Am Anfang steht noch ein Frauen-Trio. Doch dann müssen Veronika Zepkalo und ihre Familie Belarus verlassen, weil sie unter Druck gesetzt werden. Wenig später begibt sich die einstige Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja ins litauische Exil.
Von den dreien bleibt zunächst nur Maria Kolesnikowa im Land. Eine 38-jährige Musikerin, die lange in Stuttgart lebte und seit einem guten Jahr ihren Lebensmittelpunkt wieder in Minsk hat. Nach der Wahl in Belarus tritt sie fast täglich bei großen und kleinen Demonstrationen auf. Sie hält Reden, ermutigt Protestierende, ruft zum friedlichen Dialog mit Machthaber Lukaschenko auf. Sie gibt viele Interviews, darunter auch Deutschlandfunk Nova.
"Ich bleibe hier und ich werde kämpfen für Freiheit und für Neuwahlen und für die Leute, die jetzt alle im Gefängnis sind. Ich möchte, dass diese Leute endlich freigelassen werden."
Politische Gewalt beispiellos in der Geschichte des Landes
Seit Kurzem sitzt Kolesnikowa selbst in Haft. Auch viele andere Köpfe, die sich exponierten, haben das Land inzwischen verlassen müssen. Die Oppositionsbewegung jedoch ist damit längst nicht gestoppt. Doch auch der Druck des Staates lässt nicht nach.
Maskierte Sondertrupps der Polizei nehmen Demonstranten fest. Sie suchen gezielt Männer aus der Menge heraus. Die umstehenden Frauen kreischen schrill – doch es nützt nichts. Solche Szenen spielen sich täglich in Minsk und anderen Städten ab.
Beobachter berichten, auch früher unpolitische Bürgerinnen und Bürger gingen inzwischen auf die Straße. Dafür seien zwei Faktoren entscheidend: Das offiziell verkündete Wahlergebnis und die staatliche Gewalt, die in der jüngeren Geschichte des Landes beispiellos ist.
Schon kurz nach dem Schließen der Wahllokale fordern Demonstranten die öffentliche Auszählung der Stimmen. Ihr Misstrauen ist gewaltig: Viele haben den Verdacht, dass die Zustimmung für Lukaschenko künstlich angehoben und die für Swetlana Tichanowskaja künstlich abgesenkt wird.
Sie sehen sich bestätigt, als die Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission, Lidija Jermoschina, sagt:
"Für Alexander Lukaschenko haben 4.652.423 Menschen gestimmt, oder 80,23 Prozent."
Die Nachkommastellen werden später noch etwas verändert, doch die 80 Prozent stehen seither offiziell im Raum. Dass das ein politisch gewünschtes Ergebnis ohne Grundlage ist, meinen seither sehr viele Menschen in Belarus. Sie stützen sich auf unabhängige Nachwahlbefragungen und verweisen auf mehr als 100 Wahllokale, in denen offenkundig ehrlicher gezählt wurde. Dort gewann Tichanowskaja.
Die Proteste wachsen noch in der ersten Nacht nach der Wahl. Der Staat antwortet mit blanker Gewalt.
Angehörige suchen ihre Familienmitglieder
Spezialkommandos feuern Blendgranaten auf Demonstranten ab. Sie setzen außerdem Wasserwerfer und Tränengas ein, schlagen mit Gummiknüppeln zu, schießen mit Gummimunition. Mindestens ein Demonstrant stirbt in Minsk auf offener Straße. Augenzeugen zufolge wurde er erschossen. Viele weitere wurden verletzt. Die Gewalt, das zeigen hunderte Videos, geht maßgeblich von Polizei und Sonderkommandos aus.
Das mobile Internet wird unterbrochen. In den ersten drei Nächten nach der Wahl werden nach offiziellen Angaben in Minsk und anderen Orten rund 7.000 Menschen in Gewahrsam genommen, viele misshandelt. Eine junge Frau weint.
