Archiv


Risiken in Afghanistan sind "bei Weitem nicht überwunden"

In einigen Regionen Afghanistans haben Terroristen viel Einfluss, sagt der verteidigungspolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Rainer Arnold. Er fordert, die Arbeit der Eliteeinheit KSK, der der gestern getötete Soldat angehörte, transparenter zu machen.

Rainer Arnold im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Am Telefon ist nun der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold. Guten Morgen, Herr Arnold!

    Rainer Arnold: Schönen guten Morgen, Frau Engels!

    Engels: Muss dieser Verlust vom Wochenende hierzulande wieder stärker in Erinnerung rufen, unter welcher Belastung und Risiken die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan stehen?

    Arnold: Für uns Fachpolitiker ist es nicht so. Wie wissen natürlich, dass dieser Einsatz, auch wenn es zwei Jahre lang keine tragischen Zwischenfälle gegeben hat, gefährlich sein kann, und zwar an jedem Tag und zu jeder Stunde. Für die Öffentlichkeit ist es sicherlich so, dass, wenn keine schlechten Nachrichten in der Zeitung stehen, das Thema Afghanistan auch ein bisschen verdrängt wird. Im Augenblick sind aber unsere Gedanken natürlich zunächst mal bei den Leidtragenden in der Familie des getöteten Soldaten.

    Engels: In den letzten zehn Tagen sind nach Medienangaben über 20 ausländische Soldaten in Afghanistan bei Kämpfen ums Leben gekommen. Ist das ein Signal, dass die Befriedung des Landes ein gutes Jahr vor dem Abzugsbeginn längst nicht so gut vorangekommen ist wie erhofft?

    Arnold: Es ist sicherlich so, dass die Risiken im Süden und Osten des Landes bei Weitem nicht überwunden sind, die Terroristen dort Einfluss haben, auch militärische Gewalt ausüben können, auch organisiert vorgehen. Im Norden ist es tatsächlich so, dass, wenn man nur die Zahlen anschaut, die Zwischenfälle ein Stück weit zurückgegangen sind, vom Jahr 2010 an gerechnet. Nur, mit Statistik kann man angesichts des Leides von einzelnen Soldaten, getöteten und verwundeten, natürlich nicht unbedingt argumentieren.

    Engels: Sie sehen also keinen Zusammenhang zu der von den Taliban angekündigten Frühjahrsoffensive?

    Arnold: Es ist tatsächlich so, dass die Taliban jedes Frühjahr diese Offensive ankündigen. Fakt ist aber, wenn der Schnee in den Bergen geschmolzen ist, und das ist im Augenblick der Fall, werden die Taliban immer aktiver. Das ist in allen zehn Jahren so gewesen, weil sie dort einfach wieder mehr Bewegungsmöglichkeiten und Rückzugsmöglichkeiten haben.

    Engels: Schauen wir noch einmal auf den konkreten Fall vom Wochenende. Der gefallene ebenso wie der verwundete Soldat, der mittlerweile wohl außer Lebensgefahr ist, gehörten dem Kommando Spezialkräfte an, also dem KSK, der Eliteeinheit, die im Verdeckten operiert. Wissen Sie, was das für ein Einsatz genau war?

    Arnold: Wir wissen nichts über den jeweiligen Einsatz im Detail. Die Obleute der Fraktionen werden aber über KSK-Einsätze im Nachhinein informiert. Wir wissen aber, was KSK im Augenblick im Grundsatz in Afghanistan leistet. Und insofern kann man sich natürlich schon vorstellen, um was es ging. Man darf sich da nicht mehr vorstellen, dass deutsche Soldaten draußen Patrouille fahren, sondern deutsche Soldaten, gerade vom KSK, begleiten ihre afghanischen Kameraden, auch Spezialkräfte. Vor allen Dingen dann, wenn es drum geht, bekannte Terroristen festzunehmen. Und die KSK-Leute sind dann nicht Mann an Mann mit einem Afghanen unterwegs, sondern beraten, bilden aus und sorgen auch für eine Sicherheitsvorsorge eher in der zweiten Reihe. Das ist der Auftrag, den die KSK dort im Augenblick erledigt.

    Engels: KSK, das steht für geheime Operationen. Sie sagen, als Verteidigungspolitiker werden Sie erst im Nachhinein informiert. Ist das denn befriedigend für einen Parlamentarier, dass Geheimoperationen am Parlament vorbei durchgeführt werden?

    Arnold: Also ich bin der Auffassung, dass die Geheimhaltung bei KSK weit überzogen ist. Ich glaube schon, dass der gesamte Verteidigungsausschuss eigentlich das Anrecht darauf haben müsste, über den KSK besser informiert zu werden. Ich halte es für einen unglücklichen Zustand, ich glaube sogar, dass das eher zur Mythenbildung geradezu einlädt, wenn das Parlament und auch die Öffentlichkeit nichts über KSK erfährt. Klar ist, dass KSK-Einsätze, wenn es um die Vorbereitung zu Geiselbefreiungen zum Beispiel geht, das ist eine der wichtigsten Aufgaben, dass man das nicht auf dem offenen Markt vorher austragen kann. Aber ich wünsche mir mehr Transparenz bei KSK. Es würde nichts schaden, ich glaube, es würde eher helfen.

    Engels: Welche Form der Unterrichtung stellen Sie sich vor?

