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Risse, Rost, marodes Mauerwerk

In Minneapolis/USA passierte der Gau aller Brückenbauer: Ohne Vorwarnung kollabierte die wichtigste Mississippi-Brücke während des Feierabendverkehrs. Autos stürzten in den Fluss, Menschen starben, viele dachten an einen Terroranschlag. Falsch: Materialermüdung war die Ursache der Katastrophe. In Deutschland kann so etwas nicht passieren, beschwichtigen sofort Fachleute. Doch der ADAC sieht das differenzierter. Von 50 getesteten Brücken bekamen 27 die Note ausreichend, sechs gar mangelhaft. Von den 120.000 Brücken in Deutschland befinden sich viele in bedenklichem Zustand.

Von Mirko Smiljanic |
    Minneapolis, 1. August 2007, 18:04 Uhr. Über die Mississippi River Bridge zwischen Minneapolis und St. Paul fließt der tägliche Feierabendverkehr: acht Spuren, 140.000 Fahrzeuge. Ein leichtes Grollen, die Fahrbahn zittert. Um 18:05 Uhr passiert es dann: Ein Teil der Mississippi River Bridge kollabiert!

    "Dutzende Fahrzeuge sind zwischen Beton und Metalltrümmern eingekeilt, andere stürzten 20 Meter ins Wasser, als die 150 Meter lange achtspurige Brücke über den Mississippi zusammenbrach. Bis zu 100 Autos und Lastwagen, so schätzen die Behörden von Minneapolis, befanden sich während des Unglücks direkt auf der Brücke. Bürgermeister Rybak zum Stand der sofort eingeleiteten Rettungsaktionen...","

    berichtet eine Reporterin vom Hubschrauber aus. Von Tragödie spricht US-Verkehrsministerin Mary Peters und verlangt – wie ein Tagesschau-Reporter festhält – das in solchen Momenten Übliche:

    ""Zusammen mit weiteren Abgeordneten, dem Gouverneur, dem Verkehrsminister und dem Bürgermeister von Minneapolis fordert sie jetzt Untersuchungen. Die Amerikanische Ingenieursvereinigung macht diese Überprüfungen, die Ingenieure vergeben Schulnoten. Vor zwei Jahren bekamen die amerikanischen Brücken eine 4+."

    Die Brücken in den USA wurden auch früher schon untersucht. Vor zwei Jahren bekamen sie eine 4+. Und welche Note bekommen deutsche Brücken?

    "Dieses Teilbauwerk hat eine Zustandsnote von 2,9, was normalerweise bedeutet, dass es recht schnell instand gesetzt werden muss!"

    "Risse, Rost, marodes Mauerwerk – über den Zustand deutscher Brücken
    Von Mirko Smiljanic.""

    "Wir befinden uns hier an einer Autobahnbrücke südlich von Düsseldorf, es ist ein Bauwerk aus dem Jahre 1979, eine so genannte Schrägseilbrücke, die auf beiden Seiten des Rheins so genannte Vorlandbrücken hat. Eine solche Vorlandbrücke wollen wir uns jetzt anschauen, es ist ein Spannbeton-Hohlkastenbauwerk, was seine üblichen Alterungsschäden hat."

    Ralph Holst von der BAST, der Bundesanstalt für Straßenwesen in Bergisch Gladbach, zeigt auf ein paar Risse. Noch sind sie nicht bedenklich, aus kleinen Schäden werden aber irgendwann große. 120.000 Brücken gibt es in Deutschland. 38.000 sind Bundesfernstraßen und werden von der BAST betreut. Den Rest teilen sich Länder und Kommunen. Vor allem letztere geraten zunehmend in die Kritik. Im Jahre 2007 hat der ADAC 50 Brücken in 13 Städten untersucht. 27 Bauwerke bestanden den Test lediglich mit der Note "ausreichend", fünf Brücken wurden als "mangelhaft" eingestuft, eine in Chemnitz sogar als "sehr mangelhaft".

    "Ein möglicher Schaden, wie wir ihn auch hier auf der Oberseite der Kappe sehen, ist, dass die Betonüberdeckung, die normalerweise dreieinhalb oder vier Zentimeter betragen soll, wie in diesem Fall nicht ausreicht, sondern nur ein ganz minimaler Betonüberzug vorhanden war, der einfach mit der Zeit auch durch die äußere Beanspruchung abgenutzt ist, dadurch ist Feuchtigkeit an die Bewehrung gedrungen, und wie auch hier sieht man Rostspuren."

