Der Streit in der AfD zwischen dem gemäßigten und dem rechtsgerichteten Lager geht in die nächste Runde: Der bisherige Co-Vorsitzende Jörg Meuthen hat in einem Rundschreiben an die Parteimitglieder verkündet, dass er bei der Neuwahl des Parteivorstandes im Dezember nicht mehr antritt.
Schon bei der Wahl der Fraktionsvorsitzenden war es zu hitzigen Beratungen und kontroversen Debatten gekommen. Die beiden Spitzenkandidaten Alice Weidel und Tino Chrupalla wurden letztlich zur neuen Doppelspitze gewählt – mit nur 66 Prozent der Stimmen.
Bei der Bundestagswahl hatte die AfD 10,3 Prozent der Zweitstimmen erhalten. Sie lag damit unter ihrem Ergebnis von 2017. Statt wie bisher drittstärkste, ist die AfD jetzt nur noch fünftstärkste Kraft im Parlament.
Bei der Interpretation des Wahlabschneidens kommt es zum offenen Schlagabtausch zwischen dem gemäßigten und dem rechtsgerichteten Lager innerhalb der Partei. Offene Risse traten auch in Bezug auf mehrere Personen auf.
Der Machtkampf in der Partei wird in der Fraktion anhand von Strukturfragen ausgetragen. Zentraler Streitpunkt bei der Wahl zum Fraktionsvorsitz war die sogenannte Arbeitsordnung, die die Wahlen des Vorstands regelt. Bislang bestand die Fraktionsspitze aus Alexander Gauland und Alice Weidel. Die waren als Team gewählt worden. Das bedeutet: Sie können nur als Team wieder abgewählt werden. Nach Alexander Gaulands Rückzug als Co-Vorsitzender wollte Alice Weidel das gleiche Verfahren noch einmal mit Tino Chrupalla anwenden.
Eine Gruppe von Abgeordneten - Weidels alte Kontrahenten aus dem Landesverband Baden-Württemberg - lehnten eine Team-Abstimmung jedoch ab. Sie wollte die Arbeitsordnung dahingehend ändern, dass die Co-Vorsitzenden nur jeweils einzeln gewählt und wieder abgewählt werden können.
Der einstige Mitbegründer der AfD und jetzige Bundestagsabgeordnete, Kay Gottschalk, kritisierte die Auseinandersetzung. Der Streit über die Führungsstruktur habe ihn sehr betroffen gemacht, sagte Gottschalk im Deutschlandfunk. Die Partei habe aus der Vergangenheit offenbar wenig gelernt. Statt ineffiziente und völlig unnötige Debatten zu führen, hätte er sich mehr Geschlossenheit gewünscht, so Gottschalk.
Am Ende erhielt der Antrag, das Prinzip der Team-Wahl abzuschaffen, keine Mehrheit. Die Abstimmung darüber zeigte zugleich, wie gespalten die neue Fraktion ist: Jeweils 37 Abgeordnete stimmten für und gegen die getrennte Wahl der Co-Vorsitzenden.
Besonders eine Personalie löste eine kontroverse Debatte und Streitigkeiten innerhalb der Fraktion aus: Matthias Helferich, Abgeordneter aus NRW. Dabei ging es vor allem um die Frage der Abgrenzung nach rechts. Helferich hatte sich 2017 in einem nicht öffentlichen Facebook-Chat als "das freundliche Gesicht des NS" bezeichnet, wie ein vom WDR veröffentlichter Screenshot zeigt. Später ruderte er zurück, er habe das nicht so ernst gemeint. Auch nannte er sich "demokratischer Freisler" - Bezug nehmend auf den Juristen Roland Freisler, der während der Diktatur der Nationalsozialisten als Präsident des Volksgerichtshofes tausende Todesurteile verantwortete.
Der AfD-Bundesvorstand hatte Anfang August beschlossen, Helferich seines Amtes als stellvertretender NRW-Landesvorsitzender zu entheben und ihn mit einer Ämtersperre zu belegen. Zugleich scheiterte Ko-Parteichef Meuthen damit, auch ein Parteiausschlussverfahren gegen Helferich anzustrengen. In ihrer Sitzung berieten die AfD-Abgeordneten stundenlang, ob sie Helferich in die Fraktion aufnehmen sollten. Zu einer Abstimmung kam es am Ende nicht, da Helferich zuvor freiwillig darauf verzichtet hatte, an der Fraktionssitzung teilzunehmen. Offenbar will er sich um einen Gaststatus in der Fraktion bewerben. Das würde bedeuten, dass er an deren Sitzungen teilnehmen, aber nicht mit abstimmen dürfte. Die AfD-Fraktion umfasst damit nur 82 Abgeordnete.
Parteikollege Kay Gottschalk, der gemeinsam mit Matthias Helferich im Wahlkampf auftrat, verteidigte den Abgeordneten aus NRW. Er halte die Vorwürfe für teilweise absurd und aus dem Kontext gezogen, sagte Gottschalk im Deutschlandfunk. Es sei jetzt Aufgabe der Gerichte, die Dinge zu klären.
