Jörg Biesler: An den Hochschulen arbeiten alle prekär, es sei denn, sie sind Professoren oder Angestellte im nicht wissenschaftlichen Dienst. Der gesamte Mittelbau, der wissenschaftliche Nachwuchs also, ist bis auf wenige Ausnahmen zeitlich befristet beschäftigt, oft in Projekten, und diese Arbeitsverträge laufen oft nur wenige Monate. Keine guten Aussichten, zumal am Ende dieser beruflichen Wackelpartie die Frage steht: Aufstieg zur Professur oder Abstieg in die Arbeitslosigkeit? Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat vor gut zwei Jahren das Templiner Manifest verabschiedet, das die Arbeitsverhältnisse an den Hochschulen grundlegend ändern soll. Heute trifft sich die GEW in Berlin, um über das Verhältnis von guter Forschung und Lehre und guter Arbeit zu sprechen. Andreas Keller ist im Hauptvorstand der GEW, Tag, Herr Keller!
Andreas Keller: Tag, Herr Biesler!
Biesler: Die Misere junger Wissenschaftler ist allgemein bekannt. Vielleicht schaffen sie es noch mit einem befristeten Job oder Stipendium zur Promotion, aber dann wird es doch schwer. Wo liegt denn wohl eigentlich der Grund dafür, warum das an deutschen Hochschulen so sein muss, von ganz wenigen Ausnahmen mal abgesehen?
Keller: Das sind eine ganze Reihe an Gründen. Also, ein Grund ist natürlich, dass die Hochschulen überhaupt mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz ein Instrument an der Hand haben, wo die immer wieder Zeitverträge abschließen können, was Arbeitgeber in der Privatwirtschaft gar nicht könnten, weil, da gilt das allgemeine Arbeitsrecht, wo der Zeitvertrag die Ausnahme ist. Ein anderer Grund: Immer mehr Geld fließt in die Hochschule in Form von Projektgeldern, also Drittmittel, auch die Exzellenzinitiative ist ein großes Beispiel. Die Hochschulen kriegen Geld für ein paar Jahre und wissen nicht, wie es danach weitergeht. Und dann greifen sie auch zum Instrument des Zeitvertrages, um da auf Nummer sicher zu gehen.
Biesler: Klingt – ich sage das jetzt mal ganz bösartig –, als sei das politisch gewollt!
Keller: Natürlich ist es politisch gewollt, dass die Hochschulen anders finanziert werden, die Grundfinanzierung stagniert und die Hochschulen stärker über Drittmittel gesteuert werden. Auf der anderen Seite ist die Schlussfolgerung, dass man mit diesem befristet zugewiesenen Geld nur noch Zeitverträge abschließt, auch nicht zwingend. Natürlich könnte eine Hochschule, die vorausschauend in die Zukunft schaut, sagen, okay, ich werde auch morgen und übermorgen Drittmittel einwerben, also nehme ich einen Teil dieses Geldes, um dann auch Kolleginnen und Kollegen längerfristige Perspektiven zu geben. Und vor allem aber – und das ist eine Sache, die überhaupt nicht im System angelegt ist – kann eine Hochschule sagen, ich versuche, die Vertragsdauer für die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so lang wie möglich zu machen. Wenn ich also zum Beispiel ein Drittmittelprojekt für fünf Jahre kriege, warum eigentlich gebe ich dann den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nur Sechsmonats- oder Zwölfmonatsverträge und schöpfe diese fünf Jahre nicht aus? Das ist eine zentrale Frage, die wir mit dem Herrschinger Kodex thematisieren.
Biesler: Heute geht es bei Ihnen um den Kodex guter Arbeit in der Wissenschaft. Wie sieht der aus?
Keller: Der Kodex für gute Arbeit in der Wissenschaft, der sogenannte Herrschinger Kodex, der in Herrsching vor wenigen Wochen erarbeitet worden ist, der setzt nun auf der Handlungsebene der Hochschulen an. Beispielsweise fordern wir die eben angesprochenen Mindestvertragslaufzeiten für Zeitverträge oder wir fordern, dass die Hochschulen und Forschungseinrichtungen die wissenschaftspolitische Komponente des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes auch wirklich anwenden, ein Instrument, das es ihnen ermöglicht, Zeitverträge mit Wissenschaftlern oder Wissenschaftlerinnen, die Kinder betreuen, unbürokratisch zu verlängern.
