Das Örtchen Bötersen liegt 40 Kilometer nordöstlich von Bremen. Baumreihen, Backsteinhäuser, Maisfelder und Windräder prägen die flache Landschaft. Der Bohrturm neben der Bundesstraße ist kilometerweit zu sehen: Ein 57 Meter hohes Stahlungetüm, das von fern einer Raketenabschussrampe ähnelt.
Bötersen Z 11, so heißt die Bohrung, die der Energiekonzern ExxonMobil hier machen lässt. Das Ziel ist eine Sandsteinschicht 4800 Meter unter der Erde, erklärt Pressesprecherin Ritva Westendorf-Lahouse.
"Wir wissen, dass das Feld vorhanden ist. Wir wissen, dass Gas hier ist. Bötersen Z 11 bedeutet: Es gibt schon 10 andere Bohrungen. Wir hoffen auf eine Anfangsrate von 20.000 Kubikmeter pro Stunde."
ExxonMobil ist der größte Gasproduzent in Deutschland. 5,4 Milliarden Kubikmeter Erdgas förderte das Unternehmen hierzulande vergangenes Jahr - das meiste aus Bohrungen in Niedersachsen. Doch während man normale Erdgasblasen nur anstechen muss, damit das Gas entweicht wie die Luft aus einem Fahrradreifen, ist die Lage in Bötersen komplizierter. Weil der Sandstein hier sehr feine Poren hat, kann sich das darin gefangene Erdgas nicht frei bewegen. Damit es trotzdem herauszischt, werden im Gestein fingerbreite Risse erzeugt - auf Englisch Fracs. In einigen Wochen sollen mächtige Pumpen dazu ein mit Chemikalien versetztes Wasser-Sand-Gemisch in die Tiefe pressen. Durch den hydraulischen Druck wird der gashaltige Sandstein dann zersplittert. Hydraulic Fracturing, kurz Fracking, nennt sich diese Methode.
"Fracking ist absolut nichts Neues in Deutschland. Den ersten Frack haben wir gerade neulich in den Akten eines Partnerunternehmens gesehen, von 1961. Wir selbst haben in den 70er-Jahren angefangen zu fracken. Es gibt rund 300 Fracks in Deutschland bisher. Rund 50 Jahre - also wir haben ganz gute Erfahrung schon."
Bislang wurde das Verfahren praktisch ausschließlich im Sandstein verwendet. Wenn es nach ExxonMobil und anderen Gasförderern geht, soll sich das aber ändern. Sie wollen künftig auch in viel kompakteren Gesteinsschichten fracken. Zum Beispiel im dichten Steinkohle- oder Schiefergestein, das sich im Untergrund von Münsterland und Sauerland befindet. Verglichen mit dem Sandstein unter Bötersen, ist das Erdgas dort viel fester gebunden. Unkonventionelles Erdgas, so nennen Fachleute solche Gaslagerstätten in undurchlässigem Gestein. Die internationale Energieagentur schätzt, dass weltweit allein in Schiefern über 450 Billionen Kubikmeter Gas schlummern - mehr als doppelt soviel wie in allen bekannten konventionellen Gasblasen. Mittels Fracking ließe sich ein erheblicher Teil davon ans Tageslicht fördern. Bohrfirmen und Ölkonzerne wittern ein Milliardengeschäft.
In den USA haben Gaskonzerne in den vergangenen zehn Jahren über eine Million Mal gefrackt. Kilometer unter der Erde wurden so riesige Rohstofflager in Schiefergestein angezapft. Es gab einen regelrechten Rohstoffrausch. Doch mittlerweile macht sich Katerstimmung breit. Die ökologischen Folgen des Schiefergasbooms sind mitunter so gravierend, dass Umweltschützer mobilmachen. Ihre Protestlieder handeln von vergifteten Brunnen und brennenden Wasserhähnen.
"Gasland" ist der Titel eines Dokumentarfilms, mit dem der Filmemacher Josh Fox im vergangenen Jahr die US-amerikanische Öffentlichkeit wachrüttelte. Im Film, der sich mit den Umweltfolgen der Tiefbohrtechnik befasst, hält ein Betroffener ein brennendes Feuerzeug an einen laufenden Wasserhahn.
Das Wasser enthält soviel Gas, dass es eine Stichflamme gibt. In den USA gerieten schon Häuser in Brand. Kein Wunder, dass sich auch hierzulande Widerstand regt, seit bekannt wurde, dass Gaskonzerne auch in Deutschland nach Schiefergas bohren. Allein unter Nordrhein-Westfalen schlummert vermutlich genug unkonventionelles Erdgas, um Deutschland 20 Jahre lang zu versorgen. Ein knappes Dutzend Firmen wetteifern um die Pole Position beim Rohstoff-Roulette. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel haben sich die Konzerne auf rund der Hälfte der Landesfläche Rechte für Erkundungsbohrungen gesichert. Die zuständigen Bergbaubehörden haben die Claims verteilt. Doch die Bürger vieler betroffener Kommunen befürchten unkalkulierbare Umweltrisiken und gehen auf die Barrikaden.
"Ich habe den Eindruck, man wird überhaupt nicht gescheit aufgeklärt. Und auch die Tatsache, dass von offizieller Seite da irgendwelche Prospekte von ExxonMobil verwendet wurden, um das zu erklären, finde ich ungeheuerlich."
