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Richtig oder Risiko

Die ersten Chargen des Schweinegrippe-Impfstoffs Pandemrix sind produziert und ausgeliefert. Doch in der Bevölkerung und auch bei einigen Ärzten wächst die Skepsis gegenüber der Massenimpfung.

Von Marieke Degen und Christoph Birnbaum |
    Die Ernst-von-Bergmann-Poliklinik in Potsdam, zweite Etage: Auf dem Flur warten die Patienten. Eine Sprechstundenhilfe vergibt Termine.

    "Ja wir haben versucht, das Ganze aus den laufenden Sprechstunden auszulagern. Das heißt, wir haben hier eine extra Praxis. In diesen beiden Räumen wird geimpft."

    Beate Schur ist Diabetologin. Sie hat in der Poliklinik eine eigene Praxis.

    "In dem einen Raum warten die Patienten. Wir können gerne rübergehen. Im anderen Raum findet die Impfung statt."

    Ab der kommenden Woche wird sie, zusammen mit zwei Kollegen, die ersten Dosen des Schweinegrippe-Impfstoffs Pandemrix impfen. Zunächst ist das eigene Klinikpersonal an der Reihe, außerdem Polizisten, Feuerwehrmänner und Risikopatienten: Schwangere und chronisch Kranke. Das entspricht der Empfehlung, die die ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts gegeben hat.

    Die Versorgung dieser Gruppen soll Ende November/Anfang Dezember beendet sein. Danach kann sich der Rest der Bevölkerung impfen lassen. Insgesamt haben die Bundesländer 50 Million Dosen Impfstoff eingekauft:

    "Es gibt ein Aufklärungsmerkblatt für diese neue Impfung. Das bekommen die Patienten ausgehändigt, sollen es in Ruhe durchlesen. Da steht im Wesentlichen zusammengefasst drin, um welchen Impfstoff es sich handelt, welche möglichen Nebenwirkungen bei den Testreihen schon erkennbar waren, sodass die Patienten im Vorfeld schon gut informiert werden. Dann erklären die Patienten, dass sie damit einverstanden sind, das heißt, sie bekommen eine Einverständniserklärung, und der Patient bekommt eine Impfbescheinigung, dass er geimpft worden ist."

    1000 Impfdosen sind am Donnerstag in der Poliklinik in Potsdam eingetroffen, eine pro Patient. Geimpft wird mittwochs und freitags. Die Ärzte müssen die Termine sorgfältig planen, denn sie müssen immer zehn Impfdosen auf einmal vorbereiten.

    "Da wird immer der Impfstoff mit dem Verstärker gemischt, mit dem Adjuvantium, und dann hat man zehn Impfdosen, die innerhalb einer bestimmten Zeit verimpft werden sollten. Wobei wir am Anfang wirklich abwarten müssen, wie die Nachfrage ist, dadurch, dass die Atmosphäre und die Stimmung im Moment doch eher skeptisch und vorsichtig sind, würden wir doch erstmal ein, zwei Tage abwarten und schauen, wer kommt eigentlich."

    Denn die größte Massenimpfaktion in der Geschichte der Bundesrepublik ist umstritten. Rund 25.000 Menschen sind bisher hierzulande an der Schweinegrippe erkrankt, drei sind daran gestorben. Die Infektion verläuft aber bislang in der Regel mild. Die Impfung ist freiwillig, eine Impfpflicht gibt es in Deutschland nicht. Nach einer am Freitag veröffentlichten Emnid-Umfrage sind kurz vor Beginn der Aktion nur noch 13 Prozent dazu entschlossen, sich impfen zu lassen. Jeder Fünfte hat sich noch nicht entschieden, 66 Prozent schließen eine Impfung kategorisch aus.

    Dabei ist die Massenimpfung Teil eines nationalen Pandemieplans. Je mehr Menschen geimpft sind, desto weniger Chancen hat das Virus, sich weiter auszubreiten. Deshalb hatten die Bundesländer bereits im Juni 50 Millionen Impf-Dosen bei Pharmafirmen vorbestellt. Inzwischen sind die ersten Chargen produziert und zugelassen. Doch in der Bevölkerung und auch bei einigen Ärzten wächst die Skepsis gegenüber bestimmten Impfstoffen.

    Denn sie enthalten Adjuvanzien, Hilfsstoffe, die die Reaktion des Immunsystems auf die Impfung verstärken. Auch Pandemrix, die Vakzine, die hauptsächlich in Deutschland eingesetzt wird, enthält diese Hilfsstoffe. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Bundesärztekammer, sagt: Es war falsch, von vorneherein auf diesen adjuvantierten Impfstoff zu setzen.

