Georg Ehring: Meine Kollegin Birgid Becker hat sich damit beschäftigt. Frau Becker, wie ist die Situation heute?
Birgid Becker: Contergan steht schon einzig da, was Betroffenenzahlen und Schwere der Schädigungen angeht. Aber natürlich gibt es immer wieder Probleme mit der Sicherheit von Arzneimitteln. Das für die Arzneimittelzulassungen und für die Risikoüberwachung zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel schätzt, dass es bei 15.000 bis 17.000 Patienten jährlich zu Arzneimittelnebenwirkungen kommt - oder unerwünschten Wirkungen, wie es heißt. Dahinter steht längst nicht immer eine schwerwiegende Schädigung, aber ein Thema ist Arzneimittelsicherheit allemal.
Georg Ehring: Weil Sie sagten, Contergan sei die absolut große Katastrophe gewesen, ein knapper Aufriss: Was geschah danach, welche größeren Vorfälle gab es?
Birgid Becker: Da ist vor allem an den Bluterskandal zu denken. In den späten 80er-, Anfang der 90er-Jahre stellte sich heraus, dass etwa 1.400 Bluterkranke mit Aids infiziert wurden durch verseuchte Blutprodukten, obwohl es zu gleichen Zeit schon möglich war, das Virus nachzuweisen und virusfreie Produkte herzustellen. Damals wurde von der größten Arzneimittelkatastrophe nach Contergan gesprochen. Immer noch unaufgeklärt aus Sicht der Betroffenen ist, ob das Hormonpräparat Duogynon der damaligen Firma Schering für Fehlbildungen bei Ungeborenen verantwortlich ist. Das Medikament wurde bis Ende der 70er verkauft. Mitte der 80er dann die Hoechst-Präparate Alival und Psyton; Hoechst wurde vorgeworfen, zu spät über Nebenwirkungen informiert zu haben. Schließlich das Bayer-Präparat Libobay, das im August 2001 vom Markt genommen wurde und später dann Vioxx, das Rheumamittel, das im September 2004 zurückgezogen wurde, nachdem die Herstellerfirma Merck zugeben musste, das Vioxx das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall verdoppelte. Da war das Medikament schon fünf Jahre am Markt, etwa 20 Millionen Menschen hatten es eingenommen. Damit ist die Liste der schwerwiegenden Probleme mit der Arzneimittelsicherheit natürlich nicht vollständig...
Georg Ehring: Nun hat sich ja nach Contergan der ganze Regelungsrahmen für Arzneimittel geändert. Was für Hürden für den Marktzutritt gibt es und wo sind die Schwachstellen?
Birgid Becker: Zu den Zeiten des Contergan-Skandals wurden Arzneimittel nur registriert, die Arzneimittelgesetzgebung wurde schon ab 1961, noch zur Vertriebszeit von Contergan, in Richtung mehr Patientensicherheit weiter entwickelt. Arzneimittel müssen nun vor dem Marktzutritt einen Nachweis über Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit vorlegen: Sie müssen eine Zulassung bekommen, entweder national oder gleich mit Gültigkeit für ganz Europa. Es gibt ein fixiertes System, nachdem Meldungen über unerwünschte Arzneimittelwirkungen gesammelt und bewertet werden und darüber informiert wird – das sogenannte Stufenplanverfahren. Und auch nach Markteintritt müssen weiter Studien gemacht werden. Aber genau mit diesen Studien gibt es in puncto Design, Transparenz und Vollständigkeit immer wieder Probleme. Und schließlich: Viele Arzneimittelrisiken tauchen erst im Praxistest auf. Bei den klinischen Versuchen vor der Marktzulassung werden Wirkstoffe in der Regel nur an vergleichsweise wenig Patienten getestet. Vioxx wurde etwa an 5.000 Probanden getestet, bevor es 1999 in Europa und den USA zugelassen wurde. Eingenommen aber haben das Präparat bis zum Marktrückzug etwa 80 Millionen Menschen. Bei dieser Menge an Verordnungen stellte sich erst ganz klar heraus, wo genau die Risiken sind, wie sie zu bewerten sind. Wobei es natürlich immer noch eine ganz andere Frage ist, ob der Hersteller schnell genug über Risiken informiert oder bemüht genug ist, Risiken auch zu entdecken.
Georg Ehring: Was tun, wenn man befürchtet, Opfer einer Schädigung zu sein, Opfer einer Nebenwirkung oder wie es heißt: eines unerwünschten Arzneimittelereignisses?
Birgid Becker: An allererster Stelle: Mit dem behandelnden Arzt sprechen. Der hat eine Schlüsselposition beim Erkennen unerwünschter Arzneimittelwirkungen und bei deren Weitergabe. Auch der Apotheker ist übrigens berufsrechtlich verpflichtet zur Weitergabe. Grundsätzlich müssen sich Patienten überlegen, ob es sinnvoll ist, immer nach dem neuesten und jüngsten Arzneimittel zu fragen. Sicher, da gibt es die Hoffnungen auf therapeutische Innovationen, aber gerade die neu auf den Markt gekommen Medikamente sind immer auch die, über die man am wenigsten weiß.