"Wir haben dann Dinge herausgefunden, die mich als direkter Anwohner - ich wohne 300 Meter von der Bohrstelle entfernt - total schocken. Mir machen die Angst."
Stimmen von einer Podiumsdiskussion in Nordwalde, einer Gemeinde im Münsterland, wo ExxonMobil eine von zahlreichen Erkundungsbohrungen plant. Sind die Sorgen der Bürger berechtigt? Klaus Söntgerath ist überzeugt: Die Angst der Anwohner beruht auf Unwissenheit. Der leitende Bergdirektor vom Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie in Hannover hat die bislang fünf Schiefergas-Probebohrungen in Niedersachsen genehmigt. Genau wie in Nordrhein-Westfalen gibt es auch dort massive Bürgerproteste.
"Im Bereich des Hydraulic Fracturing habe ich und auch unser Haus nicht mit einem so massiven plötzlichen Interesse gerechnet, allein schon daher, weil hier seit Jahrzehnten diese Maßnahmen stattfinden und das Interesse eher gering war."
Deutschland deckt heute rund ein Fünftel seines Primärenergiebedarfs mit Erdgas. Rund ein Siebtel davon stammt aus heimischen Quellen. Damit das so bleibt, müssen neue Vorkommen erschlossen werden. Das Schiefergas käme da wie gerufen. Um es fördern zu können, müsste aber viel häufiger als bisher gefrackt werden. Um zu verstehen warum, reicht Professor Brian Horsfield vom Geoforschungszentrum Potsdam dem Besucher ein Stück Schiefer. Der schwarze Gesteinsbrocken ist so kompakt, dass mit bloßem Auge keine Hohlräume auszumachen sind.
"Man kann keinen Porenraum erkennen mit den Augen. Aber unter dem Mikroskop kann man doch sehr, sehr kleine Poren erkennen. Und das ist, wo das Gas ist. In diesen kleinen Poren. Aber auch an der Oberfläche. Das heißt, dieses Gas ist versteckt. Es ist schwierig zu finden und dann zu produzieren. Viel schwieriger als bei Sandsteinen."
Welchen Beitrag zur deutschen Energieversorgung Erdgas aus Schiefergestein einmal leisten könnte, untersucht man derzeit bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover. Professor Bernhard Cramer, der zuständige Fachbereichsleiter, will Anfang 2012 erste Zahlen präsentieren. Doch schon heute zeichnet sich ab, dass sich wohl bestenfalls ein paar Prozent des deutschen Gas-Bedarfs aus heimischem Schiefer decken lassen werden. Doch das sei besser als nichts, findet Cramer.
"Allein schon deswegen, weil selbst kleine Mengen zur Versorgungssicherheit beitragen würden. Deutschland ist ein Erdgasproduktionsland, unsere Eigenproduktion geht runter. Und vor diesem Hintergrund wäre eine Weiterführung der Erdgasproduktion in Deutschland auf jeden Fall wünschenswert."
Werbefilm Chesapeake:
Today, we shake the sleak from our eyes and turn our focus to new solutions. We're standing on the world's largest supplies of natural gas. And now, we know their full potential ...
In den USA stammen schon über zehn Prozent der heimischen Gasförderung aus Schiefergestein. Der amerikanischen Energieagentur zufolge könnten es bis zum Jahr 2035 46 Prozent sein.
Werbefilm Chesapeake:
... One hundred years worth of natural gas under American soil puts us in control of our own destiny. ...
Der Schiefergasboom hat dazu geführt, dass die Vereinigten Staaten heute kein Gas mehr importieren müssen. Energieautarkie und Versorgungssicherheit, gepaart mit einem guten Geschäft - davon träumt man längst auch in Argentinien, Mexiko, Südafrika und China, wo es ebenfalls riesige Schiefergasfelder gibt. In Europa sitzen Frankreich und Polen auf den größten Ressourcen. Die Regierung in Paris will sie wegen der unkalkulierbaren Umweltrisiken ruhen lassen. Warschau dagegen treibt die Erkundung voran, in der Hoffnung von russischem Gas unabhängig zu werden. Ob sich die Erwartungen, die weltweit in die neuen Ressourcen gesetzt werden, erfüllen? Es gibt Experten, die haben da ihre Zweifel.
"Also ich vermute, das ist ein Hype, der in fünf bis zehn Jahren deutlich sichtbar wird. Da wird dann deutlich sichtbar werden: Das ist total überschätzt worden."
Werner Zittel ist Energieberater bei der Ludwig-Bölkow-Sytemtechnik GmbH in Ottobrunn. Er hat im Mai des vergangenen Jahres eine Studie über die Chancen und Risiken von unkonventionellem Erdgas veröffentlicht. Ihr Tenor: Die neue Fördertechnik halte nicht, was ihre Befürworter versprechen. Sie sei unrentabel und berge erhebliche Umweltrisiken. Als Beispiel führt Zittel das Barnett Shale an, ein riesiges Areal in Texas. 2005 wurde es im großen Stil erschlossen. Heute gleicht das Gelände einer Industriebrache: Zufahrtswege, Bohrplätze und Abwasserbecken, soweit das Auge reicht.
