Christoph Heinemann: Wenn eine Bremse nicht bremst, dann muss man über neue Wege nachdenken, um das Tempo spürbar zu verringern. Dass die Mietpreisbremse bisher nennenswert dazu beigetragen hätte, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, das werden wohl auch ihre Erfinder nicht behaupten. Deshalb sind die Bürgerinnen und Bürger in Berlin ab dem Wochenende zu einem Volksbegehren aufgerufen. Sie sollen die Frage beantworten, ob Wohnungen im Besitz von Immobilienkonzernen vergesellschaftet werden sollen. Anders gesagt, ob Unternehmen enteignet werden sollen.
Am Telefon ist Bernd Riexinger, der Co-Vorsitzende der Partei Die Linke, Wahlkreis Stuttgart. Guten Morgen!
Bernd Riexinger: Guten Morgen.
Heinemann: Herr Riexinger, warum enteignen?
Riexinger: Es geht darum, dass die Immobilienkonzerne – und hier geht es wirklich um die Großkonzerne – mit Wohnungen spekulieren. Sie sind mit dafür verantwortlich, dass die Mieten in die Decke geschossen sind. Wir hatten selber eine Mieterin von Vonovia in der Fraktion eingeladen und Leute dieser Initiative, die uns doch erschreckende Beispiele geschildert haben, selbst davon betroffen sind, wie die Konzerne mit den Mietern umgehen. Und da ist es folgerichtig zu sagen, Wohnen ist eine gesellschaftliche Aufgabe, Wohnen muss für alle Menschen bezahlbar sein und mit Wohnungen darf nicht spekuliert werden.
Heinemann: Warum nicht zurückkaufen?
Riexinger: Na ja, das ist im Kern was Ähnliches. Die Wohnungen sind ja zum Teil …
"Es geht ja nicht um entschädigungsloses Enteignen"
Heinemann: Nee, das ist nicht was Ähnliches! Das ist was ganz anderes!
Riexinger: Es geht ja nicht um entschädigungsloses Enteignen, sondern natürlich muss der Senat eine Entschädigung zahlen. Das wird auch Gegenstand der politischen Auseinandersetzung sein. Aber wir wissen, dass der Wohnungsbestand, der öffentliche Wohnungsbestand dringend aufgebaut werden muss. Schauen Sie: Die Stadt Wien besitzt zum Beispiel 50 bis 60 Prozent der Wohnungen in Wien selber. Die sind Gemeindeeigentum. Der durchschnittliche Quadratmeterpreis beträgt fünf Euro. Dort besteht die Möglichkeit für die öffentliche Hand, den Wohnungsmarkt und damit auch die Mietpreise zu steuern. Das ist in unseren Städten längst nicht mehr der Fall. Hier werden Mieten von 10 bis 15 Euro verlangt. Eine Verkäuferin oder eine Erzieherin mit 13 oder 1400 Euro netto kann sich das nicht mehr leisten.
Heinemann: Enteignen oder Zurückkaufen, das wäre Ihnen jetzt egal, welchen Weg man da beschritte?
Riexinger: Man muss beide Wege beschreiten. Man muss einerseits die Immobilienspekulanten an die Kandare legen. Das heißt, in öffentliches Eigentum überführen. Und man muss auch Wohnungen kaufen, weil es geht darum, den Sozialwohnungsbestand wieder aufzubauen. Wir hatten mal vor 30 Jahren vier Millionen Sozialwohnungen in Deutschland; jetzt haben wir nur noch 1,5 Millionen und darin liegt das ganze Drama der Entwicklung der Mietwohnungen. Wir haben zu wenig Sozialwohnungen.
Wir fordern ja auch nicht nur Enteignung oder Überführung in öffentliche Hand. So kann man es auch formulieren. Wir fordern ja auch, dass jährlich 250.000 Sozialwohnungen gebaut werden, dass diese nicht von privaten Investoren gebaut werden mit Steuervergünstigungen, sondern in öffentliche Hand kommen oder genossenschaftliche Hand kommen, in gemeinnütziger Form, keine Profite damit gemacht werden. Damit kann praktisch wieder der Wohnungsmarkt stärker gesteuert werden und kann wieder soziale Wohnungspolitik getrieben werden.
