Wirtschaftsminister im Interview
Wie Robert Habeck die Wirtschaft wieder nach vorne bringen will

Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) räumt ein, dass die bisherigen Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung nicht reichen. Er wirbt für Steuererlasse für Unternehmen und hofft auch auf eine Reform der Schuldenbremse mit der Opposition.

Robert Habeck im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, nimmt an der Sitzung des Bundeskabinetts im Bundeskanzleramt teil.
Nach einer "turbulenten Woche": Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Bundeswirtschaftsminister Habeck (Grüne) begrüßt die geplante Neuaufstellung an der Parteispitze mit Franziska Brantner und Felix Banaszak ausdrücklich. Das sei ein harter, aber notwendiger Schritt gewesen, sagte Habeck. Zugleich sprach er von einer „sehr, sehr guten Teamaufstellung“.
Der Wirtschaftsminister warb für Steuererlasse für Unternehmen. Die bisherigen Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung würden nicht reichen, so der Vize-Kanzler. Da müsse man "ganz ehrlich sein." Erneut sprach Habeck sich für eine Reform der Schuldenbremse aus.
FDP und SPD forderter er auf, die Projekte der Ampel zu Ende zu bringen. „Man kann nicht beim Marathonlauf 35 Kilometer laufen und dann sagen, die letzten sieben sind zu anstrengend", so Habeck.
In der Migrationspolitik sprach Habeck sich für die Rechtsdurchsetzung an den Grenzen aus sowie für eine bessere Integration der in Deutschland lebenden Migranten und die Wahrung des individuellen Rechts auf Asyl. Straffällig geworden Migranten müssten jedoch abgeschoben werden - auch nach Afghanistan. 

Das Interview im Wortlaut:

Jörg Münchenberg: Das Interview der Woche und dazu begrüßt Sie ganz herzlich Jörg Münchenberg. Und zugeschaltet aus Flensburg an diesem Samstagmorgen, an dem wir dieses Interview aufzeichnen, ist Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen. Herr Habeck, ich grüße Sie.
Robert Habeck: Guten Morgen, Herr Münchenberg.
Münchenberg: Herr Habeck, es war doch eine ziemlich turbulente Woche bei den Grünen. Rücktritt des gesamten Bundesvorstandes. Einen Tag später hat dann auch der Vorstand der Grünen Jugend hingeschmissen und dann auch noch gleich den Parteiaustritt erklärt. Ja, und Ende der Woche dann die Ankündigung, dass Ihre Vertraute, Franziska Brantner und der Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak als neue Parteichefs antreten wollen. Stellen sich die Grünen also jetzt so auf wie das der mutmaßliche Kanzlerkandidat Robert Habeck einfordert?
Habeck: Es war eine turbulente Woche, auch eine Woche, die nicht frei von persönlichen Härten war. Omid Nouripour und Ricarda Lang haben eine sehr große Verantwortung auf sich genommen und damit der Partei die Möglichkeit gegeben, noch mal durchzustarten, für die Bundestagswahl sich noch mal neu aufzustellen. Das ist allerdings auch wichtig und nötig gewesen. Und das ist sehr schnell und vergleichsweise geräuschlos gelungen. Natürlich müssen Franziska Brantner und Felix Banaszak noch gewählt werden. Das ist ja klar. Aber das ist ja eine Kandidatur als Team und das sind beide zwei außergewöhnlich starke Persönlichkeiten, eigene Köpfe mit einem eigenen politischen Programm, aber vor allem mit einer Energie nach vorne. Deswegen bin ich eigentlich ganz zuversichtlich, dass das auch in einer Wahl mündet. Und das wird die Partei in eine starke Aufstellung für die Bundestagswahl bringen.
Münchenberg: Aber noch mal. Brantner gilt ja als wirklich enge Vertraute. Sie ist ja Staatssekretärin. Audretsch und Banaszak gelten als Pragmatiker. Das ist ja genau das, wo Sie auch die Partei haben wollen.