"Im letzten Jahr waren etwa 15.000 Bohrungen getätigt, auf einer Fläche von knapp 15.000 Quadratkilometern. Das heißt im Durchschnitt pro Quadratkilometer eine Bohrung. Und man hat ein bisschen über 50 Milliarden Kubikmeter gefördert. Wenn ich das runterrechne, dann sind das ein paar Millionen Kubikmeter pro Bohrung. Das heißt, im ersten Monat wird die Förderrate sicher ein Stück höher sein, und die geht dann sehr, sehr schnell zurück. Wenn ich das mal versuche hochzurechnen, dass wir im Mittel ähnliche Verhältnisse haben - das ist die Annahme - dann bräuchten wir vielleicht 100 - 200 Bohrungen, um damit ein Prozent des Importbedarfs in Deutschland abzudecken."
Der Aufwand wäre enorm. Hinzu käme dann noch die Sorge vor den ökologischen Nebenwirkungen des Frackings. Der zähflüssige Brei, der zum Aufbrechen des Gesteins in die Tiefe gepresst wird, besteht zwar überwiegend aus Wasser, aber nicht nur. Um die erzeugten Risse offen zu halten, werden Sand und verschiedene Chemikalien beigemischt, unter anderem Verdickungs- und Korrosionsschutzmittel, Schmierstoffe und keimtötende Biozide..
"Und die Chemikalien sind alles andere als harmlose Chemikalien. Typischerweise sind das einige Millionen Liter pro Bohrung insgesamt an Flüssigkeit. Und davon ist Größenordnung ein Prozent etwa entsprechende Chemikalien. Und wenn sie das Gestein aufgebrochen haben, wollen sie das Gas entnehmen. Das heißt, sie entspannen wieder - und dann kommt die ganze Soße wieder nach oben raus. "
Und damit - je nach geologischer Formation und Bohrung - auch Zigtausende Liter toxischer Chemikalien, die fachgerecht entsorgt werden müssen. In den USA haben Bohrfirmen dabei gepfuscht.
"Dort, wo im großen Stil gefrackt wurde - und nur wenn man es im großen Stil macht, dann hat es einen gewissen Beitrag zur Energieversorgung - dort hat man extrem geschlampt. Dort hat man nicht sorgfältig gearbeitet. Und das hat natürlich damit zu tun, dass sorgfältig arbeiten Zeit kostet und teuer ist. Das heißt, wenn's um Einzelbohrungen geht, um wenige, dann kann man schon versuchen, sehr, sehr gut zu arbeiten, zum Beispiel eine Betonwanne unter den Arbeitsplatz zu machen, und, und, und... Aber in dem Moment, wo's billig sein soll, und schnell gehen soll, da werden sie da durchaus oft Verstöße dagegen haben. Und die Statistik aus den USA zeigt ja, dass eine ganze Menge vorkommt."
Aus einer Kläranlage in Pennsylvania, die mit dem Chemikalien-Cocktail im Abwasser überfordert war, strömte die ungefilterte Brühe 2008 in einen Fluss. Ihr Gehalt an krebserregendem Benzol: 28-mal über dem Grenzwert. Und eine wissenschaftliche Studie der University in North-Caroline, publiziert in einem anerkannten Fachmagazin, belegte im Mai dieses Jahres, was die Gasbohrunternehmen jahrelang bestritten haben: Ihre Aktivitäten können das Trinkwasser gefährden. Die Untersuchung von 60 Haushalten ergab: Brunnen in der Nähe einer Schiefergasbohrung enthalten auffällig häufig soviel Methan, dass ihr Wasser brennbar ist.
"Tatsache ist, dass dort, wo viel gebohrt wurde, auch der Methangehalt im Wasser erhöht war. Wie das Methan jetzt rein kam, auf welchem Weg, das ist im Einzelfall schwer nachzuweisen. In einigen Fällen konnte man nachweisen, dass es durch eine schadhafte Bohrung passierte, dass einfach die Zementierung der Bohrung dem großen Druck nicht standhielt und undicht wurde, und zwar in einem Bereich, der in der Nähe des Grundwassers lag. Vorstellbar ist durchaus - und die Geologen können das nicht ausschließen - dass durch die künstlich erzeugten Risse Fließfähigkeiten geschaffen werden und Verbindungen zu natürlichen Klüften, sodass da Erdgas auf natürlichem Wege, sage ich mal, durch das Gestein sickern kann."
Und damit vielleicht bis ins Grundwasser - ein Szenario, das deutsche Wasserversorger fürchten.
Die ExxonMobil-Mitarbeiter an der Bohrstelle Bötersen Z 11 haben all diese Argumente und Bedenken schon oft gehört. Die Pressesprecherin hat Antworten vorbereitet.
"Es ist ganz wichtig, dass wir verschiedene Sicherungsmaßnahmen treffen. Das eine ist die Oberfläche. Wir haben betonierte und asphaltierte Flächen, die schon sicherstellen, dass von oben keine Flüssigkeit austreten kann und in den Untergrund gerät. Trinkwasser führende Schichten haben wir in Deutschland, in dem Areal, zumindest in dem wir uns mit unseren Erkundungsbohrungen bewegen, bis in eine Tiefe von rund 200 Metern. Die Areale, in denen das Frackverfahren durchgeführt wird, liegen in ein- bis fünftausend Metern Tiefe. Dazwischen liegt ein ganz dichtes Deckgebirge. Und dass dieses Deckgebirge tatsächlich dicht ist, das hat es über geologische Zeiträume bewiesen, ansonsten wäre kein Erdgas mehr vorhanden."