Biesler: Jetzt gibt es ja schon einige Aktionen der Hochschulen, die in die Richtung gehen, die Sie sich auch wünschen. Ich weiß nicht, ob das auf Ihre Initiative zurückzuführen ist oder ob die Hochschulen da ihr ganz eigenes Süppchen kochen – den Eindruck habe ich, ehrlich gesagt, eher –, aber es gibt zum Beispiel die Technische Universität in München und auch die Ludwig-Maximilians-Universität, die sogenannte Tenure-Track-Verfahren einrichten. Das heißt, dass jemand, der zum Beispiel eine Promotion abgeschlossen hat, dann anschließend nicht auf so eine Assistentenstelle kommt, wie das häufig der Fall ist, oder wissenschaftliche Mitarbeiterstelle, sondern so eine Art Assistant Professorship kriegt – das ist orientiert am amerikanischen System, das hört man gleich – und dann sozusagen Schritt für Schritt weitergeleitet wird. Ist das eine gute Entwicklung nach Ihrer Meinung?
Keller: Zunächst mal ist es gut, dass die Hochschulen merken, dass sie auch den qualifizierten Leuten was bieten müssen. Denn der Wettbewerbsdruck ist ja enorm. An einer Hochschule verdient man nicht nur deutlich weniger Geld als in der Industrie oder im Ausland in der Regel, sondern hat eben auch diese unsicheren Perspektiven. Und das hat mit dazu beigetragen, sicher auch neben unserer Kampagne, dass sich jetzt einige Hochschulen Gedanken machen. Und mit unserem Kodex wollen wir ja genau diese Prozesse befördern. Richtig ist auch, was in München diskutiert wird, dass man sich mal anschaut, welche Perspektiven haben eigentlich Postdocs, promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ja schon enorme Qualifikationen und Erfahrungen vorweisen können. Denen muss eine Universität, das ist meine Überzeugung, auch eine klare Ansage machen können, dass sie im System Wissenschaft bleiben können, wenn sie die Leistungen erbringen, die mit ihnen vereinbart werden. Und deswegen geht in der Tat der Gedanke Tenure-Track in die richtige Richtung. Postdocs müssen ein Angebot bekommen, dass sie auf Dauer in der Wissenschaft bleiben können. Und deswegen begrüße ich auch von der Richtung her das, was in der LMO in München diskutiert wird. Das Problem ist natürlich in München, das ist ein Exzellenzprojekt an einer Exzellenzuniversität, von denen nur wenige profitieren werden. Wir brauchen Modelle, die natürlich in der Fläche den Postdocs verlässliche Perspektiven geben.
Biesler: Da sind wir jetzt eigentlich wieder am Anfang unseres Gespräches, nämlich dabei, was eigentlich politisch gewollt wird. Wie hoch schätzen Sie denn die Chancen ein, dass der politische Wille sich da mal ändert und zum Beispiel so etwas wie das Zeitvertragsgesetz einfach vom Tisch kommt?
Keller: Also, wir sind da eigentlich schon relativ nahe dran. Denn mittlerweile haben auch als Reaktion auf unser Templiner Manifest, auf unsere Kampagne für den Traumjob Wissenschaft, alle Bundestagsfraktionen Anträge vorgelegt. – Die nun allerdings einen Nachteil haben: Die Regierungsfraktionen sagen, wir brauchen im Moment noch keine Gesetzesänderung, die setzen auf Appelle an die Hochschulen, die setzen auch teilweise auf die Idee, dass die Hochschulen über die Bund-Länder-Finanzierung mit sanftem Druck dahin bewegt werden sollen, Karrierewege zu reformieren. Richtig wäre in der Tat, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu ändern. Das ist eine Forderung der GEW, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz sollte mindestens, mindestens dahin gehend geändert werden, dass die Tarifsperre aufgehoben wird. Denn diese Tarifsperre, die verbietet im Moment uns Gewerkschaften, mit den Arbeitgebern Alternativen zum Beispiel zur Sechs-plus-sechs-Jahresregelung auszuhandeln. Und das ist eigentlich schon seltsam, dass alle Welt vom Föderalismus redet und von der Hochschulautonomie redet, aber Gewerkschaften und Arbeitgeber können nicht mal so eine ganz zentrale Frage wie Zeitverträge in der Wissenschaft regeln!