    Mit einem Hammer schlägt Ralf Holst auf rot-braune Beulen, eine bricht auf und legt Teile der Stahlarmierung frei. "Hier kann jetzt Wasser ins Innere fließen", sagt Holst, "im Winter sprengt Frost dann den Beton, die Risse weiten sich aus, irgendwann ist die Haltbarkeit der Brücke gefährdet und wird gesperrt." Brückensperrungen sind in Deutschland selten. Allerdings fällt auf, dass kommunale Brücken häufig maroder sind als staatliche. Weil ihre Sanierung teuer ist, zögern Städte die Reparatur immer wieder hinaus. So etwas kann sich der Bund nicht leisten, weil intakte Fernstraßen Voraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft sind. Doch der Sanierungs-Aufwand für Brücken steigt. Viele sind älter als 30 Jahre und zeigen Ermüdungserscheinungen: Risse, Rost und marodes Mauerwerk kommen immer häufiger vor. Gleichzeitig nimmt von Jahr zu Jahr der Verkehr zu. Holst:

    "Das Problem, das wir jetzt und in Zukunft haben werden, ist halt, dass die Prognosen, die wir in der Vergangenheit bezüglich des Zuwachses des Verkehrs und des Zuwachses des Schwerverkehrs hatten, immer von der Wirklichkeit eingeholt wurden, und der zurzeit gültige Bundesverkehrswegeplan geht davon aus, dass bis zum Jahr 2015 eine Zunahme des Schwerverkehrs von 64 Prozent erfolgen wird. Und es ist einfach so, dass dann solche Bauwerke stärker beansprucht sind, als sie ursprünglich mal dafür veranschlagt worden waren."

    Ralph Holst kniet am Übergang zwischen Vor- und Hauptbrücke, den obligatorischen Hammer in der Rechten. Brückenprüfer der alten Schule arbeiten immer mit dem Hammer, erklärt er, der Klang liefert Informationen über den Zustand des Betons. Auch an dieser Stelle der Rheinbrücke nagt der Zahn der Zeit: Ein paar Risse, etwas Rost, nicht viel, Sorgen muss sich niemand machen. Noch nicht! Holst:

    "Diese Brücke ist etliche Jahre und Jahrzehnte haltbar, denn es sind ja noch keine äußeren Schäden größeren Ausmaßes zu sehen, die darauf schließen lassen, dass in der Konstruktion selbst Feuchtigkeit und Schäden entstanden sind."

    Wobei Holst die Betonung auf "äußere Schäden größeren Ausmaßes" legt. Den Zustand in der Brücke – im Beton und in der Stahlkonstruktion – können Ingenieure nur mit hohem Aufwand ermitteln.

    In einer Laborhalle der BAM, der Bundesanstalt für Materialforschung und Materialprüfung im Berliner Stadtteil Steglitz. Tonnenschwere Betonklötze, kalkweiß, sauber, äußerlich intakt. Ob der Beton auch innen intakt ist, zeigt sich aber erst jetzt. Wissenschaftler beschäftigt hier nur eine Frage: Wie kann man in den meterdicken Beton einer Brücke schauen, ohne auch nur ein einziges Loch zu bohren? Einige Klötze haben Produktionsfehler, Kieselnester etwa, falsch verpresste Spanndrähte oder korrodierten Stahl – so etwas kommt bei den rund 4000 sanierungsbedürftigen Brücken Deutschlands häufig vor.

    "Das Gerät ist ein so genanntes Ultraschallechogerät, es werden mechanische Impulse auf das Bauteil aufgebracht, die als Wellen durch das Bauteil durchlaufen und an Objekten, die wir zu finden versuchen, wie Bewehrung, Spannkanälen, Schichtgrenzen, Hohlräumen, reflektiert werden und von anderen Prüfköpfen wieder aufgenommen werden. Das ist mit dem medizinischen Ultraschall zu vergleichen. Das heißt, unser Ziel ist es auch, wie in der Medizin, Bilder aus dem Innern der Brücke zu bekommen."