"Andere Definition über den Wert der Wohnungen finden"
Heinemann: Wie stellen Sie sich Enteignungen vor?
Riexinger: Das kann ja nur auf gesetzlichem Wege passieren. Die Initiative sagt, wer mehr als 3000 – das sind ja wenige – Wohnungen besitzt, kann oder soll enteignet werden. Das geht dann über in die öffentliche Hand, in den Besitz der Stadt Berlin oder des Landes Berlin und dann muss über die Entschädigungszahlung gestritten werden. Die Konzerne werden natürlich verlangen, dass der Marktwert bezahlt wird. Das ist aber in hohem Maße ein Spekulationswert. Das Land Berlin muss eine andere Definition über den Wert der Wohnungen finden.
Heinemann: Herr Riexinger, Sie sind Jahrgang 1955. Werden Sie das Ende der juristischen Auseinandersetzung noch erleben?
Riexinger: Das werde ich sicher noch erleben. Aber es wird, davon gehe ich auch aus, heftige juristische Auseinandersetzungen geben.
Heinemann: Wann benötigen die Berlinerinnen und Berliner denn bezahlbaren Wohnraum?
Riexinger: Den benötigen sie jetzt. Aber allein die Initiative geht ja nicht nur um diese Frage. Das ist ja auch eine politische Entscheidung, wie schnell das geht. Bisher ist sich die Koalition ja noch nicht einig. Die Grünen und die SPD müssen sich ja noch positionieren. Wenn sie sich positionieren, kann ja schnell gehandelt werden. In der Wohnungspolitik muss schnell gehandelt werden.
Heinemann: Die SPD hat sich positioniert. Wir haben den Bürgermeister Michael Müller gehört, der dagegen ist. Sie haben gerade gesagt, das ist auch eine politische Sache. Passt das Unternehmen Deutsche Wohnen in das Beuteschema der Linkspartei?
Riexinger: Das hat nichts mit Beuteschema zu tun. Das geht dann nicht in unseren Besitz über, sondern das hat was damit zu tun, dass Wohnen heute die zentrale soziale Frage ist.
Heinemann: Heute!
Riexinger: Wir halten Wohnen, wir halten die Wohnungspolitik für eine öffentliche Aufgabe als Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Sprich: Wir sagen, mit Wohnen darf weder spekuliert, noch Profit gemacht werden, sondern wir müssen hier Wohnen als gemeinnützige Aufgabe definieren. Das ist nicht unerheblich, was jetzt gerade passiert mit Vonovia und Deutsche Wohnen, dass es überall Initiativen gibt. Das ist ja auch ein Symbol, dass die Mieterinnen und Mieter es sich nicht länger gefallen lassen, dass mit ihren Wohnungen riesen Profite gemacht werden. Die Deutsche Wohnen und Vonovia haben jetzt weit über eine Milliarde Gewinn an ihre Aktionäre ausbezahlt, zu Lasten und auf dem Rücken der Mieter und Mieterinnen, und das ist unseres Erachtens nicht in Ordnung und diese Initiative hat das gesellschaftlich problematisiert. Sie hat damit eine gesellschaftlich wichtige Debatte ausgelöst und das unterstützen wir.
Drei Wege für mehr Sozialwohnungen
Heinemann: Herr Riexinger, wir haben festgestellt, bezahlbarer Wohnraum wird jetzt benötigt. Warum setzen Sie auf ein Konjunkturprogramm für Anwaltskanzleien?
