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Roadmovie von Regisseur Julian Pörksen
"Mich interessieren die Unproduktiven"

"Whatever happens next" ist der erste Langfilm von Regisseur Julian Pörksen und ein märchenhaftes Roadmovie. Darin hat Protagonist Paul wunderbare Begegnungen – und bleibt trotzdem einsam. Es sei ihm wichtig gewesen, die Widersprüche zwischen Verantwortung und Egoismus aufzufächern, sagte Pörksen im Dlf.

Julian Pörksen im Corsogespräch mit Alexander Moritz |
    Der Regisseur und Dramaturg Julian Pörksen steht an einer Straße in Köln
    Der Regisseur und Dramaturg Julian Pörksen lebt in Köln - seinen ersten Langfilm drehte er aber in Leipzig, Kiel und Łódź (Foto: Deutschlandradio/Alexander Moritz)
    Alexander Moritz: In "Whatever happens next" geht es um einen Mann Mitte vierzig, der genug hat von seinem geregelten Leben mit Frau und Kind. Statt zur Arbeit zu fahren, setzt er sich zu fremden Menschen ins Auto und lässt sich mitnehmen - irgendwohin. Wie oft denken Sie denn daran, aus dem Alltag auszubrechen, so ganz ohne Ziel?
    Julian Pörksen: Naja, das ist ja das Schöne an der Kunst, dass man da Dinge tun darf, die man im realen Leben doch nicht tun würde. Natürlich gibt es den Gedanken. Wobei es mehr so ist: Ich bin eigentlich sehr zufrieden, mit den Dingen die ich tue. Also mein Bedürfnis, jetzt alles anders zu machen, ist gar nicht so groß.
    Trotzdem gibt es natürlich immer wieder Momente, wo man darüber nachdenkt, von welchen Regeln und welchen Normen man sich eigentlich bestimmen lässt. Und sich fragt, wie ein anderes Leben denn aussähe. Da dachte ich, muss ich es eigentlich einmal durchspielen. Mit einer Figur, die sich von allem verabschiedet, was so den bürgerlichen und kapitalistischen Tugendkatalog ausmacht.
    Pörksen: Also der widersetzt sich ja komplett dem, was als Erstrebenswert gilt. Er hat kein Ziel mehr, er hat keine Sicherheit mehr, sein Leben hat keine Ordnung mehr. Dass das auch etwas ungeheuer Schönes ist und ein Luxus - das zu zeigen war irgendwie wichtig.
    Moritz: Es ist aber nicht so, dass da viel von Ihnen persönlich drinsteckt?
    Pörksen: Naja, viele Begegnung, viele Gedanken. Ich habe so aber nie gelebt. Also das habe ich dann an die Figur delegiert und den Film, das auszuprobieren.
    Leben zwischen Freiheit und Einsamkeit
    Moritz: Die Figur heißt Paul Heyse, spricht wildfremde Menschen an und tut so, als ob sie einen gemeinsamen Bekannten hätten. So wanzt der sich an Leute ran, die er eigentlich gar nicht kennt. Und verschwindet dann auch wieder, wenn er keine Lust mehr auf diese Menschen hat. Er ist auf eine Art und Weise unglaublich frei - im Grunde aber ist er vielleicht auch sehr einsam dabei. Ist die Geschichte ihrer Hauptfigur eher ein wunderbares Märchen oder eigentlich eine Tragödie?
    Pörksen: Im besten Fall beides. Es ging genau um diese Spannung zwischen radikaler Freiheit und der damit natürlich automatisch verbundenen Einsamkeit. Diese Widersprüche zwischen Verantwortung und Egoismus aufzufächern in dem Film und sie nicht zu einem Abschluss zu bringen -das war wichtig. Also die Hoffnung ist, dass man mit Fragen nach Hause geht.
    "Die Abgefucktheit interessiert mich nicht"
    Moritz: Die Begegnung mit den Menschen, die er trifft laufen meistens sehr glimpflich für ihn ab. Einmal werden ihm seine Schuhe geklaut, aber meistens sind die Menschen nett zu ihm. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat wahrscheinlich auch deswegen den Film "eine beglückende Utopie von besseren Menschen" genannt. Glauben Sie an das Gute im Menschen?
    Pörksen: Ich glaube an die Möglichkeit natürlich. Genauso wie ich an die Möglichkeit des Schlechten glaube. Ich finde es angenehmer, wenn in Filmen die Leute interessant und irgendwie geistreich und auch schön auf eine Weise sind - ich meine jetzt nicht nur optisch, sondern auch gedanklich schön.
    Daran habe ich selber eine größere Freude als diese tendenzielle - ich weiß nicht, ob man das jetzt im Radio sagen darf - aber diese Glorifizierung der Abgefucktheit, die man gerade überall sieht. Die interessiert mich gar nicht so sehr.
    Wenn man sich Leute anschaut wie Cassavetes oder so, den ich unendlich bewundere, dann ist ja das Tolle die Herzlichkeit und Komplexität, mit der er seine Figuren zeichnet.
    "Wir feiern Produktivität, aber wofür?"
    Moritz: Dieses Thema, also der Ausbruch aus dem Alltag, beschäftigt sie ja schon eine ganze Weile. Im Theaterstück "Wir wollen Plankton sein" zum Beispiel, da nehmen Sie das ziellos umhertreibende Plankton als Vorbild für den Menschen. Und in ihrem Text "Verschwende deine Zeit" brechen sie eine Lanze für den Müßiggang. Wieso dieses Interesse dafür, aus dem Alltag auszusteigen? Sie sind Anfang dreißig - die Midlife Crisis kommt ja erst noch.