    Arnold: Ich kann mir schon vorstellen, dass im Verteidigungsausschuss auch über die KSK-Einsätze gesprochen werden kann, und nicht nur in diesem kleinen Kreis der Obleute aller Fraktionen. Wir sind ja denn auch, weil das unter geheim erfolgt, daran gebunden und können dies gar nicht weitererzählen.

    Engels: Es ist ja das erste Mal überhaupt gewesen, dass ein tödlicher Verlust beim KSK in Afghanistan überhaupt bekannt gegeben wurde. Ist das ein Schritt in Richtung mehr Transparenz?

    Arnold: Meine Beobachtung ist schon in den letzten Jahren, dass es ein Stück weit transparenter geworden ist. Es gab ja auch eine Reihe Probleme in den vergangenen Jahren bei KSK, die was mit der mangelnden Transparenz zu tun hatten. Auch manche Spekulationen von Journalisten – also das ist ein Schritt in der richtigen Richtung, der Auffassung bin ich in der Tat.

    Engels: Haben Sie denn – Sie sagen natürlich, dass die Obleute nur informiert sind, aber haben Sie auch Berichte darüber, dass die KSK möglicherweise jetzt, in dieser schwierigen Phase, auch für ganz besonders gefährliche Einsätze steht?

    Arnold: Nein. Da gibt es überhaupt keine Informationen. Und noch mal: Wir bekommen unsere Infos ja unter geheim, ich könnte Ihnen das auch gar nicht erzählen. Aber mein Eindruck ist nicht, dass es ganz spezielle Operationen sind. Sondern ich hab schon den Eindruck, dass transparent ist, welchen Auftrag KSK im Augenblick in Afghanistan erfüllen.

    Engels: Muss sich die deutsche Bevölkerung generell darauf einstellen, dass das Jahr in Afghanistan für die Bundeswehr noch einmal besonderen Blutzoll fordern kann?

    Arnold: Nein, niemand kann hier eine Prognose wagen. Wir wissen, gegen Sprengstoffattentate gibt es nur eine bedingte Vorsorge. Dies kann immer wieder passieren. Die Deutschen haben in den letzten Jahren allerdings ihren Fahrzeugpark so modernisiert, dass die Risiken für die Soldaten ein Stück weit kleiner geworden sind. Und, wenn Terroristen festgenommen werden, und davon habe ich ja gerade gesprochen, wissen wir, dass das nicht so einfach erfolgt, die ergeben sich nicht, sondern die kämpfen möglicherweise bis zu ihrem eigenen Tod, und das ist gefährlich.

    Engels: Wir sprechen mit Rainer Arnold, dem verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Arnold, noch ein Blick auf ein anderes Thema vom Wochenende: Israelisches Militär hat in den vergangenen Tagen offenbar mehrfach Angriffe auf Ziele in Syrien gestartet. Wie ordnen Sie das ein?

    Arnold: Ja, es macht einen manchmal nur ratlos, die Situation in Syrien. Aber ich habe schon ein gewisses Verständnis dafür, dass sich Israel große Sorgen macht über die Frage, in wessen Hände geraten möglicherweise schwere Waffensysteme, über die Syrien verfügt. Geraten die möglicherweise auch in die Hände von Hisbollah und bilden dann eine unmittelbare Gefahr für Israel. Das ist keine einfache Debatte, ich glaube aber auch, dass Israel schon aufpassen muss, dass bei allen berechtigten Sorgen der Bogen nicht überspannt wird und auch die notwendige Zurückhaltung von Israel zu erwarten ist.

    Engels: Sie sprechen es an. Es hat immerhin Attacken, also was man weiß, auf eine Militäreinrichtung in Damaskus selbst gegeben. Hat das nicht eine neue Qualität mit der Gefahr, dass die Situation eskaliert?

    Arnold: Das Risiko ist in der Tat latent in Syrien. Aber noch einmal: Der Blick von außen macht einen ratlos. Wir wissen auch viel zu wenig über diese Details. Wenn es so ist, dass Israel Waffenschmuggel, die Übergabe von Waffen an Hisbollah und andere Terroristen, die auch Israel bedrohen, verhindern will durch diesen Einsatz, ist es verständlich. Wenn Israel jetzt zum Konfliktpartner würde, dann hätten wie sicherlich ein ganz, ganz großes Problem in dieser Region.

    Engels: Deutschland gilt ja als enger Verbündeter Israels. Ist es angezeigt, hier deeskalierend einzuwirken?

    Arnold: Natürlich muss man mit Israel immer reden. Auf der einen Seite haben wir eine besondere Verantwortung für das Existenzrecht des Landes Israels. Das heißt aber nicht, dass man aktuelle israelische Politik jeweils für gut heißen muss. Und da glaube ich schon, dass es richtig ist, mit den israelischen Politikern auch das eine oder andere kritische Wort zu reden.

    Engels: Das heißt, was würden Sie jetzt empfehlen?

    Arnold: Ich würde mir schon wünschen, dass der Außenminister, die Kanzlerin die Israelis deutlich zur Zurückhaltung in dieser Situation mahnt. Auch die Europäer sind ja sehr, sehr vorsichtig, führen eine schwierige Diskussion. Darf man dort auch die Aufständischen mit Waffensystemen ausstatten? Hier hat Deutschland die Haltung: nein. Und entsprechend sollte man auch mit Israel diskutieren.

    Engels: Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold. Vielen Dank für das Gespräch!

    Arnold: Ich danke auch, Frau Engels. Schönen Tag noch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.