Solange die Bohrung dicht ist und das Abwasser fachgerecht entsorgt wird, besteht deshalb wohl in der Tat kaum Grund zur Sorge. Das räumen selbst Kritiker ein. Jedes Leck wäre allerdings fatal. Und wenn künftig viel häufiger gefrackt wird, um unkonventionelles Erdgas zu fördern, steigt natürlich auch die Gefahr, dass doch einmal etwas schief geht. Bernhard Cramer von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe hält das Risiko dennoch für vertretbar. Und betont, Verhältnisse wie in den USA, wo die Gier der Konzerne auf Kosten des Allgemeinwohls ging, werde es in Deutschland nicht geben.
"Von der Ökologie her ist es so, dass zum einen - sie haben Amerika angesprochen - viele Probleme, die da aufgetreten sind, in dieser Lernkurve der neuen Technologie, bei uns so nicht mehr passieren werden. Zum Beispiel der Landverbrauch. Also was da passiert ist an Bohrungsdichte oder so was, ist bei uns ja gar nicht vorstellbar. Dazu kommt, dass bei uns andere Mechanismen der Genehmigung, der Überwachung und so greifen."
Ob die Gesetze in Deutschland ausreichen, um den Firmen genau auf die Finger schauen zu können, ist jedoch umstritten. In Nordrhein-Westfalen mehrt sich deshalb die Kritik. Der Umweltexperte der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag, André Stinka, veröffentlichte kürzlich eine Videobotschaft auf seiner Homepage.
"Ich habe gesehen, dass das Risiko des Eintrags von Chemikalien durch sogenannte Fracking-Maßnahmen nach meiner Einschätzung zu hoch ist. Deshalb werde ich hier in der Fraktion dafür werben, dass wir, solange hochgefährliche Chemikalien beim Fracking benutzt werden, dass wir erst einmal die Finger von diesem Verfahren lassen. "
Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen tritt auf die Bremse. Bis zur Vorlage eines Umweltgutachtens soll es keine weiteren Erkundungsbohrungen geben. Bis nächsten Sommer, wenn die Risikoanalyse vorliegen soll, liegen deshalb alle Aktivitäten auf Eis. Grundsätzlich verbieten kann die Landesregierung das Fracking aber nicht. Die Genehmigung von Erkundungs- und Förderbohrungen unterliegt dem Bergrecht. Und das ist Sache des Bundes, erklärt Wibke Brems, die umweltpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion.
"Das Problem ist das deutsche Bergrecht, das sehr firmenfreundlich an dieser Stelle ist und wenige Möglichkeiten überhaupt belässt, um eine Genehmigung zu verhindern. Deswegen versuchen wir als rot-grüne Landesregierung eine Bundesratsinitiative durchzubringen, die dieses Bergrecht eben ändert, wo Umweltverträglichkeitsprüfungen und Bürgerbeteiligung mit vorgesehen ist."
In der ersten Runde ist man damit jedoch gescheitert. Einen entsprechenden Antrag hat der Wirtschaftsausschuss des Bundesrates Mitte September abgelehnt. Durchgesetzt hat sich stattdessen ein Antrag aus dem schwarz-gelb regierten Niedersachsen. Er sieht vor, dass Umweltverträglichkeitsprüfungen für Fracking-Bohrungen nur vorgeschrieben sind, sofern eine Vorprüfung "nachhaltige negative Umweltauswirkungen erwarten lässt". Doch diese eher industriefreundliche Entscheidung ist wohl nicht das letzte Wort in der Sache. Schließlich ordnete Ende Juli auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen von der CDU eine umfassende Risikoanalyse zum Thema Fracking an. Ein denkbares Ergebnis wären verschärfte Auflagen zum Trinkwasserschutz und ein Verbot bestimmter Fracking-Chemikalien. Für die Konzerne wäre all das mit zusätzlichen Kosten verbunden. Ob es sich dann noch rechnen würde, in Deutschland nach Schiefergas zu bohren? Der Fracking-Kritiker Werner Zittel hat Zweifel, denn die Erfahrungen aus den USA belegen: Das Geschäftsmodell steht schon heute auf wackligen Beinen.
"Die Förderrate pro Bohrquelle ist sehr, sehr klein. Zum Zweiten lässt die sehr schnell nach. Sie haben nach einem Jahr 85 Prozent weniger Förderrate. Damit muss man sehr viel Arbeit leisten, und schnell bohren, um das, was einem schon wieder wegbricht, zu ersetzen. Da kommt man dann sehr schnell an ein Maximum des Aufwandes. Danach ist man nur noch damit beschäftigt, dieses Niveau zu halten. In den großen Feldern sieht man genau diese Tendenzen."
Recherchen der "New York Times" stützen diese Einschätzung. Die Zeitung berichtete Ende Juli unter Berufung auf Insider und vertrauliche Dokumente, das Geschäftsmodell Schiefergas sei weit weniger lukrativ, als Förderfirmen ihre Investoren Glauben machen wollen. Hoher Aufwand und geringer Ertrag machten viele Bohrungen unrentabel. Es könnte der Anfang vom Ende des riskanten Rohstoff-Rausches sein. In den USA, aber auch in Deutschland.
