Archiv


Riekeberg: Privilegierung der Saatgut-Industrie gefährdet Sortenvielfalt

Das EU-Parlament berät über ein neues Saatgut-Gesetz. Regionale Sorten hätten bei einer Neuregelung gegen die "Hochleistungssorten der Agrarchemie" keine Chance, sagt Andreas Riekeberg von der Kampagne "Saatgutsouveränität". Das führe zu einheitlicher Massenware.

Andreas Riekeberg im Gespräch mit Britta Fecke |
    Britta Fecke: Wer kennt sie nicht, die Erinnerungen an eine bestimmte Apfelsorte der Kindheit, süßlich, aber mit einer feinen Säure, damals auf der Pferdeweide. Wer heute versucht, diese Sorte zu kaufen, wird sie vielleicht nicht mehr finden, genauso wenig wie alte Kohl- oder Salatsamen. Ein Grund ist die genormte europäische Gesetzgebung für Saatgut. Heute Nachmittag wird der Landwirtschaftsausschuss des EU-Parlaments über ein neues europäisches Saatgut-Recht beraten. In dieser vorgeschlagenen neuen Verordnung geht es nicht nur um die Vermarktung des Saatgutes, sondern auch um die Erzeugung der Samen. Das bereitet einigen Landwirtschaftsexperten und Umweltschützern Sorge.

    Ich bin jetzt verbunden mit Andreas Riekeberg von der Kampagne für Saatgut-Souveränität. Herr Riekeberg, welche Befürchtungen verbinden Sie denn mit dieser geplanten Erweiterung des Saatgut-Gesetzes?

    Andreas Riekeberg: Die Erweiterung des Saatgut-Gesetzes kann dazu führen, dass die Landwirte, die für ihren eigenen Bedarf Saatgut produzieren, also von dem Getreide, was sie ernten, wieder aussäen, oder für einen Nachbarn, für einen Tausch, unter die Regulierung dieses Saatgut-Rechtes fallen und damit erheblichen zusätzlichen bürokratischen Aufwand haben, wenn sie alles aufzeichnen müssen, was sie tun.

    Fecke: Was sind denn das für Mengen, wenn wir uns das vorstellen wollen, und was sind das für Sorten, die getauscht werden?

    Riekeberg: Wenn in einer bestimmten Region Weizen angebaut wird oder Roggen und das nicht mehr von einem Lieferanten zugekauft wird, dann werden die Bauern in der Region das untereinander austauschen, um eine gewisse Durchmischung zu haben. Das ist ein Punkt dieser neuen Verordnung, dass die Erzeugung von Saatgut auch schon reguliert werden soll. Ein anderer Punkt ist, dass diese neue Verordnung nicht mehr wie bis jetzt aus 15 Richtlinien besteht, die erst in nationales Recht umgesetzt werden müssen und deswegen auch angepasst werden können, sondern das soll eine Verordnung sein, die unmittelbar für alle gilt. In dieser einen Verordnung sind etliche delegierte Rechtsakte vorgesehen, wo sich die EU-Kommission im Nachhinein das Recht vorbehalten will, Einzelheiten genauer zu regeln, und dazu gehört zum Beispiel auch, ab welcher Menge von produziertem Saatgut Erzeuger unter der Pflicht liegen, dann sich zu registrieren und diese ganzen Aufzeichnungsgeschichten machen zu müssen.

    Fecke: Fürchten Sie nur den großen bürokratischen Aufwand, oder fürchten Sie auch um die Sortenvielfalt?

    Riekeberg: Die Sortenvielfalt wird dadurch beeinträchtigt, dass das Standardmodell, nach dem diese Saatgut-Verordnung gestrickt ist, der Vorschlag, der jetzt vorliegt, die sogenannten DUS-Sorten sind, also Sorten, die hoch einheitlich sind, hoch stabil und auf die Agrarchemie angepasst sind und auf die Verwendungserfordernisse der Lebensmittel verarbeitenden Industrie, also lagerfähig sind, transportfähig. Das hat oberste Priorität und eben nicht der Geschmack oder die Vielfalt der Sorten. Das führt dazu, dass die kommerziellen Sorten immer einheitlicher werden, sich immer ähnlicher werden und die Breite verloren geht und auch die Breite des Geschmacks und die Breite der traditionellen Verwendungsmöglichkeiten. Deswegen ist eine Forderung, die Saatgut-Organisationen aus dem alternativen Bereich, aus dem biologischen Bereich, Sortenerhalt und so weiter, aufgestellt haben, dass Sorten, die samenfest sind, wo man in der nächsten Generation die Samen von der vorherigen Generation aussäen kann und die die gleichen Pflanzen kriegen und die keinen geistigen Eigentumsrechten unterliegen, dass die von dem Regelungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden sollen, um dort einen Bereich zu haben, wo nicht die nationale Lebensmittelsicherheit gefährdet ist, sage ich mal, im kleinteiligen Bereich, wo aber dann eine hohe Sortenvielfalt bestehen kann.

    Fecke: Das heißt, wenn ich es jetzt überspitzt formuliere, wenn ich auf der Suche bin nach meinem Kindheitsapfel, mache ich mich im Notfall strafbar, weil es die Sorte eigentlich gar nicht mehr zu kaufen gibt, wenn ich die jetzt unter der Hand vom Nachbarn mir irgendwie besorge?

    Riekeberg: Nein, nein. Das Saatgut-Gesetz regelt das in Verkehr bringen von Saatgut und von Pflanzgut. Also nicht, wenn sich jemand was kauft, kann er belangt werden, wenn es nicht zugelassen ist, sondern nur, wenn er etwas verkauft. Das ist die eine wichtige Einschränkung. Es geht nicht um Strafbarkeit, sondern es geht um Ordnungswidrigkeiten. Das ist nicht so dramatisch, wie es vor einem halben Jahr mitunter dargestellt worden ist. Es geht um das Anbieten einfach.

    Fecke: Sie haben es gerade ganz kurz angedeutet. Auch in der kleinen betrieblichen Landwirtschaft ist es ja so: Man behält einen Teil der Ernte zurück, um sie im nächsten Jahr wieder auszusäen. Da gibt es dann ja zwei Probleme: Zum einen die Hybrid-Sorten, die ja nicht in der Lage sind, Nachkommen zu zeugen. Das heißt, ich muss zukaufen. Das andere Problem ist aber auch, wenn die Sortenvielfalt immer weiter abnimmt, dass man bei regionalen Ansprüchen, besonders heiß, besonders regenarm oder so etwas, gar nicht mehr so viele Sorten zur Verfügung hat. Haben Sie das Gefühl, dass diese neue Richtlinie auf diese Probleme nicht eingeht?

    Riekeberg: Auf jeden Fall nicht in ausreichendem Maße. Es gibt gewisse Nischen für traditionelle Sorten und für heterogenes Material und so weiter, aber der Grundansatz ist einer, der die Hochleistungssorten der Agrarchemie bevorzugt, die für den Massenanbau gemacht werden, nicht für Spezialanbau. Das ist ein Webfehler sozusagen des ganzen Systems, wo ein grundsätzliches Umdenken stattfinden müsste, dass es auf eine Aufrechterhaltung einer großen Vielfalt ankommt und die Privilegierung der Sorten der Saatgut-Industrie zurückgenommen werden müsste.

    Fecke: Das EU-Parlament wird heute über ein neues europäisches Saatgut-Recht beraten – ich sprach gerade mit Andreas Riekeberg von der Kampagne für Saatgut und Souveränität über die möglichen Auswirkungen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.