"Was machen wir mit diesem Haus weiter? Aber das ist nicht nur die Frage dieses Hauses, sondern auch: Wie bearbeiten wir unsere Geschichte? Denn die Geschichte darf man nicht verstecken, weil sie als Trauma immer zurückkehrt."
Dass ein einzelnes Gebäude solch eine große Bedeutung für die Geschichtsaufarbeitung eines ganzen Landes hat, ist selten. Genau diese Symbolkraft besitzt laut Gints Grube das ehemalige KGB-Haus in Riga. Vorerst nur während des Kulturhauptstadtjahrs ist es für die Öffentlichkeit zugänglich. Gints Grube ist als Kurator der thematischen Programmlinie "Freiheitsstraße" für das Haus verantwortlich. Zur Halbzeit nach drei Monaten zieht er Bilanz:
"Das Interesse war schon vor der Eröffnung ziemlich groß, weil das Haus zu KGB-Zeiten nie für das Publikum geöffnet war. Wir haben das nicht erwartet, dass die Reaktion von den jüngeren Generationen so groß wird, weil die meisten nach 1991 geboren sind. Das bedeutet, sie haben gar keine direkten Beziehungen zu den Jahren, über die dieses Haus erzählt."
"Stura maja", zu deutsch "Eckhaus", nennen die Letten das Bauwerk umgangssprachlich. Das von außen unscheinbare graue Gebäude wurde 1912 erbaut. Insgesamt 8.000 Quadratmeter hat das sechsstöckige Eckhaus. Die oberen Etagen beherbergen momentan Ausstellungen zur lettischen Geschichte. In der Ausstellung "Lettische Koffer" sind zum Beispiel persönliche Gegenstände zu sehen, die Letten bei den verschiedenen Emigrationswellen vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg mitgenommen haben.
Im Keller des Gebäudes sperrte der KGB ab 1941 Gefangene ein, verhörte und folterte sie. Ein beklemmendes Gefühl beschleicht die Besucher beim Betreten der kahlen, dunklen Räume.
Ehemalige Häftlinge kommen mit ihren Kindern
"Das Wichtigste war für uns, das Haus kaum zu ändern. Das Haus ist ziemlich authentisch geblieben. Da kommen viele Leute, die dort inhaftiert waren mit ihren Kindern und zeigen, wo der Vater neun Monate lang gesessen hat. Es gibt viele Zeitzeugen, die wiederkommen, obwohl es ziemlich schmerzlich sein kann."
Vereinzelt liegen vor den Zellen Blumen. Ab dem 19. Oktober hat das Gedenken hier jedoch vorerst ein Ende. Wie das Gebäude anschließend genutzt wird, muss noch entschieden werden. Dazu soll es bald eine Umfrage in der Bevölkerung geben. Letztlich liege die Entscheidung aber beim Kultusministerium, so Grube. Er wünscht sich, dass das Haus als Erinnerungsstätte erhalten bleibt. Es kursiert aber auch der Vorschlag, ein Hotel darin unterzubringen. Vereinzelte Besucher wollen den Komplex sogar abreißen lassen. Die Auseinandersetzung mit der größtenteils schmerzlichen Vergangenheit falle den Letten noch schwer, sagt Grube.
"Das kann man nicht so schnell verarbeiten. Das braucht mehr als eine Generation. Ich erinnere mich daran, dass ich einmal mit dem Nobelpreisträger Imre Kertész über seinen Holocaust-Roman gesprochen habe. Er hat mir gesagt, dass es nach dem Holocaust 20 Jahre gedauert hat, bis der erste Roman darüber erschienen ist. Ich glaube, dieses Trauma von der sowjetischen Zeit braucht auch Zeit. Wir dürfen die Geschichte nicht verstecken oder verheimlichen."
An vielen Orten in Riga sei die Geschichte ohne entsprechendes Vorwissen unsichtbar. Zum Beispiel an der heutigen "Freiheitsstraße", die während der verschiedenen Besetzungen durch Russen und Deutsche "Lenin"- und "Hitler"-Straße hieß. Auch die Geschichte des Rigaer Gettos sei nicht genügend behandelt, findet Grube.
Das KGB-Haus sieht er als Chance, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Dies sei nicht nur für die Betroffenen aus der damaligen Zeit wichtig.
"Das 20. Jahrhundert ist nicht so weit weg und alles, was hier in diesen Regionen passiert ist, wirkt immer noch auf neue Generationen, und zwar nicht nur in Lettland. Sie sehen, was in der Politik passiert, in Europa, besonders in der Ukraine und dem Verhältnis zu Russland. Das sind alles irgendwelche Folgen vom 20. Jahrhundert. Lettland hat - wie viele osteuropäische Länder - seine Unabhängigkeit im Laufe des Ersten Weltkriegs bekommen. Für uns endete der Erste Weltkrieg erst im Jahr 1991."