    Ernst Niederleithinger, Leiter der Arbeitsgruppe "Zerstörungsfreie Prüfverfahren". An einer Schiene fährt der Ultraschallkopf an der Wand entlang, stoppt und sendet einen Impuls aus, fährt weiter, schickt den nächsten Impuls ins Bauwerk und so weiter. An Fundamenten schaut der Sensor problemlos 1,25 Meter in den Beton, bei Bedarf geht’s noch tiefer. Gemessen wird computergesteuert, alles andere – sagt Niederleithinger – sei nicht praktikabel.

    "Der Grund ist der, dass wir, um ein genaues Bild von der Brücke zu bekommen, Tausende, manchmal sogar Zehntausende Messungen brauchen, das ist von Hand alles nicht mehr zu realisieren. Auch die notwendige Genauigkeit lässt sich durch Handmessungen nicht mehr erzeugen. Wir haben deswegen automatische Scannersysteme entwickelt, wie hier in Form unseres Prüfstandes, wir haben aber auch sehr viel kleinere und mobile Systeme, die in der Praxis an Brücken eingesetzt werden können."

    Allerdings ist dieses Verfahren vergleichsweise langsam. Schneller misst das Impact-Echo. Ein kleiner Hammer klopft die Betonwand ab, der Schall dringt in die Brücke ein und wird an Hindernissen reflektiert. Dieses Verfahren ist einfacher zu handhaben als der technisch aufwendige Ultraschall, liefert aber ungenaue Bilder. Niederleithinger:

    "Die Bilder sind oft nicht so detailscharf wie beim Ultraschall, die Messungen und die Auswertungen sind dafür aber deutlich einfacher und es lassen sich auch sehr große und sehr dicke Elemente damit prüfen. Auch hier lassen sich zum Beispiel Inhomogenitäten im Beton, Kiesnester nennt man das, das sind Verdichtungsmängel im Beton, sehr gut auskartieren."

    Radarstrahlen durchleuchten den Beton nahe der Oberfläche, Röntgendiagnostik macht Sinn bei der Analyse von Stahlträgern und Schweißnähten. Vor allem die Schweißnähte älterer Stahlbrücken machen den Ingenieuren Sorgen. Immer mehr PKW fahren über Brücken, der Schwerlastverkehr nimmt zu.

    Schleswig-Holstein, ein schöner Sommertag, reger Urlaubsverkehr auf der A 7 Richtung Dänemark. Kaum ein Autofahrer weiß, dass er über Deutschlands zweitlängste Stahlbrücke fährt.

    "Wir sind jetzt unmittelbar an der Fahrbahnplatte und sehen die Trapezprofile über uns in greifbarer Nähe","

    erläutert Jens Hölterhoff, Professor für Brückenbau an der Hochschule Wismar, und zeigt auf eine von außen wenig spektakuläre Schweißnaht. Hölterhoff weiß aber: Hier haben sich Risse gebildet, Wasser läuft ins Trapezprofil. Innen sieht es bedrohlich rostig aus.

    ""Die Hochbrücke Rader-Insel ist insgesamt 1,5 Kilometer lang und damit eine der größten in Deutschland. Sie überquert den Nord-Ostsee-Kanal auf der Höhe von Rendsburg. Die Brücke ist 35 Jahre alt, und das Besondere ist die orthotrope Platte, die mit insgesamt 44 Hohlsteifen eine Gesamtlänge von insgesamt 66 Kilometern hat. Das stellt auch das besondere Problem dar."

    Orthotrope Platten – sagt Kersten Latz, ebenfalls Professor für Brückenbau an der Hochschule Wismar – sind Fahrbahnen aus Stahlblech, die mit Längs- und Querrippen versteift sind, so genannten Hohlsteifen. 66 Kilometer dieser trapezförmigen Hohlsteifen sichern die Fahrbahn der Rader-Insel-Brücke - ein 66 Kilometer langer Problemfall. Latz:


    "In den Hohlsteifen sieht es so aus, dass durch das Eindringen von Wasser und eventuell von Salzen die Innenseite stark korrodiert ist. Die Innenseite ist damals nicht mit einem Korrosionsschutz versehen worden, weil man damals in den 70er Jahren üblicherweise nicht davon ausging, dass das passieren kann, dass Risse in den Schweißnähten auftreten können und dadurch Wasser eindringen kann und es dadurch zu Korrosion kommt."

    Einstieg in die Brücke: Nasser, muffig riechender Beton, über ein Rohr fließt Wasser in den Regenspeicher. Hölterhoff:

    "Wir klettern jetzt gerade die Steigeisen hoch in die nächste Etage der Brücke."