"Wir standen an der Wand, die Hände hinter dem Rücken. Wenn den Polizisten etwas nicht gefiel, dann warfen sie uns auf den Boden. Wie Hunde. Wie im Jahr 1941, als die Wehrmacht unser Land überfiel. Ich wurde gestern festgenommen. Auf der Polizeidienststelle haben mich zehn Polizisten geschlagen. Mit Schlagstöcken. Sie haben mich beleidigt, mich mit dem Tod bedroht. Mir die Hose ausgezogen. Sie sagen, sie würden mich der Reihe nach vergewaltigen, dass mich meine Mutter nicht wiederkennen würde. Sie haben gesagt: Ihr seid alle gegen Lukaschenko, ihr seid dummer Pöbel, ihr seid nichts."
Das mobile Internet wird unterbrochen. In den ersten drei Nächten nach der Wahl werden nach offiziellen Angaben in Minsk und anderen Orten rund 7.000 Menschen in Gewahrsam genommen, viele misshandelt. Eine junge Frau weint.
"Wir standen an der Wand, die Hände hinter dem Rücken. Wenn den Polizisten etwas nicht gefiel, dann warfen sie uns auf den Boden. Wie Hunde. Wie im Jahr 1941, als die Wehrmacht unser Land überfiel. Ich wurde gestern festgenommen. Auf der Polizeidienststelle haben mich zehn Polizisten geschlagen. Mit Schlagstöcken. Sie haben mich beleidigt, mich mit dem Tod bedroht. Mir die Hose ausgezogen. Sie sagen, sie würden mich der Reihe nach vergewaltigen, dass mich meine Mutter nicht wiederkennen würde. Sie haben gesagt: Ihr seid alle gegen Lukaschenko, ihr seid dummer Pöbel, ihr seid nichts."
Über soziale Netzwerke werden Bilder und Videos geteilt. Menschen zeigen, wie durch Schläge ihr Rücken und Gesäß, ihre Beine grün, blau und schwarz wurden.
Angehörige suchen ihre Familienmitglieder, oftmals tagelang. Die Behörden geben ihnen keine Auskunft. Manche werden irgendwann tot aufgefunden.
Der Präsident des Landes, Alexander Lukaschenko, kommentiert die Gewalt kaum. Wenn er sich äußert, dann zeigt er sich solidarisch mit Polizei und Spezialkräften. Die Demonstranten nennt er zu verschiedenen Gelegenheiten Schafe und Ratten.
"Einen Maidan wird es nicht geben, auch wenn Einige das möchten. Alle müssen Ruhe bewahren. Ich sage es nun zum dritten Mal: Eltern müssen auf ihre Kinder besser aufpassen, damit es später nicht weh tut, damit sie nicht jammern oder weinen. Wir werden unser Land nicht zerreißen lassen."
"Diesen Präsidenten kann keiner mehr ertragen"
Die Reaktion im Land: Empörung und Solidarisierungen. Immer mehr Menschen gehen auf die Straße. Frauen, die weiße Kleidung tragen, organisieren Menschenketten der Solidarität. Der Protest findet nun tagsüber statt, oft ist er kreativ: Beschäftigte der Philharmonie singen, es wird auch getanzt, wieder andere hängen die einstige weiß-rot-weiße belarussische Landesfahne über ihre Balkonbrüstung. Die alte Fahne galt, bis Lukaschenko eine neue einführte.
Die größten Demonstrationen des Landes finden seitdem sonntags statt. In Minsk versammeln sich Zehntausende, zeitweise vielleicht auch mehr als 200.000 Menschen. Es bleibt friedlich – und auch die Polizei sieht von Festnahmen zumindest nach der ersten Gewaltwelle zunächst ab. Eine Demonstrantin sagt Radio Swoboda:
"Diesen Präsidenten kann keiner mehr ertragen. Nicht die junge Generation, wie ich, nicht die Erwachsenen, nicht die Älteren, die ich auch auf der Straße sehe. Das gibt Kraft weiter zu machen. Man möchte daran glauben, dass wir siegen werden. Und wir werden siegen."
Doch Teile der Bevölkerung unterstützen weiter Amtsinhaber Lukaschenko. Der lässt für sich Demonstrationen organisieren, bei denen er selbst auftritt und sich kämpferisch gibt:
"Alle wollen, dass wir in die Knie gehen. Das werden wir nicht! Aber ich bin Realist. Die anderen werden uns kein ruhiges Leben gönnen. Selbst wenn sie sich ein wenig beruhigen, kommen sie in einer Weile wieder wie Ratten aus ihren Löchern. Sie werden schon jetzt von Fremden gesteuert, von Puppenspielern."