Brantner und Banaszak sind "sehr gute Teamaufstellung"

Habeck: Na ja, vor allem sind das kluge Politiker und Politikerin, die eine eigene Erfahrung mitbringen, eine eigene politische Geschichte mitbringen, eigenständige Köpfe sind. Aber ja, es sieht so aus, als ob das eine sehr gute Teamaufstellung sein kann. Und diese Teamaufstellung ist natürlich das Beste, was man machen kann. Jedenfalls die Grünen funktionieren ja als Team am besten. Wir sind eine Partei mit sehr vielen Individualisten. Die Tradition der Partei ist nicht, dass man irgendwie par ordre du mufti da durchregiert. Es müssen immer sehr viele Leute das Gefühl haben, dass sie zusammen gut wirken können. Und das war auch mit Ricarda Lang und Omid Nouripour so. Aber mit den anderen genannten ist es auch so und kann es so werden bzw. bin ich da sicher, dass es so wird. Ja, es ist eine gute, sehr gute Teamaufstellung.
Münchenberg: Na ja, aber bei den Parteilinken gibt es ja schon die Sorge vor einem – ich spitze mal zu – machtpolitischen Durchmarsch von Robert Habeck. Und auch zum Beispiel die Führung der Grünen Jugend hat ja gleich den Parteiaustritt erklärt. Also insofern ist die Sorge ja schon groß, dass sich jetzt viel ändern wird bei den Grünen.
Habeck: Die Sorge, glaube ich, braucht man wirklich nicht haben. Ich meine, als Parteivorsitzender habe ich ja darauf gedrungen, dass wir uns nicht nach Flügellogiken begreifen. Und das hat ja immer noch eine Wirkung. Und es gibt, denke ich, ein großes Verständnis dafür, also großes geteiltes Verständnis in der Partei dafür, was unsere Rolle ist, nämlich die Kräfte der demokratischen Mitte zu sammeln und wieder mit einem neuen Optimismus und einer neuen Leidenschaft nach vorne auszurichten, die um die Veränderung kämpfen wollen, die die Gesellschaft zusammenhalten wollen, die sehen, dass das Aussitzen oder das Leugnen von Problemen nicht hilft sie zu bewältigen. Da ist jetzt in der Tat in den letzten Wochen, in den Monaten, vielleicht sogar in den letzten anderthalb Jahren sehr viel Defensive gewesen. Man hat das Gefühl, wenn man ein Problem anspricht, dann verstärkt man diesen ganzen Sound des Untergangs. Aber wir müssen ja die Probleme ansprechen, um sie dann lösen zu können. Und vielleicht ist diese Woche tatsächlich ein bisschen größer gedacht, wenn man mal rückblickend auf das Jahr 2024 schaut, so ein bisschen wie so ein Kipppunkt oder kann es werden, wo sich wieder dir Kräfte bündeln und aufrichten und sagen, jetzt geht es nach vorne. Und das ist, glaube ich, unsere Rolle oder unsere Aufgabe. Und das sehen die Linken und die Realos ganz genauso. Da gibt es irgendwie gar keine großen Unterschiede dazwischen.
Münchenberg: Dann machen Sie es doch mal konkret. Zum Beispiel Migrationspolitik. Ist das das große Versäumnis auch der Grünen, weil das ja auch in den Landtagswahlen eine enorme Rolle gespielt hat, die bekanntermaßen für die Grünen ja nicht sehr gut ausgefallen sind, ist das eines der großen Versäumnisse, dass die Partei hier zu spät reagiert hat?
Habeck: Ich komme gerne gleich zur Migrationspolitik. Aber wenn Sie mir erlauben, vielleicht drei, vier Schlagpunkte zu werfen jenseits der Migrationspolitik. Wir sehen – und zwar jetzt bei den Grünen in den beiden Flügeln, die wirklich sehr dicht und sehr geschlossen zusammenstehen und zusammenarbeiten – wir sehen, dass in den letzten Jahrzehnten, muss man sagen, zu wenig investiert wurde in die Infrastruktur des Landes. Wir haben unsere Haushalte saniert, also die Schuldenquote reduziert, aber in der öffentlichen Infrastruktur quasi eine große Schuld aufgebaut. Die Brücken brechen zusammen. Die Bahn ist nur noch zynisch als pünktlich wie die Bahn zu bezeichnen. Kitas, Schulen, Turnhallen, Spielplätze mitunter in einem maroden Zustand. Die Digitalisierung von der öffentlichen Verwaltung über die Polizei bis zur Infrastruktur nicht auf dem Niveau, wo Europa, jedenfalls Spitze in Europa stehen sollte. Da leidet ja die Wirtschaft drunter. Da leidet die öffentliche Wahrnehmung drunter. Ein Land, das funktioniert, das wollen die Realos, das wollen die Linken, das wollen alle Menschen. Aber dazu müssen wir natürlich die Politik ändern.