Mehr zu diesem Thema:
Umwelt und Verbraucher 29.07.2011 - Widerstand gegen Erdgasbohrungen - Umstrittenes Schiefergas-Projekt in NRW
Umwelt und Verbraucher 29.08.2011 - Umweltschützer laufen gegen "Fracking" Sturm - Geplante Gasbohrung in Nordrhein-Westfalen sorgt für Ärger
Umwelt und Verbraucher 01.07.2011 - Die Bremser - Polens Energie- und Klimapolitik
Bötersen Z 11, so heißt die Bohrung, die der Energiekonzern ExxonMobil hier machen lässt. Das Ziel ist eine Sandsteinschicht 4800 Meter unter der Erde, erklärt Pressesprecherin Ritva Westendorf-Lahouse.
"Wir wissen, dass das Feld vorhanden ist. Wir wissen, dass Gas hier ist. Bötersen Z 11 bedeutet: Es gibt schon 10 andere Bohrungen. Wir hoffen auf eine Anfangsrate von 20.000 Kubikmeter pro Stunde."
ExxonMobil ist der größte Gasproduzent in Deutschland. 5,4 Milliarden Kubikmeter Erdgas förderte das Unternehmen hierzulande vergangenes Jahr - das meiste aus Bohrungen in Niedersachsen. Doch während man normale Erdgasblasen nur anstechen muss, damit das Gas entweicht wie die Luft aus einem Fahrradreifen, ist die Lage in Bötersen komplizierter. Weil der Sandstein hier sehr feine Poren hat, kann sich das darin gefangene Erdgas nicht frei bewegen. Damit es trotzdem herauszischt, werden im Gestein fingerbreite Risse erzeugt - auf Englisch Fracs. In einigen Wochen sollen mächtige Pumpen dazu ein mit Chemikalien versetztes Wasser-Sand-Gemisch in die Tiefe pressen. Durch den hydraulischen Druck wird der gashaltige Sandstein dann zersplittert. Hydraulic Fracturing, kurz Fracking, nennt sich diese Methode.
"Fracking ist absolut nichts Neues in Deutschland. Den ersten Frack haben wir gerade neulich in den Akten eines Partnerunternehmens gesehen, von 1961. Wir selbst haben in den 70er-Jahren angefangen zu fracken. Es gibt rund 300 Fracks in Deutschland bisher. Rund 50 Jahre - also wir haben ganz gute Erfahrung schon."
Bislang wurde das Verfahren praktisch ausschließlich im Sandstein verwendet. Wenn es nach ExxonMobil und anderen Gasförderern geht, soll sich das aber ändern. Sie wollen künftig auch in viel kompakteren Gesteinsschichten fracken. Zum Beispiel im dichten Steinkohle- oder Schiefergestein, das sich im Untergrund von Münsterland und Sauerland befindet. Verglichen mit dem Sandstein unter Bötersen, ist das Erdgas dort viel fester gebunden. Unkonventionelles Erdgas, so nennen Fachleute solche Gaslagerstätten in undurchlässigem Gestein. Die internationale Energieagentur schätzt, dass weltweit allein in Schiefern über 450 Billionen Kubikmeter Gas schlummern - mehr als doppelt soviel wie in allen bekannten konventionellen Gasblasen. Mittels Fracking ließe sich ein erheblicher Teil davon ans Tageslicht fördern. Bohrfirmen und Ölkonzerne wittern ein Milliardengeschäft.
In den USA haben Gaskonzerne in den vergangenen zehn Jahren über eine Million Mal gefrackt. Kilometer unter der Erde wurden so riesige Rohstofflager in Schiefergestein angezapft. Es gab einen regelrechten Rohstoffrausch. Doch mittlerweile macht sich Katerstimmung breit. Die ökologischen Folgen des Schiefergasbooms sind mitunter so gravierend, dass Umweltschützer mobilmachen. Ihre Protestlieder handeln von vergifteten Brunnen und brennenden Wasserhähnen.
"Gasland" ist der Titel eines Dokumentarfilms, mit dem der Filmemacher Josh Fox im vergangenen Jahr die US-amerikanische Öffentlichkeit wachrüttelte. Im Film, der sich mit den Umweltfolgen der Tiefbohrtechnik befasst, hält ein Betroffener ein brennendes Feuerzeug an einen laufenden Wasserhahn.
Das Wasser enthält soviel Gas, dass es eine Stichflamme gibt. In den USA gerieten schon Häuser in Brand. Kein Wunder, dass sich auch hierzulande Widerstand regt, seit bekannt wurde, dass Gaskonzerne auch in Deutschland nach Schiefergas bohren. Allein unter Nordrhein-Westfalen schlummert vermutlich genug unkonventionelles Erdgas, um Deutschland 20 Jahre lang zu versorgen. Ein knappes Dutzend Firmen wetteifern um die Pole Position beim Rohstoff-Roulette. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel haben sich die Konzerne auf rund der Hälfte der Landesfläche Rechte für Erkundungsbohrungen gesichert. Die zuständigen Bergbaubehörden haben die Claims verteilt. Doch die Bürger vieler betroffener Kommunen befürchten unkalkulierbare Umweltrisiken und gehen auf die Barrikaden.
"Ich habe den Eindruck, man wird überhaupt nicht gescheit aufgeklärt. Und auch die Tatsache, dass von offizieller Seite da irgendwelche Prospekte von ExxonMobil verwendet wurden, um das zu erklären, finde ich ungeheuerlich."