    "Man sollte zunächst einmal betonen, dass natürlich diese Impfstoffe im Rahmen der Zulassungsuntersuchungen nur an relativ wenigen gesunden Probanden, gesunden Personen untersucht werden. Andererseits muss man diese Information auch jedem, der sich impfen lassen möchte, transparent machen. Das heißt, man muss ihm sagen, wir können nicht sagen, ob schwere, unerwünschte Nebenwirkungen auftreten, und wir können angesichts des bisher sehr gutartigen Verlaufs der Schweinegrippe auch nicht sagen, ob überhaupt eine Impfung notwendig ist."

    Im Pandemiefall, in dem ein Impfstoff für viele Menschen und so schnell wie möglich bereitgestellt werden muss, haben Adjuvanzien entscheidende Vorteile. Eine Impfdosis kommt mit viel weniger Antigen aus. Also den Virusbestandteilen, gegen die das Immunsystem Antikörper bilden soll. Mit der gleichen Menge Antigen können also mehr Menschen immunisiert werden. Außerdem haben Studien darauf hingewiesen, dass eine Impfung mit Adjuvanzien immer noch wirkt, wenn sich das Virus leicht verändert hat. Trotzdem setzen nicht alle Länder auf die Wirkverstärker. In den USA etwa bekommen Patienten ein abgeschwächtes lebendes Virus. Die Risiken der Adjuvanzien seien derzeit noch unkalkulierbar, sagt Wolf-Dieter Ludwig. Seiner Meinung nach überwiegen sie den Nutzen einer Impfung.

    "Zu sagen, da passiert nichts, ist aus meiner Sicht ein bisschen blauäugig."

    Eine Meinung, die aber längst nicht alle Experten teilen.

    "Wir haben bei gesunden Erwachsenen über 18 Jahre den einen H1N1-Impfstoff getestet, in verschiedenen Gruppen, also zum einen mit dem Adjuvans, aber auch ohne Adjuvans."

    Jakob Cramer ist Infektionsmediziner am Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg. Im Sommer hat er einhundert Probanden eine der jetzt zugelassenen H1N1-Vakzinen gespritzt: Focetria von Novartis. Focetria und Pandemrix sind vergleichbare Impfstoffe. Sie erhalten beide fast die gleiche Adjuvanz. Sie basiert auf einem Öl, Squalen.

    "Unsere Ergebnisse zeigen, dass bei den über 18-Jährigen eine Impfung bereits eine gute Immunität bewirkt, unsere Ergebnisse zeigen auch, dass diejenigen, die den Impfstoff mit Adjuvanz bekamen, vorübergehend etwas häufiger Schmerzen an der Einstichstelle empfunden haben, andere Lokalreaktionen, wie Verhärtung, Rötung, Schwellung, insbesondere aber auch die systemischen Nebenwirkungen wie Kopf und Gliederschmerzen, Fieber und so weiter waren gleich verteilt bei denjenigen, die einen adjuvantierten Impfstoff bekommen haben und denjenigen, die einen ohne Adjuvanz bekommen haben."

    Jakob Cramer sagt deshalb: Die Impfstoffe mit Wirkverstärker sind sicher. Denn sie sind schon lange ausführlich getestet und zugelassen.

    Drei Schweinegrippe-Impfstoffe dürfen in Europa eingesetzt werden – Pandemrix von Glaxo Smith Kline, Focetria von Novartis und Celvapan von Baxter. Alle drei wurden schon vor Jahren entwickelt, an Tausenden Probanden getestet, für wirksam und sicher befunden - als Impfstoff gegen die Vogelgrippe H5N1. Zu einer Vogelgrippe-Pandemie ist es damals nicht gekommen, das Virus ließ sich nicht von Mensch zu Mensch übertragen. Doch im Falle einer Pandemie sollte man künftig einfach das Antigen austauschen können und so schnell einen passenden Impfstoff zur Hand haben. Das Vogelgrippen-Antigen H5N1 wird also einfach durch das Schweinegrippen-Antigen H1N1 ersetzt. Der Rest der Rezeptur bleibt gleich. Musterzulassung heißt dieses Verfahren.

    Der Hilfsstoff auf Öl-Basis ist auf dem Impfmarkt ebenfalls bekannt. Seit mehr als zehn Jahren ist sie einem saisonalen Grippeimpfstoff für über 60-Jährige beigemischt und wurde, nach Angaben der europäischen Zulassungsbehörde EMEA, bereits 45 Millionen Mal verimpft. Schwere Nebenwirkungen seien nicht bekannt, sagt Jakob Cramer.