Wir sehen auch, zweiter Punkt, dass das Land, in der Phase der hohen Inflation erst recht, auch ökonomisch auseinanderfällt. Sehr viele Leute merken, haben das Gefühl und leben in einer Realität, wo das Geld manchmal nicht reicht. Und an anderen Stellen bündelt sich Reichtum. Das sehen die Realos so und das sehen die Linken so, dass das ein Problem ist und da eine Unzufriedenheit entsteht. Dann sicherlich die Wirtschaft in Gang zu bringen. Und auch da attestieren wir, dass die Bedingungen für Innovation, für Investition, für neue Technik, für Klimaschutztechnik nicht optimal sind. Das sehen die Realos so, das sehen die Linken so, das sehen eigentlich alle so. Was hindert uns daran, die Bedingungen so zu ändern, dass wir Deutschland wieder in eine Wachstumsphase reinbringen, die dann ja auch die Grundlage für stabile Demokratie ist? Die finanzpolitischen Spielregeln, die hindern uns daran. Also müssen wir die überdenken bzw. noch einmal neu diskutieren. Da fehlt nicht viel. Aber darüber muss man reden. Das sehen die Realos so, das sehen die Linken so. Das sieht ganz Deutschland inzwischen so. Jedenfalls alle Ökonomen sehen das so. Und jetzt antworte ich gerne zur Migration.
Münchenberg: Genau. Da haben Sie jetzt Ihren Punkt gemacht. Also, Migrationspolitik – bekanntermaßen tun sich die Grünen da sehr schwer mit einer deutlichen Verschärfung. War das im Rückblick jetzt erst mal das größte Versäumnis, wo die Partei sich auch neu aufstellen muss?
Habeck: Ich glaube, der Blick täuscht darauf, denn wir sind neu aufgestellt. Ich räume ein und im gewissen Sinne bin ich sogar stolz darauf, dass wir uns schwertun mit der Debatte bzw. Skrupel haben. Denn es geht ja bei Migration um Menschen und nicht um Wasserstoff oder E-Mobile. Dazu kann man auch eine Meinung haben, wie viel oder wie wenig man braucht. Aber bei der Migration ist jede Entscheidung unmittelbar zu beziehen auf Menschen, die in Armut leben, die in elenden Bedingungen leben, die vielleicht kein Recht haben, nach Deutschland oder nach Europa zu kommen. Aber Menschen sind es trotzdem. Und dass da Leute sagen, da mag ich jetzt einfach so drüber hinweggehen … ich war mal in Lampedusa. Ich habe die Toten gesehen. Ich habe mit den Fischern gesprochen, die da rausfahren und deren Boote zerstört werden, wenn sie Menschen retten wollen. Da kann ich jetzt nicht einfach sagen, das ist eine Excel-Tabelle, da geht die Rechnung nicht auf. Das finde ich geradezu ein Ehrenprädikat, dass wir uns damit schwertun bzw. nachdenken, was wir da tun.
Münchenberg: Trotzdem …
Habeck: Herr Münchenberg, ganz … die Linie ist ja klar und diskutiert in der Partei. Und ich würde sagen, sie besteht aus drei Säulen. Erstens: Ja, die Rechtsdurchsetzung an den Grenzen und bei der Registrierung muss erfolgen. Steuern, kontrollieren, regulieren, das ist notwendig.
Zweitens: Die Menschen, die hier sind, sollen möglichst gut integriert werden. Völlige Umkehr der Politik der Großen Koalition, die ja gesagt hat, die, die hier sind, sollen möglichst nicht integriert werden, denn vielleicht schieben wir sie ja wieder ab. Aber dann sind sie im Sozialsystem, kommen nicht in Arbeit, machen vielleicht dumme Dinge, weil sie frustriert sind und nicht in Arbeit kommen. Das haben wir geändert. Also die Integrationsleistung des Landes erhöhen. Und wir können die Leute ja auch gut gebrauchen.