    Pörksen: Ja, das ist auch tatsächlich kein Indiz für meine Midlife Crisis, sondern mehr eine Neugier für Modelle und Gedanken und Daseinsformen, die dem zuwiderlaufen, was sozusagen die Norm ausmacht.
    Ich finde schon, dass man seit vielen Jahren eigentlich mit einer ungeheuren Tendenz zu tun hat, die Aktivität zu feiern, die Produktivität zu feiern, das Nützliche - ohne dass irgendwie klar wäre, wofür das alles da sein soll. Also man hat das Gefühl, es gibt immer weniger Arbeit faktisch, die Maschinen machen immer mehr. Gleichzeitig sind alle Leute unendlich gestresst. Da gibt es eine ungeheure Diskrepanz.
    Und das, was das Leben neben dem Produzieren und dem Konsum und so weiter sein kann, ist eine relativ unbesetztes Feld. Also interessieren mich die Unproduktiven, die Müßiggänger - die, die sich von der Idee, dass man immer ein Ziel haben muss, verabschieden.
    Moritz: Sind Sie selber darin gut, auch mal nichts zu tun?
    Pörksen: Nein, überhaupt nicht. Man interessiert sich ja auch gerade sehnsuchtsvoll für die Dinge, die man nicht so gut kann.
    Mit Schlingensief im Dschungel
    Moritz: Sie selber sind ja sehr umtriebig. Sie haben in Leipzig Dramaturgie studiert. Davor, mit 22, sind Sie nach Brasilien geflogen und haben als Assistent des Regisseurs Christoph Schlingensief gearbeitet, der damals gerade eine Wagneroper im Dschungeltheater von Manaus inszeniert hat. Wie ist es denn dazu gekommen?
    Pörksen: Das ist eine etwas komplizierte Geschichte. Ich hatte Christoph Schlingensief, als ich mit siebzehn ein Praktikum in Nepal gemacht habe, in einem Leprakrankenhaus auf einem Fest kennengelernt. Wir haben uns irgendwie gut verstanden. Ich wusste gar nicht, wer das ist. Das war ein großer Vorteil, dadurch war ich relativ unbefangen.
    Und dann habe ich ihm, nachdem ich meinen Zivildienst in Berlin gemacht hatte, eine Mail geschrieben, ob er vielleicht einen Praktikanten brauchen kann. Und er meinte: Ja, wenn du nach Brasilien kommst, schon. Das war eine ungeheuer tolle Zeit. Wir haben da drei Monate im Dschungel gesessen. Es gab nur Probleme. Alle drei Tage ist irgendetwas schiefgegangen. Und trotzdem war das eigentlich die beste Erfahrung, die ich mit der Oper und dem Theater gemacht habe.
    Moritz: Christoph Schlingensief, lange Zeit enfant terrible des deutschen Theaters - was nehmen Sie aus dieser Zeit mit, mit ihm im Dschungel?
    Pörksen: Das Beeindruckendste fand ich ganz sicher, dass er nicht bereit war, von seiner Vision und auch seiner Gabe zum Improvisieren abzuweichen. Er hat großes Vertrauen, dass das, was er als notwendig empfindet, auch notwendig ist. Und die Bereitschaft, das durchzusetzen gegen sehr viele Fragen und Widerstände und Leute, die sagen: man macht das ja eigentlich ganz anders.
    "Castorf ist wütend und sachlich zugleich"
    Moritz: Aktuell arbeiten sie als Dramaturg in Köln, gerade an einer Inszenierung zusammen mit Frank Castorf. Der ist ja auch kein ganz einfaches Regisseur. Zuletzt hatte er mit Äußerungen für Empörung gesorgt, dass Frauen - etwas vereinfacht gesagt – "weder Fußballspielen noch Theaterregie führen" könnten. Er ist also eher ein provokanter, dominanter, machtbewusster Typ, der auch an der Berliner Volksbühne geschasst wurde. Kommt man da als jüngerer Theatermacher nicht auch schnell mal unter die Räder?
    Pörksen: Das kann ich schwer sagen. Ich finde, dass er bei aller Energie, mit der da gearbeitet wird und die ich sehr oft sonst vermisse, dass er eigentlich sehr sachlich ist. Durchaus wütend, aber man kann ja auch sehr wütend und sehr sachlich sein. Also ich finde das sehr inspirierend.
    Er macht da diesen letzten Dostojewskiroman, den letzten großen, den er noch nicht auf die Bühne gebracht hat. Und wie man so eine Schneise durch achthundert Seiten Romanmaterial schlagen kann, mit der Erfahrung von zwanzig Jahren Dostojewskiarbeit, finde ich erstmal toll mitzuerleben.
    Wir haben noch länger mit Julian Pörksen gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Moritz: Paul, die Hauptfigur in "Whatever happens next", weiß nie genau, was als Nächstes passiert - und erfreut sich daran. Wie ist es denn bei Ihnen: wissen Sie, was als Nächstes kommt, in ihrem Leben?
    Pörksen: Das nächste ist die Castorfpremiere. Der Rest ist offen. Ich sitze gerade einfach an verschiedenen Dingen, an denen ich schreibe. Wieder an einem Theaterstoff und auch an einem Filmstoff. Im Theater ist man ja eh zu so einem Nomadenleben gezwungen. Also manche Leute sind irgendwie fünf Jahre an einem Haus oder so, aber das ist dann schon eher lang. Mal gucken. Aber erstmal weiter Köln.
    Moritz: Das sagt Julian Pörksen. Ab 8. November läuft sein Film "Whatever happens next" in ausgewählten Kinos. Vielen Dank für dieses Gespräch.
    Pörksen: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.