    "Also es ist mitnichten so, dass irgendeiner dieser drei Impfstoffe eine Neuerfindung wäre, auch das Adjuvanz ist keine Neuerfindung, man hat sehr, sehr viele Daten. Also aus meiner Sicht ist es nicht richtig zu sagen, das seien jetzt neue Versuche, man wisse noch nichts darüber. Das stimmt nicht."

    In Schweden wird der Impfstoff Pandemrix sogar schon seit einer Woche verimpft. 70.000 Menschen haben den Impfstoff bereits erhalten und nach Angaben des Robert Koch Instituts auch sehr gut vertragen. Nur zwei allergische Reaktionen seien aufgetreten. Doch es gibt im Internet auch Berichte über eine ganze Reihe schwerer Nebenwirkungen in Schweden. Offenbar ist auch ein Mann direkt nach der Impfung gestorben. Ob es einen Zusammenhang mit der Impfung gibt, ist noch nicht klar; der Mann war schwer herzkrank. Der Fall wird jetzt überprüft.

    Dennoch müssen sich die zuständigen Stellen die Frage gefallen lassen, warum sie auf den Impfstoff mit Hilfsmitteln gesetzt haben. Eine Erklärung: Es musste schnell möglichst viel Impfstoff für einen großen Teil der Bevölkerung her:

    Rückblick: Mexiko im April 2009. Ein neuartiges Virus hält das Land in Atem. Die Influenza A H1N1 ist vom Schwein auf den Menschen übergesprungen. Gesundheitsbehörden und Wissenschaftler sind besorgt: Das Virus ist hoch ansteckend, und es scheint besonders junge Menschen zu befallen. Sie vermuten, dass die meisten Menschen keinen Immunschutz gegen den Erreger haben. Innerhalb weniger Wochen wütet das Virus weltweit: in Mexiko, in Nordamerika, in Australien und Neuseeland, schließlich auch in Europa. Es gibt schwere Verläufe, die ersten Toten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO ruft die höchste Pandemie-Warnstufe aus.

    Die Gesundheitssysteme haben sich seit Jahren auf so einen Ernstfall vorbereitet. Pharmafirmen beginnen mit der Entwicklung von Impfstoffen. In Deutschland gibt es einen nationalen Pandemieplan. Er sieht vor, dass die Länder ihre Vorräte an Grippemedikamenten aufstocken. Kranke werden sofort isoliert, Kontaktpersonen ausfindig gemacht und vorbeugend behandelt. Befallene Kindergärten und Schulen bleiben geschlossen. Maßnahmen, die gefruchtet haben, sagt Jörg Hacker, der Präsident des Robert-Koch-Instituts in Berlin.

    "Ich denke, dass die Tatsache, dass wir insgesamt weltweit milde Verläufe haben, auch in Deutschland insgesamt ganz gut mit der Situation umgegangen sind, hat sicherlich schon damit zu tun, dass wir im Gegensatz zu der Situation vor zehn Jahren oder 15 Jahren doch stärker darauf vorbereitet waren."

    Und es gibt noch einen Glücksfall. Das Virus scheint relativ harmlos zu sein, die Infektionen verlaufen in den meisten Fällen glimpflich und lassen sich gut mit Grippemitteln in den Griff bekommen. Trotzdem planen 160 Regierungen rund um den Globus Massenimpfungen. Denn Grippeviren sind unberechenbar. Sie können ihr Erbgut schnell verändern und gefährlicher werden. Oder resistent gegen Grippemedikamente. Und auf der nördlichen Halbkugel steht die eigentliche Grippesaison im Winter erst noch bevor. Im Moment steigen die Infektionszahlen in Europa wieder an. Allein in Deutschland werden etwa 1000 neue Fälle pro Woche registriert. H1N1 ist inzwischen für jede vierte Atemweginfektion in Europa verantwortlich.

    "Wenn wir mehr Fälle kriegen in Deutschland, dann werden wir auch mehr schwere Verläufe haben. Der zweite Punkt ist in der Tat, dass wir nicht wissen, wie das Virus sich verhalten wird, ob es so stabil bleibt und damit auch eher milde Verläufe indiziert, oder ob es sich verändert und eine stärkere krankmachende Wirkung entfaltet. Und all das zusammen rechtfertigt aus meiner Sicht schon, sich impfen zu lassen. Stellen Sie sich vor, es gäbe jetzt keinen Impfstoff, und das Virus kommt nach Deutschland und verbreitet sich und macht schwere Verläufe. Das wäre doch ein Szenario, das wir uns nicht wünschen können."

