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Ritterschlacht bei Tannenberg

Am Mittag des 15. Juli 1410 blies ein polnisch-litauisches Heer zum Angriff - und schlug die Ritter des Deutschen Ordens vernichtend. Die Schlacht und der Deutsche Orden selbst wurden zum Sinnbild deutschen Expansionsdrangs - noch Jahrhunderte später machten Polen und Deutschland gleichermaßen daraus einen nationalistischen Mythos.

Von Helga Hirsch |
    Das kleine Tannenberg hat zwei Leben. Das eine basiert auf einem realen historischen Ereignis: Hier wurde - bei einem ostpreußischen Ort, der eigentlich Grünfelde heißt und in Polen als Grunwald in die Geschichte eingegangen ist - die größte Schlacht eines mittelalterlichen Ritterheeres ausgefochten. Das zweite Leben führt Tannenberg als Mythos, als Bezugspunkt nationaler Identitätsstiftung, der das wirkliche Geschehen mehrfach zu überlagern drohte.

    Laut erschallte die Bogurodzica, das alte Lied von der "Gottesgebärerin", an jenem Mittag des 15. Juli 1410. Dann schickten der polnische König Wladyslaw II. Jagiello und der litauische Großfürst Vytautas ihre Truppen gegen das deutsche Ordensheer unter dem Hochmeister Ulrich von Jungingen in den Kampf. Die jahrzehntelangen Rivalitäten zwischen dem expansiven deutschen Ordensstaat und seinen Nachbarn erreichten nun ihren Höhepunkt. Das vereinte polnisch-litauische Heer war zahlenmäßig überlegen, das Ordensheer allerdings besser ausgebildet und gerüstet, zudem haftete ihm der Nimbus des Unbesiegbaren an.

    Nach anfänglichen Erfolgen wurden die Kräfte des Ordens jedoch aufgerieben und in die Flucht geschlagen; Hochmeister Ulrich von Jungingen und fast die gesamte Führungsschicht waren gefallen. Mit der verheerenden Niederlage von Tannenberg verspielte der Deutsche Orden seine Rolle als Missions- und Machtfaktor in Nordosteuropa, das vereinte Königreich Polen-Litauen hingegen setzte seinen Aufstieg zu einer neuen Großmacht in Europa fort.

    In Polen wurde der Jahrestag des Sieges bereits nach einem Jahr zum offiziellen, dem ersten polnischen Staatsfeiertag erklärt. Seinen Höhepunkt erlebte die politische Instrumentalisierung der Schlacht von Grunwald jedoch erst 450 Jahre später - als Reaktion auf Bismarcks Germanisierungspolitik, die im preußisch beherrschten Polen den Katholizismus und die polnische Sprache zurückzudrängen suchte.

    Unwichtig wurde, dass der Deutsche Orden ursprünglich von dem polnischen Herzog Konrad I. von Masowien zur Unterstützung gegen die heidnischen Prußen gerufen und mit dem Kulmer Land für die Hilfe beschenkt worden war. Die Erfahrung des übermächtigen Preußen im 19. Jahrhundert wurde zurückprojiziert auf den Deutschen Orden im
    15. Jahrhundert: als Beweis für den angeblich ewigen "Drang (des Nachbarn) nach Osten".

    Der Mythos von Grunwald kannte nur die Schwarz-Weiß-Zeichnung: Auf der einen Seite die heroischen Polen und Litauer, die der Historienmaler Jan Matejko 1878 auf einer Leinwand von über vier Metern Höhe und fast zehn Metern Breite verherrlichte. Auf der anderen Seite die aggressiven Ordensbrüder, die der Schriftsteller Henryk Sienkiewicz 1900 in seinem Roman "Die Kreuzritter" als Inkarnation des deutschen Erzfeindes verdammte:

    "Unersättlich ist dieser Stamm, schlimmer als die Türken und Tataren. Sie überfallen Dörfer, metzeln die Bauern nieder, ertränken die Fischer, packen die Kinder wie Wölfe. Und das Blut der Greise, Frauen und Kinder rieselte an den Beinen der Eroberer herab. Die Kreuzritter. Immer die Kreuzritter."

    Selbst das kommunistische Polen bediente sich des antideutschen Grunwald-Mythos, der durch den Zweiten Weltkrieg neue Nahrung erhalten hatte. Mit großem Pomp wurde 1960, anlässlich der 550-Jahr-Feier, auf dem Schlachtfeld eine Siegessäule eingeweiht. Und 32 Millionen Polen – ganze Schulklassen und Betriebsbelegschaften – strömten ins Kino, um Aleksander Fords Verfilmung von Sienkiewicz' Kreuzritter-Roman zu sehen.

    Das wilhelminische Deutschland wiederum bildete den entgegengesetzten Mythos heraus. Nationalistische Kreise glorifizierten den Deutschen Orden als Kulturträger gegen das Slawentum, als Kolonisator des deutschen Ostens.

    Und um die verlorene Schlacht von 1410 vergessen zu machen, wurde die siegreiche Schlacht von 1914 – als deutsche Truppen auf nahezu demselben Schlachtfeld russische Invasionstruppen schlugen – mit einer monumentalen Denkmalsanlage verherrlicht. Im Januar 1945 wurde sie gesprengt. Sie sollte nicht der Roten Armee in die Hände fallen.