"In der Moderne gab es eigentlich verschiedene Orte für die Trauer: die Kunst, die Familie und institutionalisiert Formen, eben professionalisierte Kondolenzen und Begräbnisse und Staatsbegräbnisse. Und das ist wieder durcheinandergeraten, und dadurch, dass viele das selbst wieder in die Hand nehmen, ist der Tod auch wieder sichtbarer geworden."
Sigrid Weigel, die Leiterin des ZfL in Berlin beschäftigt sich in ihren kulturwissenschaftlichen Studien über die compassio, dem Mitleid und Mitgefühl, unter anderem mit den Phänomen des public crying, des öffentlichen Weinens. Ob bei den Mahnwachen und öffentlichen Trauerdemonstrationen nach dem 11. September, nach den Morden des Anders Behring Breivik in Norwegen, oder den Bombenattentätern beim Marathon in Boston: Jenseits der staatlich oder städtisch organisierten, institutionalisierten Trauer trafen sich Angehörige der Opfer informell im öffentlichen Raum, um mit Briefen, Kerzen, Fotos und dem gemeinschaftlichen Gedenken und gegenseitigen Trost ihre Trauer zu leben. Aus dem Tatort wird hier ein Trauerort, so Sigrid Weigel:
"Einen Ort zu schaffen für gemeinsame Trauer, das ist etwas, was sich immer mehr verbreitet. Und das heißt ja offenbar, dass wir durch die Medialisierung, durch die Professionalisierung und Politisierung des Todes und des Gedenkens einen immer stärkeren Mangel empfinden, mit den Gefühlen, die dabei eine Rolle spielen, umzugehen. Weil diese institutionalisierten und medialisierten Formen dafür nicht geeignet sind."
Ebenso wie die öffentliche Trauer, das gemeinsame Wehklagen, stammt auch die heutige Form der institutionalisierten Trauer aus der Antike und der römisch-christlichen Kulturgeschichte. Nach dem sogenannten Boston Bombing verwies Barack Obama in seiner Traueransprache einerseits auf Bibeltexte, die zu Vertrauen und Ausdauer aufrufen. Zugleich lobte Obama die Stärke der Stadt Boston und vor allem die Werte der Nation, so wie es schon bei Perikles Grabreden in der griechischen Polis nachzulesen ist. Auch heutige europäische Regeln der Trauer, wer, wie lange und mit welcher Ausstattung trauert, geht auf die sogenannten "Grabluxusgesetze" des Solon aus dem 6. Jahrhundert vor Christus zurück, erklärte die Münchner Professorin für alt-griechische Philologie, Susanne Gödde. Sie führte aus,
"Dass die Gesetzgeber versucht haben, das Machtgebaren aristokratischer Familien einzugrenzen. Das Ganze muss im Zuge der Demokratisierung im antiken Athen gesehen werden. Man wollte mehr Gleichheit für die Trauernden, man wollte vermeiden, dass Trauer, dass Begräbnisse zum Anlass genommen wurden, Macht und Reichtum zu demonstrieren. Ein zweiter Grund ist eben einfach der – der würde eher davon ausgehen wie so etwas wie dem Affekthaushalt der Polis, der Stadt. Das heißt, bestimmte exzessive Demonstrationen von Affekten galten als gefährlich insofern, als dass sie auch ansteckend sein können, als dass diese Emotionen übergreifen können auf ganze Gruppen und dann möglicherweise Unruhe stiften."
Mit dem Phänomen der Rache als Sedierungsmittel gegen den Trauerschmerz beschäftigte sich der Essener Germanist Johannes Lehmann. Von Homers Illias über Shakespeares Tragödien bis hin zur Heinrich von Kleists Dramen: Die tödliche Rache und die Schändung des Gegners sind ein konstantes Motiv der Literaturgeschichte.
"Dass ist der Exzess der Rache. Da ist der Schmerz so groß, dass die Rache tatsächlich in die totale Entmenschlichung führt. Und man weiß das von Interviews mit Vietnamveteranen, dass die, wenn sie unter diesen extremen Schmerzen gelitten haben, dass die eigenen Kameraden verstümmelt oder getötet wurde, dass die tatsächlich sagen: und dann haben wir die Vietcong eben nicht nur getötet, gemetzelt – dass ihnen das subjektiv für diesen Moment eine Erleichterung gebracht hat. Und gleichzeitig ist es natürlich grauenhaft, weil man sich in die Entmenschlichung begibt."
Die individuelle und gesellschaftliche Bedeutung von Trauer als eine der grundlegenden menschlichen Empfindungen weist über die kulturgeschichtliche Entwicklung von der Antike bis heute deutliche Kontinuitäten auf. Ob öffentliche Trauerprozessionen, Klageweiber im Süden Europas oder Blumenschmuck am Sarg, hier geht es letztlich auch heute noch um archaische Rituale. Die Tagung im ZFL in Berlin zeigte dabei auch, dass der Staat die individuelle Trauer nie ganz für sich monopolisieren konnte.
