Die Ausgangslage:
"Europas Tage sind gezählt. Da klopft es an das Festungstor. Die Erde zittert leicht. Die Monumente und die Städte wanken und bald wird nichts mehr sein hier wie zuvor, denn alles was hier war gerät ins Schwanken."
Eine Gruppe von Theaterleuten machte sich auf der Suche nach der Stimmung in Europa.
"Wir sind durch 7 Länder gereist."
Dokumentiert mit Handkameras, in von den Schauspielern improvisierten, filmische Szenen.
"Wir wollten uns ja darauf einlassen, was uns unterwegs begegnet."
Die Basis des Stückes "Western dreams and eastern promisses", das die Theatergruppe Kainkollektiv zusammen mit den Medikenkünstlern von sputnic realisierte. Zunächst ohne Drehbuch, ohne vorgegebenen Text:
"Das heißt ich hab vor Ort die Regie geführt und das alles zusammengebracht."
So Nils Voges von sputnic.
Fabian Lettow: "Das heißt, wir haben die Orte mitgebracht. Man sieht also in Bochum Bilder aus Warschau, Lissabon, Athen, aus Sibui, Hermannstadt in Rumänien, Wien, London, aus dem Ruhrgebiet, so dass man einen sehr starken visuellen Eindruck bekommen wird von diesen Orten."
Der Mythos von Troja - neu interpretiert
Textlich verdichtet und mythologisch aufgeladen wurden die Filmaufnahmen schließlich von Fabian Lettow, der das kainkollektiv-Stück zusammen mit Mirjam Schmuck inszenierte: "Alle Spieler haben eine Art mythologischen Charakter. Von der Figur Europa ausgehend, eine Art Familie Europas sozusagen. Und es gibt auch eine Hauptreferenz,die Ilias, die uns interessiert, denn das ist quasi der erste europäische, literarische Text."
Der Mythos von Troja, dem Krieg und vom Trojanischen Pferd - als neu interpretierte Metapher.
"Wir malen es uns aus: Europas Götter wachen auf in menschlicher Gestalt. Die Welt wird wieder jung und ist schon alt."
"Und über Trojas Mauern gehen die Feuer aus."
Fabian Lettow: "Eigentlich eine sehr signifikante Geschichte für Europa in einer Zeit, in der die Mauern wieder hochgezogen werden. Die Gruppe zusammen erzählt einen Tag in Europa von einem Morgen bis zu einem nächsten Morgen und es geht darum, dass Europa in einer schweren Krise ist und unterzugehen droht, und um die Frage, ob man es retten kann."
Ist da Hoffnung?
Im Zentrum die leitmotivisch wiederkehrende Frage: Is there hope?
"Der Krieg hat sein Gewand getauscht. Ein Verführer. Er ist jetzt unsichtbar und heißt Ausverkauf. Eine ganzer Stadt, ein Land, ein Kontinent im Ausverkauf. Und wo er durchgeht, klafft hinter ihm die Leere."
Fabian Lettow: "Und jetzt machen wir nur Theater, wir werden damit nicht die Welt retten, aber was wir tun ist zu versuchen, dazu sinnliche Denkangebote zu machen."
Ein ambitioniertes Projekt mit dem Ziel, ein neues Performanceformat zu entwickeln: das sogenannte Road-Movie Theatre.
Nils Voges: "Es ist ein Forschungsweg, der dieses Mal das filmische Erzählen in den Vordergrund setzt."
Im Zentrum der Bühne in der ehemaligen Waschkaue der Bochumer Zeche Prinz Regent: die überdimensionale, vierteilige Projektions-Leinwand, auf der sich die live agierenden Schauspieler immer wieder begegnen.
"Denn wir sind in das eigene Los so maßlos schlimm verstrickt, haben wir für diese harten Stunden für Euch und uns, uns diesen Film erfunden.
Die Filmbilder: Überwiegend monochrom gehalten, schnell geschnitten. Meist urbane Szenen, in oft außergewöhnlichen Perspektiven, Switchen durch den Kontinent, verortbar durch Inserts. Denn:
Fabian Lettow: "Es geht schon auch darum, in der Unterschiedlichkeit der Orte ein Gefühl dafür zu bekommen, wie heterogen und schön auch dieser Kontinent ist, und wie sehr man doch das Gefühl hat, dass der sich in einer totalen Sackgasse befindet."
In nur wenigen Szenen gibt es tatsächlich schlüssige, interaktive Momente
So weit die Idee: Bei der Umsetzung hapert’s, nicht nur technisch. Der Text: Ausgesprochen poetisch, Mythologie- und Ilias-durchtränkt, dicht, anspruchsvoll. Aber kaum Dialoge, sondern assoziativ wirkende Monologe, Statements, anfangs aufgeteilt auf die Figuren. Oft deklamatorisch vorgetragen und leider manchmal auch schwer verständlich, - nicht nur, weil ganze Passagen fremdsprachig gehalten sind. Durchzogen von opernhaft-barock-wirkenden Countertenorpassagen, einem ambientartigen Soundtrack, live ergänzt durch die rhythmisch bis knarzzenden, jazzartigen Bassvariationen von Michael Bohn.
Nils Voges: "Die Musik gibt uns eigentlich erst vor, was man fühlen soll."
Das Spiel auf der Bühne: Theatrale Bewegungszenarien, weitläufige Raumdurchschreitungen, performancehaft assoziativ festgelegt, aber wenig Spektakuläres. Die Schauspieler mal aus dem Publikum, dann wieder auf der Brüstung der Zechenkaue agierend, die verschiebbare Großleinwand als Tür nutzend. Häufig stehen sich die Schauspielergruppen einfach gegenüber, schieben Kinostühle mit Blickrichtung vor das Publikum, spielen mit an der Decke hängenden Vogelkäfigen, krümmen und winden sich auf dem Boden, krauchen, tanzen.
In nur wenigen Szenen gibt es tatsächlich schlüssige, interaktive Momente mit dem im Zentrum stehenden Filmbildern. Als Zuschauer blieb man daher etwas ratlos zurück, erschöpft nicht nur wegen der Wärme im Raum. Es war dann doch ein lang werdender Theaterabend.