    Weder für den einzelnen Patienten, noch volkswirtschaftlich. Denn Pandemien können erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft haben – wenn auch nicht auf Dauer, sagt Boris Augurzky, Gesundheitsökonom des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen. Der Volkswirt hat untersucht, wie groß die wirtschaftlichen Schäden waren, die Pandemien in der Vergangenheit verursacht haben. Es hält die dabei errechneten Zahlen auch im Fall einer Schweinegrippepandemie für belastbar.

    "Es gibt da verschiedene Annahmen, wie viele Menschen der Bevölkerung erkranken könnten. In einem milden Szenario geht man von etwa 15 Prozent der Bevölkerung aus, in einem mittleren von 30 Prozent und in einem schweren von 50 Prozent, also jeder Zweite wäre erkrankt. Und wenn man das dann durchrechnet, wie viele Krankenhaustage das sind, wie viele Fehlzeiten in Unternehmen, geht man in diesem starken Szenario davon aus, dass das BIP um 3,6 Prozent sinkt. Das heißt, wir haben also eine Delle von über drei Prozentpunkten, das schon sehr erheblich ist. Allerdings begrenzt auf einen engen Zeitraum, auf das Jahr, in dem die Pandemie stattfindet."

    Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung geht in seiner Studie zur Schweinegrippe von einer Grippewelle von 90 Tagen aus und legt eine durchschnittliche individuelle Erkrankungszeit von zehn Tagen zugrunde. Das können am Ende durchaus große Zahlen sein – auch und gerade vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise. Das bundesdeutsche Bruttoinlandsprodukt, das BIP, beträgt zurzeit rund 2000 Milliarden Euro. Ein bis drei Prozent sind dann schon 20 bis 60 Milliarden Euro.

    Als Beleg führt Augurzky unter anderem die Seuche SARS an. Die Lungenkrankheit brach 2003 in Südostasien aus. Rund 1000, vor allem ältere Menschen starben in 25 Ländern, bis die Seuche nach vier Monaten eingedämmt wurde. Kurz darauf rutschten Singapur und Hongkong in eine Rezession. Das Tourismusgeschäft in den betroffenen Regionen brach ein - zeitweise um 70 Prozent, der Einzelhandel um 30 Prozent. Am Ende kostete die Lungenkrankheit die Länder im Osten und Südosten Asiens nach Schätzungen der Asiatischen Entwicklungsbank rund 18 Milliarden Dollar. Nach einem Jahr jedoch hatten sich die betroffenen Volkswirtschaften wieder erholt. Denn es gibt zum Beispiel einen Unterschied etwa zu großen Naturkatastrophen. Der Volkswirtschaftler Boris Augurzky:

    "Eine Pandemie – anders als eine andere Naturkatastrophe, wie etwa ein Tsunami – vernichtet ja keine Produktionsstätten. Die stehen ja alle. Und nach Ende der Pandemie können alle wieder zurück zur Arbeit. Und wenn wir davon ausgehen, dass es auch kaum Todesfälle gibt, werden auch alle da sein, um zurück zur Arbeit zu gehen. Da kann man also von heute auf morgen den Hebel umdrehen und wieder produzieren. Das andere ist der Konsum, der auch in vielen Fällen dann eher verschoben wird, als ausfallen dürfte, sodass wir dann wieder ein gewisses Aufholen erwarten und die Lage sich dadurch mehr als stabilisieren dürfte."

    Trotzdem haben sich vor allem große, für die Infrastruktur eines jeden Landes wichtige Unternehmen seit Langem auf die Pandemie vorbereitet. Zum Beispiel die Telekom in Bonn. Der Telefondienstleister für Unternehmen und Privathaushalte in aller Welt fühlt sich gut gerüstet für die Schweinegrippe.

    Der Notfallplan der Telekom sieht vor, dass alle Teilbereiche des Konzerns auch dann noch funktionstüchtig bleiben, wenn ein Großteil der Mitarbeiter krankheitsbedingt ausfallen würde. Was für die Telekom gilt, gilt noch mehr zum Beispiel für wichtige Infrastrukturversorger. Beispiel: die Energieunternehmen. Sie müssen selbst dann noch Strom und Wärme liefern, wenn ein Großteil der eigenen Bediensteten zuhause oder im Krankenhaus im Bett liegt. Vor allem sie hat Ralph Tiesler im Blick. Tiesler ist Leitender Regierungsdirektor und Vizepräsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz in Bonn. Für ihn spielen Gesundheitsrisiken durch Pandemien im Bevölkerungsschutz eine immer größere Rolle. Ralph Tiesler:

    "Wir können eine Pandemie nicht verhindern. Das ist ja auch jetzt schon erkennbar. Aber wir können eine ganze Menge dafür tun, durch die Maßnahmen, die wir jetzt ergreifen, dass es am Ende nicht so schlimm verläuft, wie wir erwarten."