    Ein paar Treppen noch, dann ist die Unterseite der Fahrbahn zum Greifen nahe – und damit die maroden Hohlsteifen. Wenige Zentimeter darüber fahren Autos und Lastwagen. Die Wismarer Forscher haben einen Roboter entwickelt, der die Trapezprofile untersucht. Es ist ein kleiner vierrädriger Wagen mit einer hochauflösenden Kamera. Langsam durchfährt er die Hohlsteife und misst die Wanddicke, erklärt Jens Hölterhoff,…

    "…das heißt, wir sind in der Lage, punktuelle Messungen durchzuführen, und, das hat es bisher noch nicht gegeben, dass wir parallel noch die Möglichkeit haben, indem wir die gesamte Steife unter Überdruck setzen und die Risse zu orten mittels eines Schallmessverfahrens, das heißt, wir haben Richtmikrophone auf unserem Roboter installiert und sind damit in der Lage, sagen zu können, wo potenzielle Risse in der Brücke sind.""

    Eine ebenso einfache wie effektive Methode: Wenn Luft durch einen Riss entweicht, pfeift es und schon lässt sich die Stelle orten. Natürlich werden die Risse verschweißt, was aber nur kurzfristigen Erfolg verspricht. Die Innenwände der Trapeze müssen langfristig geschützt werden.

    "Wir sehen hier einen Nachbau der Fahrbahn der Hochbrücke Rader-Insel, vier Meter lang, knapp zwei Meter breit mit insgesamt drei Hohlsteifen."

    An der Hochschule Wismar haben Kersten Latz und Jens Hölterhoff ein neues Sanierungsverfahren entwickelt. An einem Modell wird es gerade getestet. Dafür säubern sie zunächst einmal die inneren Wände des Trapezprofils. Hölterhoff:

    "Wir fahren also mit einem Hochdruckwasserspülkopf durch die Profile durch und reinigen die Profile mit einem hohen Wasserdruck, das geht mit bis zu 1000 bar, und hinterher haben wir ein metallisch reines Stahlprofil."

    Sind die Wände sauber, startet Phase zwei: Rundwebmaschinen stellen Schläuche her, die genau ins Innere der Trapeze passen. Der Schlauch wird nun mit Klebstoff gefüllt und in das Trapez hineingedrückt. Jens Hölterhoff:

    "Man kann sich das vorstellen wie das Umkrempeln einer Socke, bringen wir dann den Schlauch mit Druck in dieses Profil hinein","

    wo der Schlauch schließlich mit der Stahlwand verklebt und eine unlösbare Schutzschicht bildet. Ein aufwendiges Verfahren, aber eines, das verglichen mit einem Brückenneubau finanziell wesentlich günstiger ist. Rund 150 Millionen Euro kostet es, die Rader-Insel-Brücke komplett zu erneuern, ihre Sanierung schlägt dagegen nur mit 15 Millionen zu Buche. Zu lange dürfen Sanierungsmaßnahmen aber nicht hinausgeschoben werden, weil sonst die Kosten in astronomische Höhen steigen. Der ADAC hat die Sanierungskosten einer Brücke für die Jahre 2007 und 2022 verglichen. Da sich die Schäden beim Beton und im Mauerwerk im Laufe der Zeit ausweiten, würde bei einer Reparatur in 15 Jahren "mit gut dreifachen Kosten" zu rechnen sein. Im Klartext: Je früher die Sanierung beginnt, desto preiswerter ist sie! Wie lange Brücken halten und welche Sanierungskosten mit der Zeit auflaufen, hängt natürlich auch von der Bauqualität ab. Zitat:

    ""Es ist brütend heiß am 13. August 1973. Die Bauarbeiter an der Stauseebrücke im thüringischen Zeulenroda haben einen undankbaren Job. "Immer fehlte was, immer musste man improvisieren. Die Stahlbau-Regeln in der DDR waren lockerer als im Westen, weil man im Osten Stahl sparen musste", erinnerte sich später ein Arbeiter. An diesem 13. August sollte ein Brückensegment eingefügt werden. Der riesige Kran nimmt das Teil, hebt es langsam hoch, als plötzlich ohne jede Vorwarnung der gesamte vordere Teil der Brücke in die Tiefe stürzt. Vier Arbeiter sterben. Weil das Unglück am Tag des Mauerbaus passiert, geht die Stasi von Sabotage aus. "Falsch", sagten schon damals Fachleute. Es fehlte einfach das richtige Material. "Wir hatten immer im Kopf: Bloß nicht zu viel Stahl verbauen. Und in Zeulenroda ist der Schuss dann nach hinten losgegangen.""

