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Rinderwahnsinn neu erklärt

Medizin.- Es ist ruhig geworden um die Rinderseuche BSE und das menschliche Pendant, die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Dennoch geben diese sogenannten Prionen-Krankheiten den Forschern nach wie vor Rätsel auf. So weiß bisher niemand, wie infektiöse Eiweiße, die Prionen, überhaupt krank machen. Wissenschaftler aus Berlin und Göttingen liefern nun einen Erklärungsansatz.

Von Michael Lange | 07.10.2011
    Lange Zeit gab die Rinderseuche BSE den Wissenschaftlern Rätsel auf. Die Krankheit war infektiös, aber klassische Erreger wie Bakterien oder Viren konnte niemand finden, erinnert sich Alex Greenwood vom Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin.

    Kein wie auch immer geartetes Virus, das von außen in die Zelle eindringt und ein Tier infiziert, kam als Erreger in Frage. Denn alle Möglichkeiten, um bekannte Erreger abzutöten, konnten nicht verhindern, dass das Gehirn der Tiere infektiös blieb.

    Die Prionen-Hypothese setzte sich schließlich durch. Sie geht davon aus, dass BSE von infektiösen Eiweißen, den Prionen, verursacht wird. Daran will Alex Greenwood nicht rütteln. Er und andere Forscher konnten aber zeigen, dass zusätzlich Viren am Krankheitsprozess mitwirken – und zwar Viren, die sich zum Zeitpunkt der Infektion bereits im Körper befinden.

    Es handelt sich um endogene Retroviren. Diese Viren sind Teil des eigenen Erbguts bei Mensch und Tier. Lange Zeit wurden sie als genetischer Müll bezeichnet. Denn normalerweise sind die inneren Viren inaktiv, anscheinend völlig nutzlos, aber auch ungefährlich.

    Bis zu zehn Prozent des Erbmaterials bei Säugetieren stammt von endogenen Retroviren. Wenn man bedenkt, dass die im engeren Sinne menschlichen Gene nur zwei bis drei Prozent unseres Erbguts ausmachen, sind wir in gewisser Weise mehr Virus als Mensch.

    In Einzelfällen können die inneren Viren aber doch Schaden anrichten. Bei Mäusen entdeckten die Forscher um Alex Greenwood, dass endogene Retroviren krank machen können. Zeigten die Viren im Erbgut verstärkte Aktivität, so traten bei den Versuchstieren Symptome auf, die an Prionen-Erkrankungen erinnerten: wie BSE bei Rindern oder die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit bei Menschen. So entstand die Idee, dass die rätselhaften Gehirnkrankheiten mit endogenen Retroviren zu tun haben könnten.

    Um die Theorie zu überprüfen, wandten sich die Berliner Forscher an Dirk Motzkus und seine Mitarbeiter vom deutschen Primatenzentrum in Göttingen. Dort wurden kleine Affen, Makaken, mit Prionen infiziert. Sie dienen als Modelltiere für die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Anschließend haben die Forscher die Gehirne der Tiere mit einem speziellen Test untersucht.

    "Wir haben Genaktivitäten im Gehirn infizierter und nicht infizierter Makaken verglichen. Und wir fanden tatsächlich bestimmte endogene Retroviren, deren Erbmaterial durch die Infektion verstärkt aktiviert wurde."

    Gegen Prionen-Erkrankungen können Ärzte und Tierärzte bis heute nichts ausrichten. Das könnte sich nun ändern, wenn endogene Viren tatsächlich eine Schlüsselrolle beim Krankheitsprozess spielen. Denn Retroviren lassen sich durch Medikamente bekämpfen.

    "Wenn wir infizierte Makaken mit speziellen Anti-Virus-Medikamenten behandeln würden, könnte das die die Krankheit verhindern oder aufhalten. Auf jeden Fall erhalten wir so neue Anhaltspunkte, wie sich Prionen-Krankheiten besser behandeln lassen."

    Die notwendigen Experimente werden noch Jahre in Anspruch nehmen. Was die Forscher jedoch bereits heute liefern können, ist eine neue Erklärung für Krankheiten wie BSE oder die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit.

    "Die Infektion erfolgt durch infektiöse Prionen, und die wirken in irgendeiner Weise auf die endogenen Retroviren, und diese führen zur Krankheit."