Und dann drittens: Recht auch in die andere Richtung halten. Also sich an das Recht gebunden fühlen, heißt das individuelle Recht auf Asyl, das Recht, Menschen in Not, dass die Anspruch haben, in Deutschland genommen zu werden, das Europarecht, das dann nicht infrage stellen. Und das ist leider in der Diskussion, die die Union auf der Berliner Ebene angezettelt hat, durcheinandergeraten.
Münchenberg: Herr Habeck, das klingt jetzt sehr übersichtlich, so, wie Sie das beschreiben. Ist es in der Praxis ja aber oft nicht. Nehmen wir die Abschiebung nach Afghanistan. Da gab es ja jetzt die erste Abschiebung von Straftätern. Trotzdem ist die ja sehr umstritten wegen dem Rechtssystem in Afghanistan, auch mit der Frage wie geht man mit den Taliban um. Noch-Parteichef Nouripour hat ja auch davor immer gewarnt, dass man das Regime nicht anerkennen dürfe. Also wie stellt sich die Partei trotzdem bei so einer schwierigen Frage auf? Oder was fordern Sie, wie die Partei sich aufstellen soll?

Straftäter auch nach Afghanistan abschieben

Habeck: Aber auch, finde ich, ist die Diskussion viel klarer und viel eindeutiger zu beantworten. In Afghanistan herrschen die Taliban und die machen schlimme Dinge. Es ist ein Unrechtsregime in vielerlei Hinsicht – für Frauen, für Menschenrechte. Das heißt, viele Menschen werden Grund haben, um ihr Leib und Leben zu fürchten. Und die müssen dann auch Anspruch auf Asyl bzw. Schutz in Europa finden können. Wer aber hier ist und diesen Anspruch, also vielleicht den höchsten Anspruch, den das Grundgesetz gewährt, nämlich, dass Menschen, die nicht Deutsche sind, hier trotzdem Rechte bekommen, dann mit den Füßen tritt, hier Morde begeht, hier Terrorismus plant, hier Menschen vergewaltigt, manchmal Mädchen vergewaltigt, der kann sich natürlich darauf nicht berufen. Und der muss dann – meisten sind es ja „er“, also Männer – zurück nach Afghanistan oder in andere Regionen. Wir können dann darüber diskutieren, ob wir in Kauf nehmen, dass die möglicherweise da freigelassen werden, also, dass sie nicht ihre verdiente Strafe absitzen. Aber das ist etwas anderes. Das ist eine pragmatische Frage meinetwegen, aber der Rechtsanspruch ist damit verwirkt. Und das werden alle Grünen so sehen.
Münchenberg: Im Interview der Woche des Deutschlandfunks heute Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen. Herr Habeck, nun haben ja die Landtagswahlen in Ostdeutschland auch gezeigt, dass gerade junge Wähler nicht mehr grün wählen, sondern die AfD. Klima zieht offenbar nicht mehr als Thema, obwohl ja sich an der Sachlage Klimawandel nichts geändert hat. Wo und wie wollen Sie die jungen Wähler zurückgewinnen?
Habeck: Dass die Milieus so stark abgegrenzt sind und dass die AfD bei den jungen Wählern vor allem so stark geworden ist, hat sicherlich verschiedene Gründe. Sie haben Recht, dass das Thema Klimawandel bzw. globale Erderwärmung – oder -Erhitzung muss man ja in Zeiten wie diesen sagen – im Moment nicht in der gesellschaftlichen und politischen Debatte das dominante Thema ist. Das ist so, aus meiner Sicht zu Unrecht, wenngleich erklärbar und zu verstehen. Wenn der Krieg in Europa da ist, wenn die Inflation hoch ist, wenn wirtschaftliche Sorgen das Land plagen, dann verdrängen natürlich die Nachrichten des Tages diese große, strukturelle Herausforderung unserer Zeit. Aber man muss dazu natürlich sehen, dass in den sozialen Medien, wenn man keine Zeitung mehr liest, vielleicht nicht das Interview der Woche im Deutschlandfunk hört, man in einer Bubble-Spirale der Selbstbestätigung ist. Und wenn man den ganzen Tag nur hört, die Ampel will Deutschland abwickeln und das Land zerstören, was ja einfach eine Lüge ist … man kann ja zur Politik stehen wie man will, aber das ist wirklich, wirklich erstunken und erlogen. Aber wenn man das nicht mehr gespiegelt bekommt, dass es ja auch andere Meinungen gibt, dann passiert so was. Also ist es, glaube ich, falsch zu sagen, die wählen jetzt alle AfD, weil das Klimathema nicht zieht, wohlgleich das Thema in der öffentlichen Diskussion zu Unrecht in den Hintergrund geraten ist.