    Dübendorf bei Zürich, in einer Laborhalle der Empa, der Eidgenössische Materialprüfungsgesellschaft: riesige Betonpressen, meterhohe Pfeiler – einige heil, andere zerfetzt und voller Risse, an den Seiten zerbröselt mit verbogenem Bewehrungsstahl: Die Resultate brachialer Kräfte im Dienst der Wissenschaft. Bei welchen Drücken geht was kaputt und – wichtiger noch – lassen sich die Schäden mit vertretbarem Aufwand sanieren? Auf den ersten Blick scheint eine Reparatur unmöglich. Doch das sieht der iranische Ingenieur Masoud Motavalli anders. Er zeigt auf Betonstützen, die mit einem schwarzen Kunststoffband umwickelt sind. Motavalli:

    "Dazu haben wir kohlefaserverstärkte Kunststoffmaterialien verwendet, die wir um die Stütze umwickelt haben, Sie sehen bei der mittleren Stütze noch Reste von dem Material. Man klebt das rund um die Stütze und verhindert damit das Auseinandergehen von dem Beton, zudem erreicht man mit solchen hochfesten Fasern, die sind in Faserrichtung sehr, sehr fest, fester als Stahl, leichter als Stahl, Sie die horizontale Armierung ersetzen."

    Zunächst werden die schadhaften Stellen mit Beton aufgefüllt, anschließend kohlefaserverstärkte Kunststoffmatten um den Pfeiler gewickelt. Motavalli:

    "Wir können jetzt zeigen, dass unsere Methode zum Beispiel die Deformationskapazität, wie verformbar die Stützen sind, bis zu sieben-, achtmal erhöht als nicht sanierte Stützen."

    Eine simple Sanierungsmethode für marode Betonbrücken mit einem entscheidenden Vorteil: Die Kunststoffbänder sind preiswert, sie kosten nur den Bruchteil einer aufwendigen Komplettsanierung. Geld spielt eine zentrale Rolle.

    Im November 1940 wird die Tacoma Narrows Bridge in Washington eingeweiht. 850 Meter lang, eine Hängebrücke. Es ist eine ausgesprochen schöne und schlanke Brücke – allerdings auch eine empfindliche. Schon leichter Seitenwind lässt sie schwanken und wellenartig vibrieren. "Galloping Gertie" heißt sie im Volksmund, binnen weniger Wochen entwickelt sie sich zur Touristenattraktion.

    Wer bei den Kosten für Wartung und Sanierung sparen will, der sollte schon beim Bau der Brücke umdenken. Aus diesem Grund interessieren sich die Zürcher Ingenieure auch für das Galloping-Gertie-Phänomen – und erforschen es an einer Laborbrücke. 20 Meter ist die Modellbrücke lang und knapp zwei Meter breit, die Pylone ragen acht Meter in die Höhe, Stahlseile laufen von dort schräg zur Brücke. Sie hat alles, was große Brücken ausmacht – inklusive unangenehmer Vibrationen. Masoud Motavalli:

    "Die Brückenplatte ist aus Holz, Mehrschichtenholz, wir gehen auf die Brücke und wir werden dann die Brücke in Schwingung versetzen und messen, wie das dynamische Verhalten der Brücke ist."

    Masoud Motavalli geht auf und ab, springt in die Höhe, stampft hin und wieder mit dem Fuß auf. Die Holzplatte vibriert ein wenig, mehr nicht.

    Viele Autofahrer nehmen weite Umwege in Kauf, nur um auf "Galloping Gertie" Achterbahn zu fahren. Doch der Spaß hält nicht lange an. Am 7. November 1940 bewegt sich die Fahrbahn bei einer Windgeschwindigkeit von 68 Kilometern pro Stunde, anfangs langsam, dann aber immer stärker in Wellen auf und ab und nach rechts und links. Schließlich bäumt sich "Galloping Gertie" ein letztes Mal auf und stürzt krachend ins Wasser. Motavalli:

    "Vielleicht können Sie auch hier springen und selber die Brücke in Schwingung versetzen, bevor wir die Maschine einschalten, je nachdem, wo man steht, können wir die Brücke noch schlimmer in Schwingung versetzen"

    Nach oben und unten bewegt sich die Brücke, nicht allzu stark, die Sensoren und der am Rande der Brücke aufgestellte Computer registrieren aber schon jetzt Wellenamplituden.