Biesler: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft berät heute über das Templiner Manifest, und zwar ganz konkret über einen Kodex guter Arbeit an den Hochschulen. Darüber habe ich kurz vor der Sendung gesprochen mit Andreas Keller, Hauptvorstand der GEW.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Andreas Keller: Tag, Herr Biesler!
Biesler: Die Misere junger Wissenschaftler ist allgemein bekannt. Vielleicht schaffen sie es noch mit einem befristeten Job oder Stipendium zur Promotion, aber dann wird es doch schwer. Wo liegt denn wohl eigentlich der Grund dafür, warum das an deutschen Hochschulen so sein muss, von ganz wenigen Ausnahmen mal abgesehen?
Keller: Das sind eine ganze Reihe an Gründen. Also, ein Grund ist natürlich, dass die Hochschulen überhaupt mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz ein Instrument an der Hand haben, wo die immer wieder Zeitverträge abschließen können, was Arbeitgeber in der Privatwirtschaft gar nicht könnten, weil, da gilt das allgemeine Arbeitsrecht, wo der Zeitvertrag die Ausnahme ist. Ein anderer Grund: Immer mehr Geld fließt in die Hochschule in Form von Projektgeldern, also Drittmittel, auch die Exzellenzinitiative ist ein großes Beispiel. Die Hochschulen kriegen Geld für ein paar Jahre und wissen nicht, wie es danach weitergeht. Und dann greifen sie auch zum Instrument des Zeitvertrages, um da auf Nummer sicher zu gehen.
Biesler: Klingt – ich sage das jetzt mal ganz bösartig –, als sei das politisch gewollt!
Keller: Natürlich ist es politisch gewollt, dass die Hochschulen anders finanziert werden, die Grundfinanzierung stagniert und die Hochschulen stärker über Drittmittel gesteuert werden. Auf der anderen Seite ist die Schlussfolgerung, dass man mit diesem befristet zugewiesenen Geld nur noch Zeitverträge abschließt, auch nicht zwingend. Natürlich könnte eine Hochschule, die vorausschauend in die Zukunft schaut, sagen, okay, ich werde auch morgen und übermorgen Drittmittel einwerben, also nehme ich einen Teil dieses Geldes, um dann auch Kolleginnen und Kollegen längerfristige Perspektiven zu geben. Und vor allem aber – und das ist eine Sache, die überhaupt nicht im System angelegt ist – kann eine Hochschule sagen, ich versuche, die Vertragsdauer für die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so lang wie möglich zu machen. Wenn ich also zum Beispiel ein Drittmittelprojekt für fünf Jahre kriege, warum eigentlich gebe ich dann den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nur Sechsmonats- oder Zwölfmonatsverträge und schöpfe diese fünf Jahre nicht aus? Das ist eine zentrale Frage, die wir mit dem Herrschinger Kodex thematisieren.
Biesler: Heute geht es bei Ihnen um den Kodex guter Arbeit in der Wissenschaft. Wie sieht der aus?
Keller: Der Kodex für gute Arbeit in der Wissenschaft, der sogenannte Herrschinger Kodex, der in Herrsching vor wenigen Wochen erarbeitet worden ist, der setzt nun auf der Handlungsebene der Hochschulen an. Beispielsweise fordern wir die eben angesprochenen Mindestvertragslaufzeiten für Zeitverträge oder wir fordern, dass die Hochschulen und Forschungseinrichtungen die wissenschaftspolitische Komponente des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes auch wirklich anwenden, ein Instrument, das es ihnen ermöglicht, Zeitverträge mit Wissenschaftlern oder Wissenschaftlerinnen, die Kinder betreuen, unbürokratisch zu verlängern.