Eine kontroverse Debatte gab es nach Angaben von Teilnehmern der Fraktionssitzung auch über den Vorschlag, den scheidenden Co-Fraktionschef Alexander Gauland zum Ehrenvorsitzenden der Faktion zu machen. Das ehemalige CDU-Mitglied war über Jahre eine der mächtigsten Figuren in der Partei. Angehörige des gemäßigten Lagers werfen ihm jedoch vor, er habe die Partei zu weit nach rechts geöffnet. Die Diskussion über den Ehrenvorsitz sei teilweise etwas "ruppig" geführt worden, berichteten Teilnehmer.
Am Ende verankerte die Fraktion dann aber doch die Position eines Ehrenvorsitzenden ohne Stimmrecht in ihrer Geschäftsordnung und wählte Gauland in das neu geschaffene Amt. Der 80-Jährige gehört auch dem Bundesparteivorstand als Ehrenvorsitzender an.
Nach der Ankündigung, dass Jörg Meuthen beim kommenden Parteitag nicht mehr für den Parteivorsitz kandidiert, hat die Diskussion um seine Nachfolge begonnen. Meuthen stand zuletzt für den gemäßigteren Teil der AfD. Während er anfangs mit dem rechtsextremen Flügel in der Partei zusammengearbeitet hat, hat er sich in den späteren Jahren von diesem distanziert und für einen an konservative Milieus anschlussfähigen Kurs plädiert.
Seine Nachfolge ist somit eng verbunden mit der weiteren Ausrichtung der Partei und nicht zuletzt auch mit dem geographischen Fokus. Während die AfD im Osten große Gewinne verzeichnen kann, sind die Wahlerfolge der AfD bei der Bundestagswahl im Westen eher bescheiden gewesen. Einige sprechen sich daher für eine stärkere Ost-Ausrichtung der AfD aus, erklärt der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder im Deutschlandfunk.
Schroeder sagt aber auch, dass "im Westen, bei entsprechender Mobilisierung, mehr Potenzial da ist". Das habe man an den zurückliegenden Wahlerfolgen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sehen können. Deswegen geht er davon aus, dass die AfD weiter gesamtdeutsch auftreten wolle. Das könnte sich auch in der Parteiführung widerspiegeln.
Björn Höcke wird nach Auffassung von Schroeder nicht an die Parteispitze rücken. Aber: "Ich glaube, dass man ihn in das weitere Parteigremium aufnimmt", sagte Schoeder: "Vermutlich wird man den jetzigen Vorsitzenden des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen Rüdiger Lucassen stärker in die Verantwortung einbindet."
Rüdiger Lucassen sprach sich im Deutschlandfunk derweilen gegen eine erneute Doppelspitze aus. Nun bräuchte es eine Einzel-Spitze, die Ost und West in der Partei versöhne. Er äußerte sich jedoch nicht dazu, ob er zur Wahl antritt.
Der jetzige aus Sachsen stammende Co-Vorsitzende, Tino Chrupalla, hatte bereits angekündigt erneut zu kandidieren. Jörg Meuthen hatte derweilen den Nachrichtenportal t-online gesagt, er wüsste, dass viele in der Partei sich über seinen Rückzug freuen würden (12.10.2021). "Doch deren Freude wird nicht von Dauer sein", so Meuthen weiter: "Denn wenn sie glauben, jetzt seien sie mich los, irren sie. Die werden sehr schnell merken, dass ich nicht weg bin."
25 der 82 AfD-Abgeordneten – also knapp ein Drittel – ist neu in den Bundestag eingezogen. Wie sich diese neuen Abgeordneten positionieren, ist noch nicht eindeutig auszumachen. Fakt ist, dass auch einige Hardliner unter ihnen sind - Rechtsextreme, suspendierte Polizisten und Soldaten sowie Corona-Leugner:
- Christina Baum aus Baden-Württemberg. Sie gilt als Unterstützerin von Björn Höcke, Kopf des völkisch-nationalistischen "Flügels" in der AfD, der sich nach seiner Einstufung als rechtsextrem durch den Verfassungsschutz selbst auflöste. Baums Name taucht im Verfassungsschutzbericht unter anderem auf, weil sie Verschwörungstheorien verbreitet haben soll.
- Hannes Gnauck aus Brandenburg. Gnauck wird vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) als Extremist geführt. Er ist eigentlich Zeitsoldat bei der Bundeswehr, darf im Moment aber keine Uniform tragen und Kasernen nicht alleine betreten. Dagegen will er jetzt offenbar klagen.
- Steffen Janich aus Sachsen. Ein Corona-Leugner und suspendierter Polizist, der unter anderem rund um Pirna verschiedene Demonstrationen organisiert hat.
- Barbara Lenk aus Sachsen. Lenk ist eine ehemalige Bibliothekarin, die sich klar dafür ausgesprochen hat, mit dem "Schuldkult, der Aufarbeitung der NS-Zeit", müsse auch im Geschichtsunterricht Schluss sein.
- Robert Farle aus Sachsen-Anhalt. Ein gewiefter Redner der Partei, der sich an der Briefwahl abarbeitete und behauptete, Corona würde es nur als große Verschwörung geben, um über die Briefwahl die Bundestagswahl zu manipulieren. Vor seinem Aufstieg in der AfD hatte er bei der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) Karriere gemacht.
(Quelle: Nadine Lindner, dpa, mick)