    Alles schwingt: Hochhäuser, Türme, Brücken. Je stärker die Schwingungen sind, desto höher ist die mechanische Belastung einzelner Bauteile, umso schneller altert das Bauwerk. Dramatisch wird’s bei Resonanzen, wenn Luftwirbel die Eigenschwingung so verstärken, dass der Wind die Brücke immer wieder im gleichen Rhythmus anstößt, bis die Brücke im schlimmsten Fall einstürzt. Motavalli:

    "Die Sensoren werden installiert auf der Brückenplatte und auch auf den Schrägseilen an verschiedenen Punkten, es werden noch mehr Sensoren angebracht. Die Schwingungen werden allerdings nicht so hoch sein, die Amplituden, dass gleich die Brücke kaputtgeht, auch kleine Schwingungen genügen, damit man Informationen über das Brückeverhalten hat. Jetzt schalten wir den Schwinger ein."

    Ein Knopfdruck und es geht los. Motavalli:

    "…um ein bisschen das Gefühl zu bekommen, wie das Ganze aussehen wird,…"


    …auf und ab bewegt sich die Fahrbahn, das Gehen macht Probleme, der Magen rebelliert. Masoud Motavalli schaut hinauf zu den Stahlseilen, die von den Pylonen wie die Saiten einer überdimensionalen Harfe zur Brückenplatte laufen. Von Sekunde zu Sekunde vibrieren sie immer stärker. "Dämpfen", sagt Motavalli, "wir müssen die Schwingungen dämpfen". Nicht irgendwie sondern intelligent. Motavalli:


    "Die Schwingungen werden von Beschleunigungsaufnehmern, die auf den Seilen installiert sind, gemessen, diese Bewegungen werden registriert in sehr schnellem Ablauf, die Daten kommen an einen Computer, der dann einen Befehl gibt zu so einem kontrollierbaren Dämpfer, wie er mit welcher Kraft das Ganze dämpfen soll."

    Klassische Schwingungsdämpfer sind nur für einen bestimmten Frequenzbereich ausgelegt. Intelligente Dämpfer arbeiten nach anderen Prinzipien. Motavalli:

    "Innerhalb von diesen Dämpfern gibt es Öl, wie bei den klassischen Dämpfern auch. Der Unterschied ist aber, innerhalb von dem Öl gibt es magnetisierbare Partikel, und das ganz befindet sich in einem Magnetfeld und die Magnetfeldstärke kann man mit Strom kontrollieren. Wenn wir eine hohe Stromstärke haben, ist es so, dass die Partikel näher zueinander kommen und das Öl wird eine höhere Dämpfungskraft haben, wenn wir eine kleine Feldstärke haben, gehen die Partikel auseinander und es gibt eine kleinere Dämpfungskraft. So können Sie mit Stromstärke dieses Spiel machen und Ihr System regeln."

    Vibriert die Brücke in einer anderen Frequenz, etwa weil die Windgeschwindigkeit zugenommen hat, passt ein Computer automatisch die Dämpfung der neuen Frequenz an. Solche intelligenten Systeme schützen mittlerweile erste Brücken, zukünftig – prophezeit Masoud Motavalli – finden sich solche Dämpfer in allen Stahlseilbrücken. Sie steigern die Sicherheit und reduzieren gleichzeitig die Kosten für die Brücke, weil der Sanierungsaufwand sinkt.