Münchenberg: Aber noch mal konkret: Wie soll es denn gelingen, die zurückzugewinnen?
Habeck: Die Partei wird sicherlich auch mit dem neuen Vorstand noch einmal eine ganz andere Ansprache und eine ganz andere Haltung entwickeln, die leidenschaftlich, optimistisch nach vorne gewandt ist. Und das ist eine andere Haltung als wir sie in der Ampelregierung ausgestrahlt haben. Dann ist der Vorstand der Grünen Jugend ja nicht nur zurück-, sondern auch aus der Partei ausgetreten.
Und die Grüne Jugend ist ja nun die Grüne Jugend. Das heißt, das ist eigentlich die Organisation, die junge Leute an die Politik unserer Partei heranführen soll. Ich würde sagen, hat jetzt nicht so gut geklappt in der Vergangenheit. Auch da ist ja jetzt die Möglichkeit, einen Neustart hinzulegen, der mehr Lust und mehr Einladung ausspricht. Und so stellt sich, wenn ich das richtig sehe, der Jugendverband auch gerade wieder neu auf. Und dann werden wir auch – das ist jetzt eher Technik, aber damit müssen sich alle Parteien beschäftigen – noch einmal überprüfen, ob wir unsere politische Informationsarbeit gerade für die jungen Leute im Bereich der sozialen Medien verbessern bzw. verstärken müssen. Und die Antwort kann ja wahrscheinlich nur ja sein. Es ist immer so ein bisschen, auch für mich persönlich will ich sagen, also herausfordernd, weil ja die Medien selbst oder die Algorithmen in den Medien problematisch sind. Ich bin zu TikTok gegangen, obwohl ich weiß, das ist eine chinesische Plattform, die auch jetzt nicht nur das Beste im Menschen und die Kompromissfähigkeit austariert und auslotet. Aber ich bin da hingegangen, weil die AfD da ist. Und wir können das denen nicht einfach alles überlassen.
Münchenberg: Nun ist ja viel von Neuanfang die Rede. Gehört aber zur ehrlichen Bestandsanalyse nicht auch, dass der Wirtschaftsminister doch ziemliche Fehler gemacht hat? Stichwort Heizungsgesetz. Also wo sehen Sie eigentlich den Neuanfang bei sich selbst?
Habeck: Also das Heizungsgesetz …
Münchenberg: Wollen wir jetzt nicht wieder …
Habeck: Sie haben es angesprochen, deswegen …
Münchenberg: Ja, aber nur als Stichwort. Hängt Ihnen ja trotzdem wie so ein Klotz nach.
Habeck: Na klar, sonst hätten Sie es ja nicht angesprochen.
Münchenberg: Ja.

"Die Geschichte des Heizungsgesetzes ist keine gute"

Habeck: Deswegen einmal nur darauf geantwortet, wenn wir jetzt keine lange Debatte darüber führen. Das hat natürlich … mit allen Fehlern, aber es hat auch gezeigt, wie weit die Anforderung an Klimaschutz und das, was eine Gesellschaft dann machen kann, erst einmal auseinanderklaffen kann und wie notwendig es ist, beides zusammenzubringen. Das ist dann gelungen mit dem Gesetz. Jetzt haben wir eine wirklich gute Förderung. Sie wird sehr gut nachgefragt. Es entwickelt sich gerade richtig gut und richtig positiv.
Die Geschichte des Heizungsgesetzes ist keine gute. Aber das Resultat ist eins, mit dem das Land sehr gut arbeiten kann und das sehr die Bürger jetzt abholt und die Leute auch mitmachen. Dahinter wiederum ist die Geschichte – und das ist sicherlich einer der Lernschritte, mir würden andere einfallen oder Punkte, wo ich viel drüber nachgedacht habe und wo ich sage, da muss man was ändern –, dass man die gesamte Politik, sicherlich auch die Klimapolitik, immer für die Menschen, von den Menschen denkt und nicht von den Gebäuden, den Gebäudehüllen, der Technik, der Elektrolyseure, sondern erklärt, was man davon gewinnt oder davon hat. Und zwar nicht in 30 Jahren, weil die Welt nicht heißer geworden ist, sondern schon in der Gegenwart.