Zu einem Dialog, zu dem ihn die Opposition aufruft, ist er nicht bereit. Er lässt sich filmen, wie er mit einer Kalaschnikow in der Hand in seinem Palast Wehrhaftigkeit und Kampfbereitschaft demonstriert.
Die Oppositionsbewegung hat weite Teile des Landes erfasst. Sie ist dezentral, man kommuniziert über soziale Netzwerke, schildert im unabhängigen Sender Doschd Sascha Filipenko, ein Schriftsteller aus Minsk.
"Die Leute organisieren sich jetzt selbst. Es ist einfach unglaublich, was geschieht: In jedem Haus gründen die Leute ihren eigenen Chat; sie organisieren sich in ihren eigenen Stadtteilen, in ihren Häusern, mit den Nachbarn, mit den Bekannten, um auf die Straße zu gehen."
Als einziges formales Gremium hat sich ein sogenannter Koordinationsrat gegründet. Er versteht sich als offen für jeden Bürger des Landes.
Doch belarussische Strafverfolgungsbehörden bewerten die Tätigkeit des Koordinationsrates als Versuch eines Staatsstreiches. Von den sieben Präsidiumsmitgliedern des Koordinationsrates ist in Minsk nur noch eine in Freiheit: die Literaturnobelpreisträgerin von 2015. Swetlana Tichanowskaja, die sich als Wahlsiegerin betrachtet, kann nur noch mit Videobotschaften in Erscheinung treten.
"Ich weigere mich, wie Millionen von Belarussen, zurückzutreten und aufzugeben. Mein Land, meine Nation, mein Volk brauchen jetzt Hilfe. Wir brauchen internationalen Druck auf dieses Regime, auf dieses eine Individuum, das sich verzweifelt an die Macht klammert."
Wichtige Rolle des Baltikums und Polen
Doch wie es aussieht, wird die EU Lukaschenko selbst nicht mit Sanktionen belegen. Aus Sicht einiger direkter Nachbarländer reagiert Brüssel zu langsam und zu zurückhaltend auf die Vorgänge in Belarus. Die drei baltischen Staaten haben bereits eine eigene Sanktionsliste beschlossen. 30 Personen an der Spitze des Regimes dürfen nicht mehr einreisen, darunter Lukaschenko selbst.
Das Baltikum und Polen spielen für die Vorgeschichte der Massenproteste in Belarus eine wichtige Rolle. Dort hätten die Belarussen gesehen, wie stark sich demokratische Staaten, die früher dem Ostblock angehörten, entwickeln können, sagt Wojciech Kononczuk, der Leiter des staatlichen Zentrums für Oststudien OSW in Warschau:
"Allein in den vergangenen beiden Jahren wurde die polnisch-belarussische Grenze 17 Millionen Mal überquert, in der ganz großen Mehrheit von Belarussen. Diese haben Vergleiche angestellt, und Polen und Litauen sind für sie zu einer Art Vorbild geworden."
Die westlichen Nachbarstaaten fördern gezielt die Zivilgesellschaft in Belarus. Zwei Beispiele: Die einzige vom Staat unabhängige belarussische Universität zog nach Vilnius, die Europäische Geisteswissenschaftliche Universität. Das andere Beispiel: Aus Warschau sendet seit 2007 der Fernsehsender Belsat in belarussischer Sprache, mitgegründet und mitfinanziert von der polnischen Regierung.
In Litauen beeindruckten die Bürger mit ihrer Unterstützung für das Nachbarland. Vor etwas mehr als zwei Wochen bildeten sie eine Kette von rund 50.000 Menschen von der Hauptstadt Vilnius bis zur Grenze zu Belarus. Es ist daher kein Zufall, dass zahlreiche belarussische Oppositionelle nach Litauen und nach Polen geflohen sind.
Lukaschenko indes nutzt das Engagement der Nachbarländer für seine Zwecke. Er führt seit Wochen eine Propaganda-Kampagne vor allem gegen Polen. So behauptete er wiederholt, das NATO-Land ziehe Truppen an der Grenze zusammen und wolle einen Teil des belarussischen Staatsgebiets besetzen.