    Masoud Motavalli schaltet die Vibrationsmaschine ab, langsam schwingt die Laborbrücke aus. Schaden hat sie nicht genommen – im Gegensatz zu den vielen anderen Brücken, über die Tag für Tag Tausende von Autos fahren. Nach Schätzungen sind in Deutschland 4000 Brücken sanierungsbedürftig – Milliardenkosten für Kommunen, Länder und den Bund. Kein Wunder also, dass notwendige Reparaturen immer wieder verschoben werden. In Zukunft sollen neue Brücken deshalb anders gebaut und besser überwacht werden. Der Essener Hochtief-Konzern entwickelt etwa das Konzept einer zwar etwas teureren dafür aber wartungsärmeren Autobahnbrücke. Derzeit kosten Wartung und Sanierung einer Brücke in 50 Jahren so viel wie ein Brückenneubau. Ingenieure legen deshalb zunehmend Wert auf Onlineüberwachung. Im schweizerischen Winterthur gibt es eine solche Brücke, aber auch die Rudolf-Wissell-Brücke in Berlin-Charlottenburg wird kontinuierlich und automatisch von Sensoren auf Veränderungen überprüft: Wie weit sie sich ausdehnen, wo sie rosten, wie sie schwingen – alles analysiert kostengünstig eine Software, aber was ist schon eine Online-Überwachung verglichen mit den Visionen von Mike Schlaich, Professor für Brückenbau an der TU Berlin. Ihm schweben intelligente und autonome Brücken vor, versehen mit Sensoren, Prozessoren und Aktuatoren, kleine mechanische Elemente, die Veränderungen an Brücken vornehmen. Schlaich:

    "Es gibt Mikroturbinen, Mikroklappen, die die Grenzschicht eines Körpers beeinflussen können, sodass sich die Wirbelablösung ändert. Das heißt, Sie können das dynamische Verhalten einer Fahrbahnplatte, eines Seiles ändern, sodass sie zum Beispiel im Sturm nicht mehr schwingen, in dem diese Mikrosysteme miteinander kommunizieren und sagen, bei mir drückt gerade was, erzeuge einen kleinen Gegenwirbel, und das machen eben Zehntausende dieser kleinen Mikrosysteme, das ist eine dieser Ideen, dass man eben diese virtuellen Brückenquerschnitte erzeugen kann."

    In Folien geschweißte Mikrosysteme, so die Idee, werden um die Trägerkabel, auf die Fahrbahn und auf sonstige Flächen der Brücke geklebt. Je nach Brückengröße sind dies einige Hunderttausend bis einige Hundert Millionen Einheiten. Schlaich:

    "Diese Mikrosysteme können durchaus Sender und Empfänger haben, das heißt, es gibt kleine Radiosender auf dem Mikrochip, da kann eben erstaunlich viel drauf untergebracht werden, und kann damit ein Mikrosystem mit dem Nachbarn kommunizieren, es kann mitteilen, um beim Seil zu bleiben, bei mir ist gerade großer Luftdruck, da löst sich gerade ein Wirbel, tu was dagegen. Und diese Kommunikation ist zwischen Mikrosystemen möglich auf kleinem Raum, aber auch von Seil zu Seil, die Seile können miteinander kommunizieren und sich so abstimmen, dass die Brücke im Gesamten nicht schwingen kann."

    Dabei öffnen sich winzige Klappen und verändern die Grenzschicht zwischen Kabel und Luft so, dass die Wirbel keinen schädlichen Einfluss haben. Gleiches gilt für Schwingungen etwa auf Eisenbahnbrücken. Mike Schlaich:

    "Und da könnte man sich jetzt intelligente Kabel, intelligente Seile vorstellen, die merken, dass ein Zug kommt, die miteinander kommunizieren und sagen, jetzt kommt ein Zug, jetzt kommt eine Last, die Fahrbahn ginge nach unten, wenn ich mich nicht verkürzen würde, und die Kabel verkürzen sich nun so, dass die Verformungen infolge berechenbarer, vorhersagbarer Zuglasten reduziert werden."

    Keine Science-Fiction – das wäre zu weit entfernt vom Machbaren – aber doch Engineering-Fiction. Für die Mississippi River Bridge in Minneapolis kommen diese Ideen zu spät. Sie ist eingestürzt, ausgelöst wahrscheinlich durch Korrosion und Materialermüdung. Und in Deutschland? Kann in Deutschland eine Brücke ohne Vorwarnung kollabieren? Ralph Holst von der Bundesanstalt für Straßenwesen:

    "Prinzipiell kann man nie ausschließen, dass Bauwerke durch äußere Beanspruchung oder auch durch Überbeanspruchung einstürzen können, gänzlich ausschließen kann man nie, wo man mit Menschen zu tun hat und auch mit Fehlplanung oder auch mit Ausführungsmängeln zu tun hat, ausschließen nicht, aber ich halte die Wahrscheinlichkeit für äußerst gering durch unsere Bauwerksprüfung."