"Wir haben dann Dinge herausgefunden, die mich als direkter Anwohner - ich wohne 300 Meter von der Bohrstelle entfernt - total schocken. Mir machen die Angst."
Stimmen von einer Podiumsdiskussion in Nordwalde, einer Gemeinde im Münsterland, wo ExxonMobil eine von zahlreichen Erkundungsbohrungen plant. Sind die Sorgen der Bürger berechtigt? Klaus Söntgerath ist überzeugt: Die Angst der Anwohner beruht auf Unwissenheit. Der leitende Bergdirektor vom Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie in Hannover hat die bislang fünf Schiefergas-Probebohrungen in Niedersachsen genehmigt. Genau wie in Nordrhein-Westfalen gibt es auch dort massive Bürgerproteste.
"Im Bereich des Hydraulic Fracturing habe ich und auch unser Haus nicht mit einem so massiven plötzlichen Interesse gerechnet, allein schon daher, weil hier seit Jahrzehnten diese Maßnahmen stattfinden und das Interesse eher gering war."
Deutschland deckt heute rund ein Fünftel seines Primärenergiebedarfs mit Erdgas. Rund ein Siebtel davon stammt aus heimischen Quellen. Damit das so bleibt, müssen neue Vorkommen erschlossen werden. Das Schiefergas käme da wie gerufen. Um es fördern zu können, müsste aber viel häufiger als bisher gefrackt werden. Um zu verstehen warum, reicht Professor Brian Horsfield vom Geoforschungszentrum Potsdam dem Besucher ein Stück Schiefer. Der schwarze Gesteinsbrocken ist so kompakt, dass mit bloßem Auge keine Hohlräume auszumachen sind.
"Man kann keinen Porenraum erkennen mit den Augen. Aber unter dem Mikroskop kann man doch sehr, sehr kleine Poren erkennen. Und das ist, wo das Gas ist. In diesen kleinen Poren. Aber auch an der Oberfläche. Das heißt, dieses Gas ist versteckt. Es ist schwierig zu finden und dann zu produzieren. Viel schwieriger als bei Sandsteinen."
Welchen Beitrag zur deutschen Energieversorgung Erdgas aus Schiefergestein einmal leisten könnte, untersucht man derzeit bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover. Professor Bernhard Cramer, der zuständige Fachbereichsleiter, will Anfang 2012 erste Zahlen präsentieren. Doch schon heute zeichnet sich ab, dass sich wohl bestenfalls ein paar Prozent des deutschen Gas-Bedarfs aus heimischem Schiefer decken lassen werden. Doch das sei besser als nichts, findet Cramer.
"Allein schon deswegen, weil selbst kleine Mengen zur Versorgungssicherheit beitragen würden. Deutschland ist ein Erdgasproduktionsland, unsere Eigenproduktion geht runter. Und vor diesem Hintergrund wäre eine Weiterführung der Erdgasproduktion in Deutschland auf jeden Fall wünschenswert."
Werbefilm Chesapeake:
Today, we shake the sleak from our eyes and turn our focus to new solutions. We're standing on the world's largest supplies of natural gas. And now, we know their full potential ...
In den USA stammen schon über zehn Prozent der heimischen Gasförderung aus Schiefergestein. Der amerikanischen Energieagentur zufolge könnten es bis zum Jahr 2035 46 Prozent sein.
Werbefilm Chesapeake:
... One hundred years worth of natural gas under American soil puts us in control of our own destiny. ...
Der Schiefergasboom hat dazu geführt, dass die Vereinigten Staaten heute kein Gas mehr importieren müssen. Energieautarkie und Versorgungssicherheit, gepaart mit einem guten Geschäft - davon träumt man längst auch in Argentinien, Mexiko, Südafrika und China, wo es ebenfalls riesige Schiefergasfelder gibt. In Europa sitzen Frankreich und Polen auf den größten Ressourcen. Die Regierung in Paris will sie wegen der unkalkulierbaren Umweltrisiken ruhen lassen. Warschau dagegen treibt die Erkundung voran, in der Hoffnung von russischem Gas unabhängig zu werden. Ob sich die Erwartungen, die weltweit in die neuen Ressourcen gesetzt werden, erfüllen? Es gibt Experten, die haben da ihre Zweifel.
"Also ich vermute, das ist ein Hype, der in fünf bis zehn Jahren deutlich sichtbar wird. Da wird dann deutlich sichtbar werden: Das ist total überschätzt worden."
Werner Zittel ist Energieberater bei der Ludwig-Bölkow-Sytemtechnik GmbH in Ottobrunn. Er hat im Mai des vergangenen Jahres eine Studie über die Chancen und Risiken von unkonventionellem Erdgas veröffentlicht. Ihr Tenor: Die neue Fördertechnik halte nicht, was ihre Befürworter versprechen. Sie sei unrentabel und berge erhebliche Umweltrisiken. Als Beispiel führt Zittel das Barnett Shale an, ein riesiges Areal in Texas. 2005 wurde es im großen Stil erschlossen. Heute gleicht das Gelände einer Industriebrache: Zufahrtswege, Bohrplätze und Abwasserbecken, soweit das Auge reicht.