Münchenberg: Aber das heißt jetzt, Robert Habeck will mehr erklären?
Habeck: Nein, nein. Wir haben ja schon angefangen, die Klimapolitik oder die Energiepolitik so aufzustellen, dass genau das jetzt passiert. Also ich werfe Ihnen Schlagworte zu. Sie müssen entscheiden, wie lange wir darüber reden wollen.
Münchenberg: Nicht so lange.
Habeck: Balkonsolaranlagen – ist Energiequelle für jeden. Zähler, die rückwärts laufen – man spart mit der Kilowattstunde selbst. Man kann das sozusagen in seiner Wohnung sehen, wie man die Energie spart. Baut man sich noch eine Batterie dazu, kann man manchmal den ganzen Tag überdauern, ohne überhaupt Strom zu ziehen.
Münchenberg: Aber meine Frage war ja ursprünglich eine andere. Sie war ja: Wo sieht Robert Habeck sozusagen den Neuanfang auch vielleicht für sich selbst?
Habeck: Das ist ein Teil des Neuanfangs in der Energiepolitik, weil wir am Anfang der Legislatur sehr stark – ich glaube, wir mussten es so machen – von oben durchregiert haben. Wir mussten ja erst mal die Energiesicherheit gewährleisten. Wir mussten die Erneuerbaren überhaupt wieder in Schwung bringen. Wir haben es also nicht von unten, von den Menschen her aufgebaut, sondern wir mussten unter der Not des Tages, des Jahres 2022 … oder ich hatte das Gefühl – ich sage das mal sehr bescheiden – hatte das Gefühl, wir kommen nicht anders durch und können die Sicherheit des Landes nicht gewährleisten, wenn wir jetzt nicht sehr schnell auch mit großen Schritten vorankommen. Wir mussten ja die Menge an Energie ausweiten usw., usf. Das ist jetzt in der Energiepolitik so. Bitte. Wirtschaft?
Münchenberg: Kommen wir gleich dazu. Noch ein letzter Punkt. Annalena Baerbock will ja bekanntlich nicht Kanzlerkandidatin der Grünen werden. Den Verzicht hat sie vor Wochen angekündigt. Jetzt hat sie auch noch mal betont, dass Sie der richtige Kanzlerkandidat der Grünen sind. Es ist ja auch sonst niemand eigentlich erkennbar. Also, will Robert Habeck Kanzlerkandidat der Grünen sein?
Habeck: Ich habe ja schon ganz früh gesagt, dass wir uns überlegen müssen, wer wir als Partei sein wollen, wie wir in den Wahlkampf gehen, welche Voraussetzungen wir schaffen, wofür wir Wahlkampf machen. Und dann stellt sich die Frage oder wird die Frage beantwortet, wer der Richtige ist, wie wir die richtige Aufstellung machen. Und die Partei hat mit einer großen Entschlossenheit in den letzten Wochen, wenn man genau hinguckt, sehr viel verändert, hat auch im Auftritt schon viel verändert. Wir strahlen eine ganz andere Haltung aus. Wir sind viel optimistischer und gucken nicht kramgebeugt auf das Innenleben der Ampel, sondern raus auf die Gesellschaft. Auf allen Ebenen sieht man das. Auf der Arbeit der Fraktion, der Sozialen-Medien-Arbeit, der Partei. Und wenn der Prozess abgeschlossen ist – wir sind ja jetzt mittendrin – dann wird auch diese letzte Frage beantwortet.
Münchenberg: Im Interview der Woche des Deutschlandfunks heute Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen. Herr Habeck, wir müssen natürlich auch kurz über die Ampel reden, vielmehr über das, was noch ansteht. Haushalt 2025, Rentenpaket II, Tariftreuegesetzreform der Riester-Rente. Gleichzeitig hat der Noch-Parteichef Nouripour von einer Übergangsregierung gesprochen, Finanzminister Christian Lindner von dem Herbst der Entscheidungen. Aus Ihrer Sicht, was ist das Wichtigste, was muss die Ampel jetzt noch liefern?