"Wir müssen viel Geld ausgeben, um die Situation an unserer Westgrenze zu stabilisieren. Sie haben von den Erklärungen gehört, dass Belarus zerfallen und der Bezirk Grodno an Polen gehen wird. Sie sprechen schon offen darüber, aber das wird ihnen nicht gelingen."
Opposition auf dem "Nexta-Live"-Kanal
In einem Punkt hat Lukaschenko zumindest teilweise Recht: Nicht vom polnischen Staat, aber von polnischem Boden geht eine echte Gefahr für ihn aus. Denn in Warschau lebt Stepan Putilo. Der 22-jährige gebürtige Belarusse hat einen Kanal im Messenger-Dienst Telegram gegründet. "Nexta live" heißt er und hat inzwischen mehr als zwei Millionen Abonnenten. Der Kanal verbreitet Videos und Fotos von den Protesten, zugesandt von den Teilnehmern, und veröffentlicht Aufrufe. Nexta-live-Chefredakteur Roman Protasewitsch erklärt im unabhängigen russischen Fernsehsender Doschd:
"Am Wahltag haben wir verstanden, dass wir die Rolle der Opposition übernehmen mussten. Denn deren wichtigste Politiker saßen hinter Gittern. Da haben wir beschlossen, nicht mehr journalistisch zu arbeiten, sondern einfach die Sicht, die Gedanken der normalen Belarussen wiederzugeben."
Protasewitsch gibt zu, dass es oft schwer ist, die ihnen zugesendeten Informationen zu überprüfen."
Wie lange sich Lukaschenko an der Macht halten kann, hängt auch davon ab, wann ihm das Geld ausgeht. Der noch amtierende Präsident stütze sich auf einen aufgeblähten und dementsprechend teuren Sicherheitsapparat, sagt Lew Lwowskij, der Analyst bei der Minsker Denkfabrik für Wirtschaftsfragen "Beroc".
"Belarus hat weltweit mit am meisten Sicherheitskräfte – Polizisten, Geheimdienstmitarbeiter, Soldaten – pro Einwohner. Die stellen nichts her."
Die Wirtschaft stagniert – schon seit fast zehn Jahren
Die Beamten sorgen für die Sicherheit vor allem eines Menschen: Alexander Lukaschenko. Wie lange der Staatshaushalt den Sicherheitsapparat noch finanzieren kann, weiß niemand. Doch die Nervosität steigt, so Lew Lwowskij:
"Privatpersonen und Firmen haben fieberhaft begonnen, ihre Guthaben in belarussischen Rubeln in Devisen zu tauschen, in US-Dollar und Euro. Und sie haben begonnen, alle ihre Guthaben abzuheben. Allein im August hat die Nationalbank 16 Prozent ihrer Gold- und Devisenreserven ausgegeben, um dieser Panik entgegenzuwirken und die heimische Währung nicht zu stark abstürzen zu lassen."
Ein kurzer Blick zurück: Schon seit fast zehn Jahren stagniert die belarussische Wirtschaft. Die Wachstumsraten – durchschnittlich knapp über ein Prozent – blieben zu niedrig für ein Land, das enormen Aufholbedarf hat. Der Hauptgrund dafür: Lukaschenko setzt auf einen starken staatlichen Sektor, der allerdings wenig effektiv ist und bezuschusst wird.
Anfang des Jahres erreichte das Durchschnittseinkommen zwar die Marke von 500 US-Dollar pro Monat, die Lukaschenko lange versprochen hatte. Doch der Vergleich mit Polen zeigt den Menschen, dass ihr Land weiter Nachzügler ist.
Oppositionell gesinnte Arbeiter streiken
Anfang 2019 kam für die belarussische Wirtschaft ein Problem hinzu. Russland begann, das Öl zu verteuern. Das belarussische Geschäftsmodell, dieses billige Öl zu Treibstoff zu verarbeiten und dieses zum Weltmarktpreis in die EU zu verkaufen, funktioniert immer weniger.
