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Rituale
Glückwunsch ohne Gott

Im Osten Deutschlands hat die Jugendweihe das Ende des Sozialismus überlebt, die christlichen Übergangsrituale Firmung und Konfirmation sind kaum verbreitet. Die Kirchen haben sich eine Alternative einfallen lassen: Segens- und Lebenswendefeiern. Glaube ist nicht nötig, weder davor noch danach.

Von Michael Hollenbach |
"Wegweiser-Projekt" heißt ein Angebot der katholischen Niels Stensen Schule in Schwerin. Es richtet sich an Jugendliche wie Jellina, Niklas, Paul und Ben, für die weder Konfirmation noch Jugendweihe in Frage kommen.
Jellina: "Ich finde Jugendweihe ziemlich teuer. (…) Da passiert nicht so viel. (…) Hier ist es persönlicher. Es wird mehr auf dich eingegangen."
Niklas: "Ich habe kein Problem mit der Kirche, ich bin nur nicht gläubisch."
Paul: "Hier im Wegweiser ist es weniger Gott, hier ist es mehr das eigene Leben: Was habe ich erlebt, was will ich erleben?"
Ben: "Ich finde, man lernt viel über sich selbst. Man macht sich Gedanken über sich selbst. Ich finde, das ist eine tolle Erfahrung.
"Letztendlich geht es um die Jugendlichen, um ihr Leben.", sagt Matthias Bender. Er betreut als katholischer Pastoralreferent das Wegweiser-Projekt. "Und von mir aus und auch von der Pfarrei aus muss ich auch sagen, möchten wir den Jugendlichen nicht etwas aufdrücken, was nicht zu ihnen passt. Sondern wir möchten einfach das Angebot ermöglichen, dass sie über ihr Leben nachdenken und dass sie eine angemessene Feier auch haben."
"Mit dem lieben Gott kommen wir nicht um die Ecke"
In Berlin gibt es eine ähnliche Veranstaltung: Hier heißt es Wunsch- und Segensfeier und wird vom katholischen Kathedralforum St. Hedwig angeboten. Dessen Leiterin ist die Gemeindereferentin Bettina Birkner. Vor der Wunsch- und Segensfeier waren die Jugendlichen an einem Wochenende zusammengekommen.
Birkner: "Was wir machen, dass wir einen sehr biographischen Ansatz haben. Es ist vielleicht das erste Mal für die Jugendlichen, sich über sich selbst Gedanken zu machen. Sie schauen zurück auf das, was in ihrem Leben war, und bei manchen ist das schon erstaunlich viel."
Dieses Angebot, das sich vor allem an konfessionslose Jugendliche richtet, habe aber nichts mit Missionierung zu tun, betont Bettina Birkner.
"Mit dem lieben Gott kommen wir nicht um die Ecke (..) das Versprechen gilt: Sie sind von unserer Seite hinterher so katholisch wie vorher."
Schritt ins Erwachsenendasein
Emilia Handke leitet "Kirche im Dialog", ein Projekt der Nordkirche für den Austausch der Protestanten mit Konfessionslosen. Die evangelische Pastorin hat über jene Übergangsrituale für kirchenferne Jugendliche promoviert.
Sie sagt: "Ich glaube, es ist eine notwendige Entwicklung, dass Angebote gemacht werden, die das Leben von Menschen sinnvoll begleiten wollen. Und dass Anbieter sich Gedanken machen und sagen, wie können wir junge Menschen bei dem Schwierigen, was auf sie zukommt, nämlich Enttäuschungserfahrungen, Scheitern, Ängste usw., bei diesen Erfahrungen, das Leben bestehen zu müssen, sinnvoll unterstützen. Das finde ich, ist eine Tendenz, an der jeder in unserer Gesellschaft das Interesse haben sollte, das auch zu stärken."
Vor allem kirchliche Schulen bieten diese neuen Rituale an. In manchen ostdeutschen Städten wie in Halle nehmen rund 800 Jugendliche an der Lebenswendefeier statt:
"Es ist nicht mehr ein klassisch kirchliches Angebot, sondern es wird irgendwie ergänzt. (…) Die Jugendlichen dürfen sehr viel mitbestimmen bei dieser Feier, religiöse Elemente bilden sich um, werden freier, könnte man auch sagen."
Die meisten Jugendlichen nehmen die Feier als eine Art Übergangsritual wahr:
Anna Lisa: "Es ist eine Feier für mich, dass man älter wird und ins Erwachsenenleben mit eingeweiht wird und mehr darüber erfahren kann."
Paul: "Die Feier ist ja ein Schritt ins Erwachsensein. Das ist das wichtige bei mir an der Feier."