"Wir müssen den Job zu Ende bringen"

Habeck: Also ich halte viel davon, dass man die angefangene Arbeit zu Ende bringt und nicht einfach hinwirft, weil die Umfragen schlecht sind. Für die Ampel selbst wiederum heißt das aber in der Regierung die Dinge, die wichtig sind und die angefangen wurden, zu Ende bringen. Das ist natürlich vor allem der Haushalt. Das ist im Energiebereich. Ich glaube, es sind vielleicht noch 20, 30 Gesetzesvorhaben, die da in der Pipeline sind. Nicht alle mögen gleich ganz wichtig sein, aber doch viele sehr, sehr wichtig, jeweils in den verschiedenen Bereichen. Und wir sollten das vernünftig zu Ende bringen. Man wird auch nicht belohnt dafür, dass man, obwohl natürlich jetzt so eine Stimmung ist wie „können wir nicht den Wahlkampf ein bisschen vorziehen“. Aber ich glaube, das bin ich nicht. Also ich kann nur allen zurufen: Wir müssen den Job zu Ende bringen. Man kann nicht beim Marathonlauf 35 km rennen und dann sagen, die letzten sieben sind zu anstrengend, jetzt lasse ich das mal sein, aber morgen fange ich an, Badminton zu spielen. Das ist nicht cool.
Münchenberg: Machen wir es noch mal ganz konkret beim Haushalt. Da fehlen ja noch ein paar Milliarden. Man will die Lücke wenigstens verkleinern. Zwölf Milliarden sind es insgesamt. Gleichzeitig ist ja sozusagen Geld jetzt übrig, sage ich mal ein bisschen flapsig. Intel baut nicht in Magdeburg. Da geht es um zehn Milliarden, waren dafür vorgesehen aus dem Klimatransformationsfonds. Ist das ein gangbarer Weg, von diesen zehn Milliarden einen kleinen Teil zum Beispiel für den Haushalt zu verwenden und den anderen Teil zum Beispiel Ausbau Ladeinfrastruktur E-Autos?
Habeck: Also Intel hat ja erst mal nur gesagt, sie pausieren. Das ist eine merkwürdige Formulierung, die ich auch so noch nie gehört habe. Denn entweder sagt man, wir verschieben das um zwei Jahre, oder wir geben es auf, oder wir ziehen es vor, oder was auch immer. Pausieren ist irgendwie so ein bisschen Stillstand der Rechtspflege. Aber das haben die gesagt. Deswegen muss man sich schon fragen, wenn man das Geld jetzt anders verwurstet, ob man damit dann selbst dieses Projekt verhindert und unmöglich macht. Diese Debatte muss mit geführt werden.
Innerhalb des sogenannten Klima- und Transformationsfonds, aus dem diese Gelder kommen, gibt es auch eine Haushaltslücke. Über die ist nicht so viel gesprochen worden, aber die ist auch groß, sodass es erst mal helfen würde, bestehende Projekte gut durchzufinanzieren und wir nicht wieder in eine Schieflage kommen, dass wir irgendwie strecken müssen, kürzen müssen usw. Das macht ja niemand gerne. Dieses abrupte Ende von Förderprogrammen, das ja wirklich blöde und schlecht ist und sehr viel Vertrauen kaputtgemacht hat, das liegt ja daran, dass das Geld alle war und keiner eine Idee hatte wie man das neu besorgen konnte, nachdem das Verfassungsgericht gesagt hat, die 60 Milliarden sind gestrichen. Das sollten wir nicht wiederholen. So, das sind, glaube ich, die Voraussetzungen, die man erst mal mitdenken muss. Und dann muss man darüber reden, wenn dann noch Flexibilitäten da sind, wie man die klug nutzt. Das werde ich aber nicht im Interview der Woche im Deutschlandfunk machen.
Münchenberg: Schade auch.
Habeck: So was, ja.
Münchenberg: Ich habe tatsächlich jetzt noch, weil uns die Zeit ein bisschen davonläuft, zum Schluss … wir hatten kurz über das Heizungsgesetz gesprochen. Das ist trotzdem eine schwere Hypothek. Die Wirtschaftslage ist extrem mau.
Habeck: Dafür …, wenn ich frech sein darf, dafür, dass Sie darüber nicht reden wollen, reden Sie ganz schön viel darüber.
