Harbarth.
    Schulz: Stephan Harbarth sehen viele aber als ganz ausgezeichneten Juristen, wofür auch seine Arbeit in der Kanzlei spricht, was er seit vielen Jahren ja macht. Ist das nicht auch eine Perspektive, die Anwaltssicht, die Stephan Harbarth ja zusätzlich auch hat, die in Karlsruhe auch wichtig ist?
    Movassat: Das ist ein Argument, das vielleicht beim Bundesgerichtshof eine Rolle spielen kann, dass man sagt, dass da auch anwaltliche Sichten vorkommen sollten. Beim Bundesverfassungsgericht wird mir nicht ganz klar, was die anwaltliche Sicht bringen soll. Es geht ja dort eher um die Frage, ist ein Bundesgesetz mit den Grundrechten zum Beispiel vereinbar. Damit muss sich Stephan Harbarth befassen, wenn er im Ersten Senat sitzt. Da hat die anwaltliche Sicht eine relativ geringe Relevanz.
    Zweitens muss man natürlich sagen: Er war Wirtschaftsanwalt. Er hat sich mit Wirtschaftsthemen beschäftigt. Das hat jetzt auch eine relativ geringe Relevanz für die Arbeit. Ich will nicht sagen, dass Herr Harbarth ein schlechter Jurist ist. Er ist ein sehr fähiger und guter Jurist. Er hat ausgezeichnete Staatsexamina. Aber zum Bundesverfassungsgericht gehört noch ein bisschen mehr, als gute Staatsexamina zu haben. Dazu gehört natürlich auch schon, dass man im Besonderen mit staatsrechtlichen Fragen, mit grundrechtlichen Fragen befasst war. Es gibt ja - das muss man vielleicht noch als Hintergrund wissen: Laut Gesetz muss ja die Hälfte der Richter am Bundesverfassungsgericht Bundesrichter sein. Gewohnheitsrechtlich war es so, dass die andere Hälfte normalerweise Staatsrechtler, Professoren waren, die mit Staatsrecht, Verfassungsrecht, Grundrechten zu tun haben. Dieses Gewohnheitsrecht, das kündigt im Prinzip jetzt die Union auf, indem sie mit Stephan Harbarth einen Juristen fürs Bundesverfassungsgericht benennt, der vor allem nicht als Jurist aufgefallen ist, sondern als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU.
    "Das Bundesverfassungsgericht prägt den Richter"
    Schulz: Sind Hochschullehrer besser verankert in der Bevölkerung, oder kann man denen mehr vertrauen als Charakteren, die sich auch in einem demokratischen, in einem politischen Wettstreit behauptet haben? Ist das so ein Gesetz?
    Movassat: Bei der Aufgabe, die ein Bundesverfassungsrichter hat, würde ich sagen, dass ein Hochschullehrer oder eine Hochschullehrerin deutlich geeigneter ist, weil es natürlich darum geht, inwiefern ist ein bestimmtes Gesetz möglicherweise eine Verletzung von bestimmten Grundrechten. Das kann natürlich jemand, der sich damit befasst hat, was Grundrechte bedeuten, wie weit sie gehen, besser beurteilen. Vor allem aber untersteht er nicht den politischen Zwängen, möglicherweise selber an einem bestimmten Gesetz beteiligt gewesen zu sein und dadurch in einem Interessenkonflikt zu stehen.
    Niema Movassat
    Linke-Bundestagsabgeordneter Niema Movassat (picture alliance / Gregor Fischer/ dpa)
    Bei Herrn Harbarth ist es natürlich schon so: Er hatte ja schon mal Interessenkonflikte im Bundestag, als es um die Diesel-Abgasaffäre ging. Als das Thema aufkam, da hat er im Rechtsausschuss damals als Obmann mit dafür gesorgt, dass das nicht auf die Tagesordnung kommt, und der Interessenkonflikt besteht darin, dass er als Anwalt einer der größten deutschen Wirtschaftskanzleien dort Mitarbeiter ist, die auch VW vertritt. Anwalt einer Kanzlei zu sein, die VW vertritt, und im Bundestag dafür sorgen, dass die Diesel-Affäre nicht auf die Tagesordnung kommt, das zeigt auch, dass er mit Interessenkonflikten nicht angemessen umgegangen ist.
    Schulz: Er wird aber im Bundesverfassungsgericht jetzt nicht durchregieren können. Er hat eine Stimme, eine Stimme von acht Stimmen, und wir haben das Wort des aktuellen Präsidenten im Ohr, von Andreas Voßkuhle, der sagt, dass die kollegiale Anerkennung ausschließlich auf Kompetenz der Sache beruhe, also sinngemäß, dass jeder sofort unten durch ist, der anfängt, politisch zu argumentieren. Glauben Sie oder trauen Sie den anderen Verfassungsrichtern das so wenig zu, dass sie das auch entsprechend einschätzen?
    Movassat: Das ist ein richtiges Argument, dass natürlich er nur eine Stimme hat und dass er natürlich dort nicht durchregieren kann. Das ist alles richtig. Deshalb hoffe ich natürlich, dass der berühmte Satz, das Bundesverfassungsgericht prägt den Richter mehr als der Richter das Bundesverfassungsgericht, sich natürlich auch im Fall von Herrn Harbarth bewahrheitet - er wird es ja werden, er wird ja Richter am Bundesverfassungsgericht werden, die Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag steht -, dass er aber die Kritik, die es gibt, ernst nimmt und dort sich tatsächlich dann nicht als Politiker engagiert, sondern als Richter, und dass er dort auch entsprechend unabhängig agiert. Das ist natürlich meine Hoffnung.
    Schulz: Niema Movassat, für die Linksfraktion Obmann im Bundestags-Rechtsausschuss und heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Danke dafür!
    Movassat: Ja, sehr gerne! Schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.