Michelle: "Es ist, dass man anders angesehen wird - auch von den Eltern, dass die merken: Oh, mein Kind ist doch ganz schön groß."
Ben: "Man verabschiedet sich auch von der Kindheit, und ich finde, das ist ein schöner Schritt."
Enttäuschung über die Gemeinde
Lange haben viele Pfarrer eher skeptisch auf das neue Angebot geschaut. Vor allem Protestanten haben es als Konkurrenz zur Konfirmation wahrgenommen. Die evangelische Theologin Emilia Handke sieht in den Segensfeiern dagegen eine Chance:
"Es ist ein Angebot, was das Eigene - man könnte sagen - ergänzt, man könnte aber auch schärfer sagen: Es stellt auch Fragen an das eigene Angebot, wenn dann auf einmal Konfirmanden sagen: Kann ich nicht auch daran teilnehmen?"
So wie Jellina. Sie wollte in Schwerin eigentlich zur Konfirmation gehen, doch auf ihre Anfrage habe die Gemeinde nicht reagiert:
"Da habe ich gedacht: wenn von denen nichts kommt, muss ich nicht hinterherbetteln. Weil ich bin nicht so super gläubig."
Ähnlich war es bei Paul, der evangelisch getauft wurde, den Konfirmandenunterricht aber nach der Hälfte abgebrochen hat:
Paul: "Das war nichts für mich, weil ich diese Gottesverbundenheit habe ich nicht."
Und auch die Katholikin Mascha hat sich gegen eine Firmung entschieden:
"Ich bin getauft, aber ich gehe selten in die Kirche."
"Dann steht man auf der Bühne"
Bei der Jugendfeier des Schweriner Wegweiser-Projektes wird die Schulseelsorgerin Waltraud Ellmann-Harders den Segen sprechen. Entscheidend ist für sie aber, dass es eine Feier der Jugendlichen ist:
"Die Mutprobe ist, bei der Segensfeier vor all den Leuten 200, 300, 400 Leuten zu stehen und selber zu sprechen und zu sagen, ich träume davon, mir ist es wichtig, das macht mich aus, dafür würde ich mich einsetzen. Einfach mit dem, was einer ist, vor den Leuten zu stehen und zu sagen: schaut mich an und so kann ich hier stehen."
Auch Anna Lisa wird dann in der Kirche eine kleine Rede halten:
Sie sagt: "Dann steht man auf der Bühne und dann kommt mein Moment, und das ist der einzige Moment, wo man seinen Eltern alles sagen kann, was jetzt in den 14 Jahren passiert ist. So ein bisschen Aufregung ist schon da."
Wie in Schwerin danken auch bei der Berliner Wunsch- und Segensfeier die Jugendlichen den Eltern. Und die Eltern? Gemeindereferentin Bettina Birkner:
"Die Eltern haben die Möglichkeit, drei Wünsche für ihr Kind zu formulieren, und das ist immer sehr anrührend, das ist ein sehr anrührender Moment, der auch mit nichts in der katholischen Kirche vergleichbar ist."
Zum Schluss der Feier können die Jugendlichen selbst entscheiden, ob sie den Segen erteilt bekommen oder einen Glückwunsch. Der Pastoralreferent Matthias Bender:
"Der Segen ist ein Element in der Segensfeier, also für uns auch ein recht bedeutendes Element. Einfach in dem Sinne auch mit Gott unterwegs zu sein. Und letztendlich auch den Kindern, den Jugendlichen letztendlich auch was Gutes mitzugeben."
"ES ist nichts Dickes gewesen"
Die 14-Jährigen Paul, Ben und Jellina sehen das ganz gelassen:
"Ja, es ist eine Segensfeier, aber nur, weil das Wort Segen drin ist, heißt es nicht, dass es was mit Gott. Wenn man es nicht mit Gott verbindet, dann kann man es auch sehen als Glückwünsche. Für die einen heißt es Segen für die anderen ist es ein Glückwunsch für die Zukunft."
Ben: "Ich sehe das nicht so religiös. Also irgendwo ist es auch schön, die Segensfeier. Eigentlich ist es ja eine schöne Sache."
Jellina: "Es muss jetzt kein superlanger Segen sein, einfach so was Kleines."
Niklas, der sich selbst als einen Atheisten bezeichnet, hat im vergangenen Jahr an der Feier teilgenommen:
"Es waren religiöse Elemente dabei, die Feier war in einer Kirche, und wir wurden auch gesegnet, aber es ist nichts Dickes gewesen."
Nils sagt: "Es ist halt ein schönes Symbol, einen schönen Effekt, das fühlt sich auch besser an als wenn man hört: Herzlichen Glückwunsch."