    Doch die Bevölkerung wird zunehmend verunsichert. Als vor zwei Wochen durchsickerte, dass Bundeswehr und Bundesregierung einen anderen Impfstoff erhalten – Celvapan, ohne Wirkverstärker – argwöhnten viele, dass sich die Politiker schnell den vermeintlich sichereren Impfstoff mit weniger Nebenwirkungen besorgt hätten. Die ständige Impfkommission hat außerdem empfohlen, die von der Schweinegrippe besonders gefährdeten Schwangeren ebenfalls mit einer Vakzine ohne Adjuvanz zu impfen. Wie andere Impfungen und Medikamente ist auch der Impfstoff Pandemrix, den alle bekommen sollen, im Rahmen der Zulassungsstudien nicht an Schwangeren getestet worden; zurzeit fehlen noch Erfahrungswerte. Das Bundesgesundheitsministerium bemüht sich jetzt um einen nicht-adjuvantierten Impfstoff für Schwangere – vielleicht noch bis Ende November. Wird die Massenimpfung ein Flop – oder vielleicht doch noch eine Erfolgsstory?

    "Derzeit sind einige Unsicherheiten in dieser Aussage, und ich glaube, eine Erfolgsstory setzt durchaus voraus, dass man belastbare Daten hat, und die werden wir erst in einem Jahr oder einem halben Jahr haben."

    Bei einer Grippewelle mit normalen, saisonalen Viren sterben in Deutschland 8000 bis 15.000 Menschen. Prognosen für die kommende Saison abzugeben, ist schwierig. Niemand kann vorhersagen, wie sich das Virus verhält. Die ständige Impfkommission will deshalb den Verlauf genau beobachten und ihre Impfempfehlungen an die Situation anpassen. Wenn man wissen will, was der nördlichen Halbkugel bevorsteht, dann lohnt sich ein Blick auf die Südhalbkugel unseres Planeten. Die Länder dort haben die Grippesaison nämlich schon hinter sich. Ohne Schweinegrippe-Impfstoff, der war noch nicht produziert. Noch einmal Jörg Hacker vom Robert-Koch-Institut:

    "Wenn man auf die südliche Halbkugel guckt, so hat sich das Virus dort unterschiedlich stark verbreitet in den Ländern, es hat aber überall zu einer Verdrängung geführt der saisonalen Viren."

    Die Verdrängung der saisonalen Viren war unterschiedlich stark. In Argentinien beherrschten die H1N1-Viren die Grippe-Saison fast vollständig. Mit einem überraschenden Effekt. An der saisonalen Grippe sterben jedes Jahr um die 3000 Argentinier, in diesem Jahr gab es durch die milde Schweinegrippe nur 400 Tote. Solch ein Szenario wäre auch in Europa theoretisch denkbar, sagt Jörg Hacker.

    "Es ist durchaus möglich, dass das Virus sich ausbreitet, es auch zu schweren Verläufen kommt, aber wir weniger Todesfälle finden werden, als das bei starken Jahrgängen der saisonalen Grippe der Fall ist, aber das sind Spekulationen, die letztlich darauf beruhen, dass wir davon ausgehen, dass das Virus sich nicht verändert. Und das können wir nicht unbedingt erwarten. Eine einzige Mutation kann das Virus schon gefährlicher machen und damit auch krankmachender."

    Beate Schur, Diabetologin an der Poliklinik in Potsdam, ist vorbereitet. Wie alle anderen Ärzte wird sie die Impfung sorgfältig dokumentieren, Nebenwirkungen erfassen und melden. Auf diese Weise wird sie mithelfen, die Sicherheit von Pandemrix während der Impfung weiter zu überprüfen. Dass Impfwillige ihre Praxis stürmen, glaubt sie nicht. Und das sei nicht allein der Diskussion um Adjuvanzien und Zwei-Klassen-Impfstoffen geschuldet.
    "Ich glaube, das war nur das I-Tüpfelchen, die Bereitschaft zu impfen war vorher schon nicht sehr groß, die Zahlen in Deutschland sind viel geringer als in anderen Ländern, die Verläufe sind milder, und das macht bei den Patienten kein großes Bedrohungsgefühl aus. Das heißt, grundsätzlich kann man sagen, die Patienten haben die neue Grippe nicht ernst genommen hier."