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Risikoforscher zum Wiederaufbau
"Wir brauchen eine Klimaprüfung von Infrastrukturen"

Angesichts der klimatischen Veränderungen müsse beim Wiederaufbau der kritischen Infrastruktur in den Hochwassergebieten einiges neu bewertet werden, sagte Risikoforscher Christian Kuhlicke im Dlf. Die Infrastruktur müsse so wiederaufgebaut werden, dass sie in Zukunft nicht so schnell kollabiere.

Christian Kuhlicke im Gespräch mit Monika Seynsche |
Nach dem Jahrhunderthochwasser in der Eifel durch heftige Regenfälle und Dauerregen mit Überschwemmungen und Überflutungen haben die Aufräumarbeiten im Ahrtal begonnen. Einheiten von Polizei, THW, Bundeswehr und Feuerwehr mitsamt vielen freiwilligen Helfern räumen Straßen, entfernen Schutt und Schlamm und versorgen die Menschen. Im Bild zerstörte Autos in der Ortschaft Rech, in der die Flut viele Häuser zerstörte.
Nach dem Jahrhunderthochwasser in der Eifel haben die Aufräumarbeiten l begonnen. Doch auch der Wiederaufbau drängt, dürfe aber nicht überstürzt werden, sagte der Umweltexperte Christian Kuhlicke im Dlf. (dpa / picture alliance / Christoph Hardt)
Monika Seynsche: Wie muss eine solche Klimaprüfung aussehen?
Christian Kuhlicke: Infrastrukturen sind ja für unser modernes Leben wichtig. Und Infrastrukturen sind ja mehr als nur Telefone, sind Verkehrsadern, sind Krankenhäuser, ist Strom, ist Wasser. Wenn diese Infrastrukturen ausfallen, dann bricht ja nicht das soziale Leben, wie wir es kennen, mehr oder weniger zusammen. Deswegen müssen diese Infrastrukturen daraufhin geprüft werden, ob sie den Veränderungen, die auf uns zukommen, überhaupt gerecht werden können. Man hat es jetzt in Nordrhein-Westfalen gesehen, aber auch in Rheinland-Pfalz. Der Ausfall einer Straße, die zu einem Krankenhaus führt - und es vielleicht sogar die einzige Straße ist - ist für dieses Krankenhaus nicht nur schädlich, sondern ist auch für alle Menschen, die ins Krankenhaus müssen, extrem schwierig. Genau das gleiche mit Telefonnetzen und so weiter und so fort. Sprich: Wir brauchen eine Klimaprüfung von diesen Infrastrukturen.
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Seynsche: Aber wie sieht diese Prüfung genau aus?
Kuhlicke: Das ist natürlich jetzt ein bisschen kompliziert, weil im Prinzip braucht man auf der einen Seite ziemlich verlässliche Klimaprojektionen. Was für klimatische Veränderungen kommen auf uns zu? Diese Klimaprojektionen müssen dann gekoppelt werden mit hydrologischen, hydraulischen und auch mit Geländemodellen, damit man genau sieht, wie sich sozusagen die Frequenz und auch die Wasserstände in diesen schmalen Flusstälern zum Beispiel in Zukunft verändern wird, wenn diese Ereignisse häufiger werden. Das ist die eine Seite.
Das Zweite ist dann, eine Straße an sich, wenn sie wegbricht, wenn es eine Nebenstraße ist, ist das ja nicht weiter dramatisch. Da fährt sowieso keiner drauf. Eine Straße, die essentiell ist für die Versorgung eines Tals, wenn die weggespült wird, dann ist es natürlich dramatisch, weil man in dieses Tal weder rein noch raus kommt - und damit sozusagen die ganze Versorgungsleistung in so einem Katastrophenfall zusammenbricht beziehungsweise über Helikopter organisiert werden muss.
Sprich, wir müssen Dominoeffekte, Kaskadeneffekte mit abschätzen, da wird es dann schwieriger, weil man im Prinzip bis jetzt noch gar nicht diese Kaskadeneffekte wirklich gut quantitativ abschätzen kann. Da sind wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gerade erst dabei, quantitative Abschätzungen von diesen Kaskadeneffekten zu entwickeln.

"Es wird priorisiert werden müssen"

Seynsche: Jetzt wird ja derzeit beziehungsweise in den nächsten Tagen und Wochen die kritische Infrastruktur auch in Nordrhein-Westfalen, in Rheinland-Pfalz wiederaufgebaut werden müssen. Was ist da das Drängendste, was muss unbedingt als Erstes geschehen?
Kuhlicke: Na ja, erst mal muss das sogenannte build back better-Prinzip etabliert werden. Es wäre jetzt wirklich fatal, wenn man diese Wiederaufbaumöglichkeiten nicht nutzen würde, um die Infrastruktur so wiederaufzubauen, dass sie in Zukunft nicht so schnell kollabiert und die Wahrscheinlichkeit des Kollapses geringer wird. Und natürlich gilt es, mit den wichtigsten Infrastrukturen anzufangen.
Es wird priorisiert werden müssen. Es ist wahrscheinlich eine Straße und ein Stromnetz und ein Telefonkommunikationsnetz erst mal wichtiger, genauso wichtig ist natürlich Trinkwasserversorgung und -entsorgung dort, wo sie zusammengebrochen ist. Wir müssen den lebens- und überlebenswichtigen Infrastrukturen beginnen.
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Seynsche: Wenn man das besser wiederaufbauen will, als es vorher war, können Sie mir dafür ein Beispiel geben, was könnte man besser machen, was müsste man besser machen?
Kuhlicke: Es gab ja großflächig Stromausfall, Umspannwerke, solche Stationen, solche Infrastrukturen gehören einfach nicht in hochwassergefährdete Gebiete. Da wird man prüfen müssen, wie sich vor dem Hintergrund der Klimaprojektionen … Da hilft die Vergangenheit eben relativ wenig, es hilft nicht, die alten Risikobewertungen einfach wieder hervorzuholen, sondern es muss wirklich neu bewertet werden vor dem Hintergrund der klimatischen Veränderungen, die wir in den nächsten zehn bis 50 Jahren zu erwarten haben. Infrastrukturen haben ja eine große Langlebigkeit, das zeichnet sie aus.
Da gilt es also jetzt, sehr umfassend zusammen mit den relevanten Wissenschaften, Klimaprojektionen, Klimamodellierungen, Hydrologen, Hydrauliker, Ingenieure, aber auch Ökonomen die Risikoabschätzungen vorzunehmen - und dann wiederaufzubauen.
Seynsche: Ist das denn überhaupt machbar in dem kurzen Zeitraum, der bleibt. Die Leute brauchen ja jetzt die kritische Infrastruktur?
Kuhlicke: Ein sehr wichtiger Punkt, da gibt es auch keine gute Antwort drauf. Man wird wahrscheinlich eine Mischung finden müssen aus einerseits die Versorgungsleistung vor Ort so schnell wie möglich wiederherzustellen, gleichzeitig sich aber trotzdem die Zeit nehmen, um verlässliche Abschätzungen für die Zukunft zu machen. Beide Seiten müssen bedient werden.
Jetzt einfach nur wiederaufzubauen, wiederherzustellen und in zehn Jahren bei einem ähnlichen Ereignis können wir dann wieder von vorne anfangen, würde weder den Betroffenen helfen noch den Infrastrukturbetreibern noch der Bevölkerung in der Region.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.