Sigrid Weigel, die Leiterin des ZfL in Berlin beschäftigt sich in ihren kulturwissenschaftlichen Studien über die compassio, dem Mitleid und Mitgefühl, unter anderem mit den Phänomen des public crying, des öffentlichen Weinens. Ob bei den Mahnwachen und öffentlichen Trauerdemonstrationen nach dem 11. September, nach den Morden des Anders Behring Breivik in Norwegen, oder den Bombenattentätern beim Marathon in Boston: Jenseits der staatlich oder städtisch organisierten, institutionalisierten Trauer trafen sich Angehörige der Opfer informell im öffentlichen Raum, um mit Briefen, Kerzen, Fotos und dem gemeinschaftlichen Gedenken und gegenseitigen Trost ihre Trauer zu leben. Aus dem Tatort wird hier ein Trauerort, so Sigrid Weigel:
"Einen Ort zu schaffen für gemeinsame Trauer, das ist etwas, was sich immer mehr verbreitet. Und das heißt ja offenbar, dass wir durch die Medialisierung, durch die Professionalisierung und Politisierung des Todes und des Gedenkens einen immer stärkeren Mangel empfinden, mit den Gefühlen, die dabei eine Rolle spielen, umzugehen. Weil diese institutionalisierten und medialisierten Formen dafür nicht geeignet sind."
Ebenso wie die öffentliche Trauer, das gemeinsame Wehklagen, stammt auch die heutige Form der institutionalisierten Trauer aus der Antike und der römisch-christlichen Kulturgeschichte. Nach dem sogenannten Boston Bombing verwies Barack Obama in seiner Traueransprache einerseits auf Bibeltexte, die zu Vertrauen und Ausdauer aufrufen. Zugleich lobte Obama die Stärke der Stadt Boston und vor allem die Werte der Nation, so wie es schon bei Perikles Grabreden in der griechischen Polis nachzulesen ist. Auch heutige europäische Regeln der Trauer, wer, wie lange und mit welcher Ausstattung trauert, geht auf die sogenannten "Grabluxusgesetze" des Solon aus dem 6. Jahrhundert vor Christus zurück, erklärte die Münchner Professorin für alt-griechische Philologie, Susanne Gödde. Sie führte aus,
"Dass die Gesetzgeber versucht haben, das Machtgebaren aristokratischer Familien einzugrenzen. Das Ganze muss im Zuge der Demokratisierung im antiken Athen gesehen werden. Man wollte mehr Gleichheit für die Trauernden, man wollte vermeiden, dass Trauer, dass Begräbnisse zum Anlass genommen wurden, Macht und Reichtum zu demonstrieren. Ein zweiter Grund ist eben einfach der – der würde eher davon ausgehen wie so etwas wie dem Affekthaushalt der Polis, der Stadt. Das heißt, bestimmte exzessive Demonstrationen von Affekten galten als gefährlich insofern, als dass sie auch ansteckend sein können, als dass diese Emotionen übergreifen können auf ganze Gruppen und dann möglicherweise Unruhe stiften."
Mit dem Phänomen der Rache als Sedierungsmittel gegen den Trauerschmerz beschäftigte sich der Essener Germanist Johannes Lehmann. Von Homers Illias über Shakespeares Tragödien bis hin zur Heinrich von Kleists Dramen: Die tödliche Rache und die Schändung des Gegners sind ein konstantes Motiv der Literaturgeschichte.
"Dass ist der Exzess der Rache. Da ist der Schmerz so groß, dass die Rache tatsächlich in die totale Entmenschlichung führt. Und man weiß das von Interviews mit Vietnamveteranen, dass die, wenn sie unter diesen extremen Schmerzen gelitten haben, dass die eigenen Kameraden verstümmelt oder getötet wurde, dass die tatsächlich sagen: und dann haben wir die Vietcong eben nicht nur getötet, gemetzelt – dass ihnen das subjektiv für diesen Moment eine Erleichterung gebracht hat. Und gleichzeitig ist es natürlich grauenhaft, weil man sich in die Entmenschlichung begibt."
Die individuelle und gesellschaftliche Bedeutung von Trauer als eine der grundlegenden menschlichen Empfindungen weist über die kulturgeschichtliche Entwicklung von der Antike bis heute deutliche Kontinuitäten auf. Ob öffentliche Trauerprozessionen, Klageweiber im Süden Europas oder Blumenschmuck am Sarg, hier geht es letztlich auch heute noch um archaische Rituale. Die Tagung im ZFL in Berlin zeigte dabei auch, dass der Staat die individuelle Trauer nie ganz für sich monopolisieren konnte.