Biesler: Jetzt gibt es ja schon einige Aktionen der Hochschulen, die in die Richtung gehen, die Sie sich auch wünschen. Ich weiß nicht, ob das auf Ihre Initiative zurückzuführen ist oder ob die Hochschulen da ihr ganz eigenes Süppchen kochen – den Eindruck habe ich, ehrlich gesagt, eher –, aber es gibt zum Beispiel die Technische Universität in München und auch die Ludwig-Maximilians-Universität, die sogenannte Tenure-Track-Verfahren einrichten. Das heißt, dass jemand, der zum Beispiel eine Promotion abgeschlossen hat, dann anschließend nicht auf so eine Assistentenstelle kommt, wie das häufig der Fall ist, oder wissenschaftliche Mitarbeiterstelle, sondern so eine Art Assistant Professorship kriegt – das ist orientiert am amerikanischen System, das hört man gleich – und dann sozusagen Schritt für Schritt weitergeleitet wird. Ist das eine gute Entwicklung nach Ihrer Meinung?
Keller: Zunächst mal ist es gut, dass die Hochschulen merken, dass sie auch den qualifizierten Leuten was bieten müssen. Denn der Wettbewerbsdruck ist ja enorm. An einer Hochschule verdient man nicht nur deutlich weniger Geld als in der Industrie oder im Ausland in der Regel, sondern hat eben auch diese unsicheren Perspektiven. Und das hat mit dazu beigetragen, sicher auch neben unserer Kampagne, dass sich jetzt einige Hochschulen Gedanken machen. Und mit unserem Kodex wollen wir ja genau diese Prozesse befördern. Richtig ist auch, was in München diskutiert wird, dass man sich mal anschaut, welche Perspektiven haben eigentlich Postdocs, promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ja schon enorme Qualifikationen und Erfahrungen vorweisen können. Denen muss eine Universität, das ist meine Überzeugung, auch eine klare Ansage machen können, dass sie im System Wissenschaft bleiben können, wenn sie die Leistungen erbringen, die mit ihnen vereinbart werden. Und deswegen geht in der Tat der Gedanke Tenure-Track in die richtige Richtung. Postdocs müssen ein Angebot bekommen, dass sie auf Dauer in der Wissenschaft bleiben können. Und deswegen begrüße ich auch von der Richtung her das, was in der LMO in München diskutiert wird. Das Problem ist natürlich in München, das ist ein Exzellenzprojekt an einer Exzellenzuniversität, von denen nur wenige profitieren werden. Wir brauchen Modelle, die natürlich in der Fläche den Postdocs verlässliche Perspektiven geben.
Biesler: Da sind wir jetzt eigentlich wieder am Anfang unseres Gespräches, nämlich dabei, was eigentlich politisch gewollt wird. Wie hoch schätzen Sie denn die Chancen ein, dass der politische Wille sich da mal ändert und zum Beispiel so etwas wie das Zeitvertragsgesetz einfach vom Tisch kommt?
Keller: Also, wir sind da eigentlich schon relativ nahe dran. Denn mittlerweile haben auch als Reaktion auf unser Templiner Manifest, auf unsere Kampagne für den Traumjob Wissenschaft, alle Bundestagsfraktionen Anträge vorgelegt. – Die nun allerdings einen Nachteil haben: Die Regierungsfraktionen sagen, wir brauchen im Moment noch keine Gesetzesänderung, die setzen auf Appelle an die Hochschulen, die setzen auch teilweise auf die Idee, dass die Hochschulen über die Bund-Länder-Finanzierung mit sanftem Druck dahin bewegt werden sollen, Karrierewege zu reformieren. Richtig wäre in der Tat, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu ändern. Das ist eine Forderung der GEW, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz sollte mindestens, mindestens dahin gehend geändert werden, dass die Tarifsperre aufgehoben wird. Denn diese Tarifsperre, die verbietet im Moment uns Gewerkschaften, mit den Arbeitgebern Alternativen zum Beispiel zur Sechs-plus-sechs-Jahresregelung auszuhandeln. Und das ist eigentlich schon seltsam, dass alle Welt vom Föderalismus redet und von der Hochschulautonomie redet, aber Gewerkschaften und Arbeitgeber können nicht mal so eine ganz zentrale Frage wie Zeitverträge in der Wissenschaft regeln!
Biesler: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft berät heute über das Templiner Manifest, und zwar ganz konkret über einen Kodex guter Arbeit an den Hochschulen. Darüber habe ich kurz vor der Sendung gesprochen mit Andreas Keller, Hauptvorstand der GEW.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.