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Ringen um exakte Zahlen

Internet.- Wikipedia soll eine gemeinsame Datenbasis für alle verschiedensprachigen Ausgaben bekommen. Doch über Wikidata – so soll das Projekt heißen – wird gestritten. Warum, das erläutert Wissenschaftsjournalist Achim Killer im Interview.

    Manfred Kloiber: In München bin ich mit Achim Killer verbunden, der für uns die Wikicon, das Treffen der deutschsprachigen Wikipedianer beobachtet hat. Wikipedia hat Probleme mit der Diskussionskultur, sagen Sie, Herr Killer, und diese Probleme könnten noch einmal zunehmen – und zwar wegen Wikidata, der geplanten gemeinsamen Datenbasis für alle verschiedensprachigen Wikipedia-Ausgaben. Warum eigentlich?

    Achim Killer: Versuchen Sie beispielsweise einmal herauszubekommen, wie viele Kurden in den verschiedenen Staaten des Nahen Ostens leben. Je nachdem, ob Sie einen türkischen Kemalisten oder einen Anhänger der PKK dazu befragen, werden Sie sehr verschiedene Angaben bekommen. Noch vor ein paar Jahren hat ja beispielsweise in der Türkei die offizielle Sprachregelung gelautet: Es gibt überhaupt keine Kurden, das sind Bergtürken. Und entsprechend stellt sich das heute in der kurdischen und der türkischen Ausgabe der Wikipedia dar – plus/minus ein paar Millionen hat. Aber in Wikidata soll natürlich eine exakte Zahl rein. Und das müssen dann türkische, kurdische, iranische und Wikipedianer aus Deutschland – wo ja auch sehr viele Kurden leben – diskutieren. Das ist interessant. Aber es wird heftig.

    Kloiber: Aber es hört sich doch nach einem Einzelfall an.

    Killer: Überhaupt nicht. Die Diskussion über die Wikipedia-Daten wird wohl auf Englisch geführt werden. So wie heute schon über Wirtschaft vorwiegend in Englisch diskutiert wird. Die gängigen Paradigmen sind ja von englischsprachigen Wissenschaftlern formuliert worden. Da kann man dann anderer Ansicht sein. Aber es fehlen einem halt vielleicht die Worte, weil es die in Englisch nicht gibt.

    Kloiber: Jenseits von Wikidata und des Autorenschwunds gibt’s ja sonst auch noch Probleme, oder?

    Killer: Ja, Marketingabteilungen von Unternehmen und deren PR-Agenturen versuchen immer mehr mitzuschreiben. Ist ja auch kein Wunder. Wikipedia ist schließlich die am fünft meisten besuchte Seite im Web.

    Kloiber: Und wie schützt sich Wikipedia dagegen?

    Killer: Mithilfe einer Erkenntnis aus dem Matthäus-Evangelium: "Wahrlich, du bist auch einer von denen, denn deine Sprache verrät dich." Werbebotschafter haben selten ihre Zunge im Griff. Da hilft gegenlesen. Ansonsten ging's noch ums Urheberrecht.

    Kloiber: Wieso das? Wikipedia-Inhalte werden doch nach den Creative Commons lizenziert. Also darf man sie nach bestimmten Spielregeln kopieren.

    Killer: Ja. Umgekehrt wird’s zum Problem. Es geht nicht um das Recht an dem, was in der Wikipedia steht, sondern darum, wie Urheberrechte den Lexikonautoren die Arbeit erschweren können. Die Verwertungsgesellschaften, also die, die Zweitverwertungsrechte für Autoren, Künstler und Verlage wahrnehmen, beispielsweise wenn ein Zeitungsartikel für einen Pressespiegel vervielfältigt wird, dann treiben die dafür Lizenzgebühren ein ... die Verwertungsgesellschaften also binden in einigen Ländern Autoren exklusiv an sich. Und eigentlich darf dann so ein Autor nicht mehr für Wikipedia schreiben. Da darf man ja kostenlos kopieren und entsprechend gibt’s da nichts zu kassieren. Das wird immer mehr zum Problem. Und natürlich ist eine Organisation wie Wikimedia, die für freies Wissen eintritt, gegen Kopierverbote. Bei den Demonstrationen gegen den amerikanischen Stop Online Piracy Act dieses Jahr beispielsweise hat Wikimedia ja ganz kräftig mitgemischt. Da war die spektakulärste Aktion ja, dass die englische Wikipedia aus Protest für einen Tag lang offline gegangen ist.

    Kloiber: Herr Killer, Sie müssen uns noch verraten, was eigentlich aus dem ominösen Artikel über diesen Donau-Turm geworden ist.

    Killer: Da steht drin, dass es ein Aussichtsturm ist, der nach dem Vorbild des Stuttgarter Fernsehturms gebaut wurde. Ein sehr lesenswerter Artikel ist das übrigens geworden. Und das relativiert auch etwas die Kritik an der Diskussionskultur innerhalb der Wikipedia – das heißt die Selbstkritik. Darum handelt es sich ja. Natürlich gibt es da Leute mit einem etwas problematischen Sozialverhalten. Aber die gibt es in anderen Organisationen auch, in hierarchisch strukturierten, in Unternehmen etwa. Dort kann nicht jeder mitreden. Dort sagt nur einer, wo es langgeht: der Chef. Und wenn der einen schlechten Charakter hat, dann scheitert jedes Projekt. Wikipedia hingegen ist ja ein äußerst erfolgreiches Projekt.

    Kloiber: Letzte Frage Herr Killer: Wie war denn die Diskussion in Dornbirn atmosphärisch? Waren da auch Besserwisser und Streithansel zugange?

    Killer: Nein. Die Diskussion war freundlich und sehr, sehr konstruktiv. Offline sind Wikipedianer gar nicht so.