Und nun Corona. Weil die Wirtschaft in Nachbarländern wie Russland schrumpft, wird auch die belarussische Statistik schlechter ausfallen. Lew Lwowskij:
"Die Analysten haben damit gerechnet, dass die Wirtschaft wegen des Coronaeffekts um vier bis sechs Prozent schrumpft. Aber jetzt entwickelt sich die Krise so rasch und so heftig, dass Prognosen praktisch unmöglich sind. Es wäre unseriös, sich da eine Zahl auszudenken."
Auch oppositionell gesinnte Arbeiter streiken inzwischen in manchen Betrieben. Der Staat antwortet mit Kündigung oder Strafverfahren. Die Arbeiter reagieren, indem sie langsamer arbeiten. Die Ineffizienz steigt so weiter an.
Gleichzeitig leidet die Vorzeigebranche des Landes, die IT-Branche. Bei Minsk entstand ein High-Tech-Park, aufgebaut vom heutigen Oppositionellen Walerij Zepkalo. Die Firmen dort wuchsen rasant und trugen im vergangenen Jahr schon mehr als sechs Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Der Firmengründer Iwan Montik etwa beschäftigte bis vor kurzem 400 Menschen in Belarus, auch andere Firmen seien sehr erfolgreich. Der Brain-Drain der Fachleute ins Ausland, früher ein Problem, konnte gestoppt werden. Aber unter Bedingungen wie jetzt wolle kaum ein gut ausgebildeter ITler leben.
Zusätzlich stört die Staatsmacht das Internet im Land, damit sich die Opposition schlechter organisieren kann. Eine Katastrophe, sagt Iwan Montik:
"Wir sind Tag und Nacht mit den Kunden und den Kunden von unseren Kunden im Kontakt. Wir müssen unsere Server immer updaten. Unsere Server stehen in Europa und auch in Asien. Und ohne Internet ist das nicht möglich."
Moskau hilft mit Geld – und erhält Loyalität
Durch die schwankende Wirtschaft braucht Präsident Lukaschenko Unterstützung aus dem Ausland. Die EU und die USA werden ihm nach dem brutalen Vorgehen gegen Protestierende kaum aus der Klemme helfen. China zeigt derzeit wenig Interesse an Belarus. Es bleibt Russland.
Moskau hat sich längst in die Geschehnisse in Belarus eingeschaltet. Präsident Wladimir Putin war einer der ersten, der Lukaschenko zu dessen angeblichem Wahlsieg gratulierte. Seitdem warnt Moskau den Westen vor einer Einmischung – und stellt für den Fall von Unruhen konkrete Hilfe in Aussicht.
Alle Beteiligten wissen um die Kräfteverhältnisse: Russland ist Energie- und Rohstofflieferant, hat Belarus in den vergangenen Jahren mit viel Geld subventioniert und im Gegenzug Loyalität erhalten. Erst jüngst wurde ein Kredit von einer Milliarde Dollar verlängert. Moskau pocht auf den bestehenden Vertrag zum gemeinsamen Unionsstaat, den es seit 1996 auf dem Papier gibt, der aber außer einer offenen Grenze zwischen beiden Ländern kaum umgesetzt worden ist. Er soll Belarus – gerade jetzt – enger an Russland binden. Im Sender Radio Swaboda ordnet der russische Politologe Abbas Galljamow ein:
"Putin wird auf Lukaschenko Druck ausüben und versuchen, aus ihm so viel Gewinn wie möglich herauszupressen. Er wird die Situation nutzen: Lukaschenko ist praktisch in die Knie gegangen. Putin ist für ihn die einzige Hoffnung. Doch einfach so wird der ihm nicht helfen. Im Grunde tauscht Lukaschenko nun die staatliche Souveränität gegen seine persönliche Macht."
Wenn Lukaschenkos Amtszeit spätestens Anfang November abläuft, steht er weitgehend ohne internationale Anerkennung da. Sollte Russland ihm weitere Kredite gewähren, läuft Moskau Gefahr, deren Rückzahlung vor keinem internationalen Gericht einklagen zu können. Der Kreml dürfte also auf Sicherheiten bestehen. In Frage kommen dafür die ertragreichsten Unternehmen von Belarus, der größte Kaliproduzent des Landes zum Beispiel oder die Raffinerien. Zu Gesprächen mit Putin wird der belarussische Präsident in den nächsten Tagen in Moskau erwartet.