"Im letzten Jahr waren etwa 15.000 Bohrungen getätigt, auf einer Fläche von knapp 15.000 Quadratkilometern. Das heißt im Durchschnitt pro Quadratkilometer eine Bohrung. Und man hat ein bisschen über 50 Milliarden Kubikmeter gefördert. Wenn ich das runterrechne, dann sind das ein paar Millionen Kubikmeter pro Bohrung. Das heißt, im ersten Monat wird die Förderrate sicher ein Stück höher sein, und die geht dann sehr, sehr schnell zurück. Wenn ich das mal versuche hochzurechnen, dass wir im Mittel ähnliche Verhältnisse haben - das ist die Annahme - dann bräuchten wir vielleicht 100 - 200 Bohrungen, um damit ein Prozent des Importbedarfs in Deutschland abzudecken."
Der Aufwand wäre enorm. Hinzu käme dann noch die Sorge vor den ökologischen Nebenwirkungen des Frackings. Der zähflüssige Brei, der zum Aufbrechen des Gesteins in die Tiefe gepresst wird, besteht zwar überwiegend aus Wasser, aber nicht nur. Um die erzeugten Risse offen zu halten, werden Sand und verschiedene Chemikalien beigemischt, unter anderem Verdickungs- und Korrosionsschutzmittel, Schmierstoffe und keimtötende Biozide..
"Und die Chemikalien sind alles andere als harmlose Chemikalien. Typischerweise sind das einige Millionen Liter pro Bohrung insgesamt an Flüssigkeit. Und davon ist Größenordnung ein Prozent etwa entsprechende Chemikalien. Und wenn sie das Gestein aufgebrochen haben, wollen sie das Gas entnehmen. Das heißt, sie entspannen wieder - und dann kommt die ganze Soße wieder nach oben raus. "
Und damit - je nach geologischer Formation und Bohrung - auch Zigtausende Liter toxischer Chemikalien, die fachgerecht entsorgt werden müssen. In den USA haben Bohrfirmen dabei gepfuscht.
"Dort, wo im großen Stil gefrackt wurde - und nur wenn man es im großen Stil macht, dann hat es einen gewissen Beitrag zur Energieversorgung - dort hat man extrem geschlampt. Dort hat man nicht sorgfältig gearbeitet. Und das hat natürlich damit zu tun, dass sorgfältig arbeiten Zeit kostet und teuer ist. Das heißt, wenn's um Einzelbohrungen geht, um wenige, dann kann man schon versuchen, sehr, sehr gut zu arbeiten, zum Beispiel eine Betonwanne unter den Arbeitsplatz zu machen, und, und, und... Aber in dem Moment, wo's billig sein soll, und schnell gehen soll, da werden sie da durchaus oft Verstöße dagegen haben. Und die Statistik aus den USA zeigt ja, dass eine ganze Menge vorkommt."
Aus einer Kläranlage in Pennsylvania, die mit dem Chemikalien-Cocktail im Abwasser überfordert war, strömte die ungefilterte Brühe 2008 in einen Fluss. Ihr Gehalt an krebserregendem Benzol: 28-mal über dem Grenzwert. Und eine wissenschaftliche Studie der University in North-Caroline, publiziert in einem anerkannten Fachmagazin, belegte im Mai dieses Jahres, was die Gasbohrunternehmen jahrelang bestritten haben: Ihre Aktivitäten können das Trinkwasser gefährden. Die Untersuchung von 60 Haushalten ergab: Brunnen in der Nähe einer Schiefergasbohrung enthalten auffällig häufig soviel Methan, dass ihr Wasser brennbar ist.
"Tatsache ist, dass dort, wo viel gebohrt wurde, auch der Methangehalt im Wasser erhöht war. Wie das Methan jetzt rein kam, auf welchem Weg, das ist im Einzelfall schwer nachzuweisen. In einigen Fällen konnte man nachweisen, dass es durch eine schadhafte Bohrung passierte, dass einfach die Zementierung der Bohrung dem großen Druck nicht standhielt und undicht wurde, und zwar in einem Bereich, der in der Nähe des Grundwassers lag. Vorstellbar ist durchaus - und die Geologen können das nicht ausschließen - dass durch die künstlich erzeugten Risse Fließfähigkeiten geschaffen werden und Verbindungen zu natürlichen Klüften, sodass da Erdgas auf natürlichem Wege, sage ich mal, durch das Gestein sickern kann."
Und damit vielleicht bis ins Grundwasser - ein Szenario, das deutsche Wasserversorger fürchten.
Die ExxonMobil-Mitarbeiter an der Bohrstelle Bötersen Z 11 haben all diese Argumente und Bedenken schon oft gehört. Die Pressesprecherin hat Antworten vorbereitet.
"Es ist ganz wichtig, dass wir verschiedene Sicherungsmaßnahmen treffen. Das eine ist die Oberfläche. Wir haben betonierte und asphaltierte Flächen, die schon sicherstellen, dass von oben keine Flüssigkeit austreten kann und in den Untergrund gerät. Trinkwasser führende Schichten haben wir in Deutschland, in dem Areal, zumindest in dem wir uns mit unseren Erkundungsbohrungen bewegen, bis in eine Tiefe von rund 200 Metern. Die Areale, in denen das Frackverfahren durchgeführt wird, liegen in ein- bis fünftausend Metern Tiefe. Dazwischen liegt ein ganz dichtes Deckgebirge. Und dass dieses Deckgebirge tatsächlich dicht ist, das hat es über geologische Zeiträume bewiesen, ansonsten wäre kein Erdgas mehr vorhanden."