Riexinger: Das ist etwas zynisch überspitzt formuliert. Wir setzen tatsächlich auf öffentlich geschaffenen und geförderten Wohnraum und wir wollen, dass mehr Sozialwohnungen in öffentlicher und genossenschaftlicher Hand aufgebaut werden. Das soll auf drei Wegen passieren. Erstens, dass neu gebaut wird. Es muss dringend neu gebaut werden. Zweitens, dass zurückgekauft wird oder gekauft wird. Und drittens, dass Immobilienkonzerne in öffentliche Hand überführt werden. Das ist ein in sich schlüssiges Konzept. Dazu muss man natürlich die Mieten deckeln und die Mietpreise auf gesetzlichem Wege senken, weil in vielen Stadtteilen und vielen Regionen sind die Mieten heute schon zu hoch. Das Instrument der Mietpreisbremse – das haben Sie ja selber im Antexter gesagt – ist völlig wirkungslos.
Heinemann: Genau! – Und was wir auch festgestellt haben ist, dass die SPD nicht mitmacht. Was passiert denn jetzt, wenn die nötigen Unterschriften zusammenkommen?
Riexinger: Na ja. Wenn die nötigen Unterschriften zusammenkommen, dann muss ja praktisch eine Volksabstimmung passieren in Berlin, und dann werden wir sehen, wie die Bevölkerung entscheidet. Das hat ja bindenden Charakter. Aber ich glaube, dass die Auseinandersetzung bei der SPD noch nicht beendet ist. Der Landesparteitag der SPD hat ja diese Frage erst einmal auf Herbst verschoben. Das ist eine Einzelmeinung jetzt vom Bürgermeister. Wir werden mal sehen, wie sich die SPD positioniert. Ich glaube, das gewinnt so eine große Eigendynamik. Ich hätte auch nie gedacht, dass mehr als die Hälfte der Berliner und Berlinerinnen diese Forderung der Initiative unterstützt. Das wäre vor zehn Jahren undenkbar gewesen.
Heinemann: Eine Begründung liefert heute die Süddeutsche Zeitung, die das Volksbegehren nämlich vor allem als ein Misstrauensvotum gegen die rot-rot-grüne Landesregierung bewertet. Wieso bekommt diese Regierung nichts hin?
Riexinger: Das ist ja nicht so, dass sie nichts hinbekommt. Ich bin ja aus Stuttgart. Dort hat in der Tat der grüne Oberbürgermeister nichts hinbekommen. Gerade mal 36 Sozialwohnungen mehr. Hier in Berlin wird ja viel mehr gemacht. Es wird viel mehr gebaut. Es werden 5000 Sozialwohnungen aufgebaut.
Versäumnisse sind nicht schnell zu beseitigen
Heinemann: Reicht hinten und vorne nicht!
Riexinger: Bitte?
Heinemann: Reicht hinten und vorne nicht!
Riexinger: Ja, das reicht hinten und vorne nicht, weil es einen enormen Zuzug gibt und weil die Versäumnisse der Vergangenheit auch nicht in ein oder zwei Jahren beseitigt werden können.
Heinemann: Und die Versäumnisse der Gegenwart auch nicht! – Wie peinlich ist die Berliner Wohnungspolitik-Bilanz für die Partei Die Linke?
Riexinger: Auch die Mieterinitiativen arbeiten eng mit dieser Wohnungssenatorin zusammen und mit dieser Landesregierung. Ich glaube nicht, dass Sie da von einem Versagen reden können, sondern hier wird enorm viel getan und hier wird auch geprüft, ob nicht ein Mietendeckel möglich ist. Hier werden die Bestandsgebiete ausgebaut, hier werden Wohnungen zurückgekauft. Die Geschwindigkeit ist noch viel zu langsam, da kann noch nachgelegt werden. Aber dass hier untätig herumgesessen wird, wie das zum Beispiel der Bundeswohnungsminister Seehofer macht, das kann man von Berlin jetzt wirklich nicht behaupten.
Heinemann: Sieht die Süddeutsche Zeitung heute anders. – Bernd Riexinger, der Co-Vorsitzende der Partei Die Linke. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Riexinger: Ich bedanke mich auch.
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