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RNA wird zum ergänzenden Erbgut

Würmer können lernen, sich gegen Viren zu wehren. Interessant wird die Sache allerdings dann, wenn sich dieses Erfahrungswissen plötzlich auch in nachfolgenden Generationen findet, ohne dass bei dieser Form der Vererbung die Erbsubstanz DNA mit im Spiel ist. Forscher in den USA haben genau das beobachtet.

Von Lucian Haas |
    Kinder erben die körperlichen Anpassungen ihrer Eltern an die Umwelt. Diese Vorstellung der Evolution stammt vom französischen Biologen Jean Baptiste Lamarck. Lange Zeit galt sie als überholt. Seit einigen Jahren erleben Lamarcks Ideen aber eine Renaissance. Denn Biologen finden immer wieder Hinweise, dass solche Mechanismen in der Natur existieren – und zwar ohne dass dabei Mutationen der eigentlichen Erbsubstanz DNA zu beobachten wären.

    Allerdings mangelte es bisher an gesicherten Erkenntnissen darüber, auf welchem anderen Weg Erbinformationen an spätere Generationen weitergegeben werden. Jetzt hat der Biochemiker Oliver Hobert von der Columbia University in New York zusammen mit Forscherkollegen eine heiße Spur gefunden.

    "Wir glauben, dass die darwinsche Sichtweise der Evolution, bei der zufällige Mutationen die prägende Rolle spielen, ergänzt werden kann im Sinne Lamarcks. Eltern können bestimmte Eigenschaften, die sie im Laufe ihres Lebens errungen haben, an ihre Kinder weitergeben. Unsere Studie zeigt, wie das funktionieren könnte, und zwar indem Information in Form von kleinen RNA-Molekülen weitergegeben wird."

    In Versuchen infizierte Oliver Hobert Fadenwürmer der Art Caenorhabditis elegans mit einem Virus. Dabei beobachtete er, dass die Würmer die Viren abwehren, indem sie kleine RNA-Moleküle produzieren, die gezielt das Viren-Erbgut blockieren. Diese sogenannte virus-interferenz-RNA, kurz vi-RNA, fand er später auch in nachkommenden Generationen der Würmer, und zwar selbst solchen, die gar nicht in Kontakt mit den Viren gekommen waren.

    "Man kann die kleinen RNA-Stücke als eine Art Impfung sehen, die an folgende Generationen weitergegeben wird. Wenn dann mal ein neues Virus den Wurm befällt, steht diese RNA-Abwehr schon parat, um erneut das Erbgut des Virus auszuschalten."

    Wenn Elterntiere einmal vi-RNA produzieren und dann weitergeben, wäre zu erwarten, dass der Effekt mit der Zeit verschwindet, allein schon weil die vererbte RNA-Menge von Generation zu Generation gewissermaßen verdünnt wird. Genau das beobachtete Oliver Hobert auch im Labor. Überraschenderweise fand er aber auch einige Tiere, bei denen die Virus-Abwehr selbst nach Dutzenden von Generationen noch präsent war – so als würden diese RNA-Moleküle immer wieder kopiert und vermehrt.

    "Es gibt da ein spezifisches Protein, das wir gefunden haben, eine sogenannte RNA-gesteuerte RNA-Polymerase. Sie erkennt die Struktur der kleinen RNA-Moleküle und baut sie nach. In dieser Form bleibt die Erinnerung bestehen. Unser Experiment läuft seit über einem Jahr, und wir haben immer noch Würmer, die sich auch nach 100 Generationen noch an die auslösende Virusinfektion erinnern. Es gibt also eindeutig eine Information jenseits des Genoms, die an die Nachkommen weitergegeben wird."

    Wie genau dieser RNA-Vererbungsmechanismus funktioniert und unter welchen Bedingungen er überhaupt von den Tieren eingesetzt wird – das will Oliver Hobert nun in weiteren Versuchen herausfinden. Dabei geht es nicht nur um die Abwehr von Viren, sondern auch um die Folgen anderer Umwelteinflüsse.

    "Zum Beispiel lassen wir gerade Würmer im Labor hungern. Anschließend werden wir testen, ob wir bei den Nachkommen der Tiere RNA-Moleküle finden, die als Reaktion auf den Hungerstress gebildet wurden, und die sich vielleicht vorteilhaft auf das Überleben folgender Generationen auswirken."

    Oliver Hoberts Erkenntnisse könnten zum Ausgangspunkt vieler weiterer Studien werden. Noch ist ungeklärt, ob die RNA-Vererbung nur eine Spezialität von Fadenwürmern darstellt, oder ob sie möglicherweise ein in der Natur weit verbreitetes Prinzip darstellt – als Ergänzung der klassischen Evolution im Darwinschen Sinn.