Solange die Bohrung dicht ist und das Abwasser fachgerecht entsorgt wird, besteht deshalb wohl in der Tat kaum Grund zur Sorge. Das räumen selbst Kritiker ein. Jedes Leck wäre allerdings fatal. Und wenn künftig viel häufiger gefrackt wird, um unkonventionelles Erdgas zu fördern, steigt natürlich auch die Gefahr, dass doch einmal etwas schief geht. Bernhard Cramer von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe hält das Risiko dennoch für vertretbar. Und betont, Verhältnisse wie in den USA, wo die Gier der Konzerne auf Kosten des Allgemeinwohls ging, werde es in Deutschland nicht geben.
"Von der Ökologie her ist es so, dass zum einen - sie haben Amerika angesprochen - viele Probleme, die da aufgetreten sind, in dieser Lernkurve der neuen Technologie, bei uns so nicht mehr passieren werden. Zum Beispiel der Landverbrauch. Also was da passiert ist an Bohrungsdichte oder so was, ist bei uns ja gar nicht vorstellbar. Dazu kommt, dass bei uns andere Mechanismen der Genehmigung, der Überwachung und so greifen."
Ob die Gesetze in Deutschland ausreichen, um den Firmen genau auf die Finger schauen zu können, ist jedoch umstritten. In Nordrhein-Westfalen mehrt sich deshalb die Kritik. Der Umweltexperte der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag, André Stinka, veröffentlichte kürzlich eine Videobotschaft auf seiner Homepage.
"Ich habe gesehen, dass das Risiko des Eintrags von Chemikalien durch sogenannte Fracking-Maßnahmen nach meiner Einschätzung zu hoch ist. Deshalb werde ich hier in der Fraktion dafür werben, dass wir, solange hochgefährliche Chemikalien beim Fracking benutzt werden, dass wir erst einmal die Finger von diesem Verfahren lassen. "
Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen tritt auf die Bremse. Bis zur Vorlage eines Umweltgutachtens soll es keine weiteren Erkundungsbohrungen geben. Bis nächsten Sommer, wenn die Risikoanalyse vorliegen soll, liegen deshalb alle Aktivitäten auf Eis. Grundsätzlich verbieten kann die Landesregierung das Fracking aber nicht. Die Genehmigung von Erkundungs- und Förderbohrungen unterliegt dem Bergrecht. Und das ist Sache des Bundes, erklärt Wibke Brems, die umweltpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion.
"Das Problem ist das deutsche Bergrecht, das sehr firmenfreundlich an dieser Stelle ist und wenige Möglichkeiten überhaupt belässt, um eine Genehmigung zu verhindern. Deswegen versuchen wir als rot-grüne Landesregierung eine Bundesratsinitiative durchzubringen, die dieses Bergrecht eben ändert, wo Umweltverträglichkeitsprüfungen und Bürgerbeteiligung mit vorgesehen ist."
In der ersten Runde ist man damit jedoch gescheitert. Einen entsprechenden Antrag hat der Wirtschaftsausschuss des Bundesrates Mitte September abgelehnt. Durchgesetzt hat sich stattdessen ein Antrag aus dem schwarz-gelb regierten Niedersachsen. Er sieht vor, dass Umweltverträglichkeitsprüfungen für Fracking-Bohrungen nur vorgeschrieben sind, sofern eine Vorprüfung "nachhaltige negative Umweltauswirkungen erwarten lässt". Doch diese eher industriefreundliche Entscheidung ist wohl nicht das letzte Wort in der Sache. Schließlich ordnete Ende Juli auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen von der CDU eine umfassende Risikoanalyse zum Thema Fracking an. Ein denkbares Ergebnis wären verschärfte Auflagen zum Trinkwasserschutz und ein Verbot bestimmter Fracking-Chemikalien. Für die Konzerne wäre all das mit zusätzlichen Kosten verbunden. Ob es sich dann noch rechnen würde, in Deutschland nach Schiefergas zu bohren? Der Fracking-Kritiker Werner Zittel hat Zweifel, denn die Erfahrungen aus den USA belegen: Das Geschäftsmodell steht schon heute auf wackligen Beinen.
"Die Förderrate pro Bohrquelle ist sehr, sehr klein. Zum Zweiten lässt die sehr schnell nach. Sie haben nach einem Jahr 85 Prozent weniger Förderrate. Damit muss man sehr viel Arbeit leisten, und schnell bohren, um das, was einem schon wieder wegbricht, zu ersetzen. Da kommt man dann sehr schnell an ein Maximum des Aufwandes. Danach ist man nur noch damit beschäftigt, dieses Niveau zu halten. In den großen Feldern sieht man genau diese Tendenzen."
Recherchen der "New York Times" stützen diese Einschätzung. Die Zeitung berichtete Ende Juli unter Berufung auf Insider und vertrauliche Dokumente, das Geschäftsmodell Schiefergas sei weit weniger lukrativ, als Förderfirmen ihre Investoren Glauben machen wollen. Hoher Aufwand und geringer Ertrag machten viele Bohrungen unrentabel. Es könnte der Anfang vom Ende des riskanten Rohstoff-Rausches sein. In den USA, aber auch in Deutschland.
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