Münchenberg: Alle Prognosen sagen im Augenblick, Deutschland bleibt Schlusslicht beim Wachstum, auch im nächsten Jahr. Die Wachstumsinitiative, die die Bundesregierung aufgelegt hat, wird keinesfalls diese 0,5 Prozent Wachstum erreichen, die auch Ihr Ministerium prognostiziert hat, sagen die Wirtschaftsforschungsinstitute. Also, ganz kurz zum Schluss: Wo soll das herkommen? Wirtschaftsaufschwung jetzt im nächsten Jahr und vielleicht auch der Umfrageaufschwung der Grünen dann.
Habeck: Die Maßnahmen, die wir bisher ergriffen haben, um die Wirtschaft wirklich anzuschieben, also auf einen Wachstumspfad von 2, 2,5 Prozent zu bringen, reichen nicht. Muss man ganz ehrlich sein. Die Möglichkeiten, die man hat, um das Investitionsumfeld zu verbessern, müssen wirken. Und sie wirken mittelfristig. Wenn man einen kurzfristigen Effekt auslösen will, dann geht das nur durch bessere Finanzbedingungen. Und diese besseren Finanzbedingungen haben zwei Seiten. Geringere Zinsen. Das liegt bei der EZB. Die senkt jetzt die Zinsen. Das ist der eine Weg.
Oder kombiniert davon, der Staat schafft bessere Abschreibungsbedingungen. Also die Unternehmen können ihre Investitionen gegen die Steuer, die sie sonst zahlen müssten, gegenrechnen, was ja sehr attraktiv ist. Diese Punkte haben wir jetzt adressiert in der Wachstumsinitiative. Allerdings in einem vergleichsweise kleineren Bereich. Also, das sind ja Steuerausfälle und der Haushalt – Sie haben es eben angesprochen – muss ja zusammengebracht werden. Würde man das ausweiten können, Steuern für die Unternehmen erlassen, die jetzt investieren, dann hätten wir einen wirklich großen Impuls. Und die Projekte sind ja alle noch da. Sie sind ja nur aufgeschoben worden wegen hoher Inflation, hohen Zinsen.
Problem ist, diese Steuerausfälle fehlen in dem Haushalt. Diese Steuerausfälle werden natürlich kompensiert werden, denn mehr Investitionen führen zu mehr Wachstum. Mehr Wachstum führt zu mehr Steuereinnahmen. Diese Steuereinnahmen gleichen den Haushalt aus. Dummerweise nicht im gleichen Jahr. Der ökonomische Zyklus hält sich leider nicht an die Kalenderplanung. Das heißt aber die finanzpolitische Vorgabe, die Schuldenbremse sagt, im gleichen Jahr müssen die Steuereinnahmen und die staatlichen Ausgaben in Deckung gebracht werden, eine schwarze Null dabei herauskommen. Würden wir das über zwei Jahre oder über drei Jahre strecken können, also nach drei Jahren muss der Haushalt ausgeglichen sein, alle würden jetzt schon investieren. Sie hätten eine ganz andere Möglichkeit.
Münchenberg: Nützt Ihnen aber im Augenblick ja nichts, genau.
Habeck: Ja. Vielleicht gelingt es noch einmal darüber ein Gespräch mit der demokratischen Opposition zu führen, ob man das, was jeder sieht, wir kriegen es nicht in der Jährlichkeit der Haushaltsvergabe hin, ob das nicht noch mal eine Grundlage ist, vor der Bundestagswahl einen gemeinsamen Raum zu schaffen für Gespräche. Das wäre wirklich gut. Dann gibt es auch eine Planungssicherheit. Weiß ja keiner wie die nächste Bundestagswahl ausgeht, ob diese Bedingungen dann überleben oder ob die dann nur ein Strohfeuer sind und zurückgenommen werden. Also die Planungs- und Verlässlichkeit im großen Zusammenschluss der demokratischen Parteien nur in dem Bereich, das wäre das, was Deutschlands Wirtschaft nach vorne bringt. Das kann aber nicht ein grüner Wirtschaftsminister alleine machen. Das kann auch noch nicht mal die Ampel alleine machen. Das ginge nur im Zusammenschluss der Demokraten. Aber das wäre neben der Zinssenkung der wirklich wichtige und kurzfristig wirkende Impuls.
Münchenberg: Wir werden das weiterbeobachten. Herr Habeck, danke schön für das Gespräch.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.