Birgid Becker: Contergan steht schon einzig da, was Betroffenenzahlen und Schwere der Schädigungen angeht. Aber natürlich gibt es immer wieder Probleme mit der Sicherheit von Arzneimitteln. Das für die Arzneimittelzulassungen und für die Risikoüberwachung zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel schätzt, dass es bei 15.000 bis 17.000 Patienten jährlich zu Arzneimittelnebenwirkungen kommt - oder unerwünschten Wirkungen, wie es heißt. Dahinter steht längst nicht immer eine schwerwiegende Schädigung, aber ein Thema ist Arzneimittelsicherheit allemal.
Georg Ehring: Weil Sie sagten, Contergan sei die absolut große Katastrophe gewesen, ein knapper Aufriss: Was geschah danach, welche größeren Vorfälle gab es?
Birgid Becker: Da ist vor allem an den Bluterskandal zu denken. In den späten 80er-, Anfang der 90er-Jahre stellte sich heraus, dass etwa 1.400 Bluterkranke mit Aids infiziert wurden durch verseuchte Blutprodukten, obwohl es zu gleichen Zeit schon möglich war, das Virus nachzuweisen und virusfreie Produkte herzustellen. Damals wurde von der größten Arzneimittelkatastrophe nach Contergan gesprochen. Immer noch unaufgeklärt aus Sicht der Betroffenen ist, ob das Hormonpräparat Duogynon der damaligen Firma Schering für Fehlbildungen bei Ungeborenen verantwortlich ist. Das Medikament wurde bis Ende der 70er verkauft. Mitte der 80er dann die Hoechst-Präparate Alival und Psyton; Hoechst wurde vorgeworfen, zu spät über Nebenwirkungen informiert zu haben. Schließlich das Bayer-Präparat Libobay, das im August 2001 vom Markt genommen wurde und später dann Vioxx, das Rheumamittel, das im September 2004 zurückgezogen wurde, nachdem die Herstellerfirma Merck zugeben musste, das Vioxx das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall verdoppelte. Da war das Medikament schon fünf Jahre am Markt, etwa 20 Millionen Menschen hatten es eingenommen. Damit ist die Liste der schwerwiegenden Probleme mit der Arzneimittelsicherheit natürlich nicht vollständig...
Georg Ehring: Nun hat sich ja nach Contergan der ganze Regelungsrahmen für Arzneimittel geändert. Was für Hürden für den Marktzutritt gibt es und wo sind die Schwachstellen?
Birgid Becker: Zu den Zeiten des Contergan-Skandals wurden Arzneimittel nur registriert, die Arzneimittelgesetzgebung wurde schon ab 1961, noch zur Vertriebszeit von Contergan, in Richtung mehr Patientensicherheit weiter entwickelt. Arzneimittel müssen nun vor dem Marktzutritt einen Nachweis über Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit vorlegen: Sie müssen eine Zulassung bekommen, entweder national oder gleich mit Gültigkeit für ganz Europa. Es gibt ein fixiertes System, nachdem Meldungen über unerwünschte Arzneimittelwirkungen gesammelt und bewertet werden und darüber informiert wird – das sogenannte Stufenplanverfahren. Und auch nach Markteintritt müssen weiter Studien gemacht werden. Aber genau mit diesen Studien gibt es in puncto Design, Transparenz und Vollständigkeit immer wieder Probleme. Und schließlich: Viele Arzneimittelrisiken tauchen erst im Praxistest auf. Bei den klinischen Versuchen vor der Marktzulassung werden Wirkstoffe in der Regel nur an vergleichsweise wenig Patienten getestet. Vioxx wurde etwa an 5.000 Probanden getestet, bevor es 1999 in Europa und den USA zugelassen wurde. Eingenommen aber haben das Präparat bis zum Marktrückzug etwa 80 Millionen Menschen. Bei dieser Menge an Verordnungen stellte sich erst ganz klar heraus, wo genau die Risiken sind, wie sie zu bewerten sind. Wobei es natürlich immer noch eine ganz andere Frage ist, ob der Hersteller schnell genug über Risiken informiert oder bemüht genug ist, Risiken auch zu entdecken.
Georg Ehring: Was tun, wenn man befürchtet, Opfer einer Schädigung zu sein, Opfer einer Nebenwirkung oder wie es heißt: eines unerwünschten Arzneimittelereignisses?
Birgid Becker: An allererster Stelle: Mit dem behandelnden Arzt sprechen. Der hat eine Schlüsselposition beim Erkennen unerwünschter Arzneimittelwirkungen und bei deren Weitergabe. Auch der Apotheker ist übrigens berufsrechtlich verpflichtet zur Weitergabe. Grundsätzlich müssen sich Patienten überlegen, ob es sinnvoll ist, immer nach dem neuesten und jüngsten Arzneimittel zu fragen. Sicher, da gibt es die Hoffnungen auf therapeutische Innovationen, aber gerade die neu auf den Markt gekommen Medikamente sind immer auch die, über die man am wenigsten weiß.