Die inhaltliche Zufriedenheit mit der SPD in Brandenburg und der CDU in Sachsen hätte beim Wahlverhalten der Menschen im Hintergrund gestanden, meint Habeck Es sei nur darum gegangen, die aussichtsreichere Partei zu stärken, um eine Mehrheit der AfD zu verhindern. "Ich finde das ausdrücklich ein nachvollziehbares Wahlverhalten", sagte Habeck im Deutschlandfunk. "Nehmt gerne zwei bis drei Punkte von den Grünen, wenn dafür die Überschrift bleibt: ‚Die Demokratie stellt immer noch stärkere Parteien als die AfD.'"
Die Wahlbeteiligung lag sowohl in Brandenburg als auch in Sachsen deutlich höher als vor vier Jahren. "Ich glaube, es ist eine Dynamik entstanden. Es hat eine demokratische Offensive gegeben, die viele Menschen motiviert und aktiviert hat." Natürlichen hätten auch viele Menschen der AfD ihre Stimme gegeben. Daraus leitet Habeck Forderungen an alle Parteien ab: "Dass die AfD enttäuschte Menschen anspricht, ist unbestritten – und ein Warnzeichen an alle anderen Parteien, dass das nicht bei der AfD bleibt und mit der AfD nach Hause geht."
Das Interview in voller Länge
Philipp May: Wir machen direkt weiter, denn der nächste Politiker ist in der Leitung: Robert Habeck, Co-Vorsitzender der Grünen. Hallo, Herr Habeck!
Robert Habeck: Guten Morgen! – Ich grüße Sie.
May: Zugewinne auch im Osten für Sie, aber deutlich weniger als gedacht. Sind Sie ernüchtert?
Habeck: Nein, es ist ein gutes Ergebnis. Ich würde sogar sagen, mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche Situation ein sehr gutes Ergebnis. Aber Sie haben recht: Wir haben sicherlich in der letzten Woche noch mal Verluste jeweils zu den Platzhirschen hinnehmen müssen, dominiert aus der Angst, dass die AfD stärkste Kraft wird, und ich finde das ausdrücklich ein nachvollziehbares Wahlverhalten.
Das ist ein taktisches Wahlverhalten, aber es ist völlig legitim, und wer weiß, wie ich abgestimmt hätte dann in der Situation. Das ist ein Schönheitsfehler, wenn Sie so wollen. Wichtig ist, dass eine Aufbruchsstimmung erzeugt werden konnte gegen Kollegen, wie ich die gerade vorhin gehört habe, und das ist viel wichtiger als ein Prozent mehr bei den Grünen oder weniger.
"Beide Wahlkämpfe außergewöhnlich"
May: Was hätte es sonst geben können unter für Sie normalen Umständen?
Habeck: Keine Ahnung. Aber wir haben ja vor einer Woche ungefähr gesehen, dass die jeweiligen Parteien, SPD in Brandenburg und CDU in Sachsen, vier, fünf Prozent hochgegangen sind und wir drei, vier Prozent runtergegangen sind. Ich nehme an, dass das ungefähr die Situation der inhaltlichen Auseinandersetzung gespiegelt hat in den Wahlkampfwochen davor, und dann kam aber dieses taktische Wahlverhalten.
Aber das Taktische klingt immer so negativ. Die Überlegung davor, wie stimme ich eigentlich ab, damit ein klares Zeichen gesetzt wird; die AfD ist ja nicht stärkste Partei dazu. Insofern sind beide Wahlkämpfe im Grunde außergewöhnliche gewesen.
Die fallen aus der politischen Norm ein Stück weit raus, weil es am Ende nicht mehr die Zufriedenheit mit der Regierung war – die war ja bei beiden Ländern sehr gering ausgeprägt -, noch inhaltliche Überlegungen, Klimawandel beispielsweise, sondern vor allem die Sorge, dass die AfD da alles absahnt.
Und es ist ja auch okay! Ich will das ausdrücklich sagen. Und ehrlicherweise: Nehmt doch gerne zwei, drei Punkte von den Grünen, wenn dafür die Überschrift bleibt, die Demokratie stellt immer noch stärkere Parteien als die AfD.
"Viele Brüche und auch Enttäuschungen"
May: Aber, Herr Habeck, Sie sagen jetzt so einfach, diese Wahlkämpfe fallen aus der Norm ein bisschen raus. Wir können mehr oder weniger jetzt schon klar absehen, dass in Zukunft alle Wahlkämpfe zumindest in den neuen Bundesländern so aussehen werden wie diese beiden.
Habeck: Sicherlich ist Thüringen noch mal unter anderen Vorzeichen eine Hürde oder eine schwierige Situation. Man muss ja auch gar nicht darüber hinwegreden, dass es bisher nicht gelungen ist, in den ostdeutschen Bundesländern das Eigenständige der politischen Erfahrung, die vielen Brüche und auch Enttäuschungen in eine Form zu übersetzen, die die Menschen dort anspricht, respektvoll anspricht und gleichzeitig nicht in Trotz umschlägt.
Das würde ich gar nicht abräumen. Aber ich meine, wenn man es jetzt nicht verstanden hat, wann dann. Und außerdem hat der Wahlkampf ja in Brandenburg und in Sachsen eine Stimmungsveränderung, eine deutlich spürbare Stimmungsveränderung gezeigt. Klar, die ist stark, viel zu stark. Darum müssen wir gar nicht herumreden.
Aber es ist auch so gewesen, dass Leute wach geworden sind, dass demokratische Räume zurückerobert wurden, dass in Chemnitz bei dem Symbol des Karl Marx auf einmal die Demokratie den Raum gehalten hat und die Pro-Chemnitz-Leute – das sind quasi Neonazis in Chemnitz – im Grunde an den Rand gedrängt wurden.
Das ist eine zarte Pflanze, das räume ich ein, aber wenn wir jetzt vieles richtig machen, kann die ja Wurzeln schlagen und dann ist das vielleicht gar nicht der Siegeszug der AfD, sondern der Beginn von einer neuen demokratischen Offensive in den ostdeutschen Bundesländern.
Nachvollziehbares Wahlverhalten
May: Und am Ende müssen Grünen-Wähler zur CDU überlaufen beziehungsweise in Brandenburg zur SPD, um den Ministerpräsidenten zu stützen. Klingt nach einem sehr zarten Pflänzchen.
Habeck: Warum? – Ich finde das legitim. So wird bei Wahlkämpfen immer agiert, dass am Ende auch taktische Argumente eine Rolle spielen. Die SPD hat in Brandenburg das offensiv plakatiert und gesagt, nur wir sind die Kraft gegen die AfD. Das ist natürlich nicht richtig gewesen. Das würde ja im Umkehrschluss bedeuten, die Grünen sind es nicht. Aber die Überlegung ist legitim, sich taktisch aufzustellen, und es zeigt doch vor allem, dass die Leute die Machtbildung, die Machtkonstellationen in Brandenburg und in Sachsen ernst genommen haben.
Das ist eher ein Zeichen für aktive Beteiligung. Ich will da gar nicht herumheulen und herumjammern und sagen, ach so, wenn das anders gewesen wäre, dann hätte ihr doch zwei Prozent mehr bei den Grünen lassen können oder so. Es ist okay, so wie es gelaufen ist. Es ist nachvollziehbar. Und dafür, dass es so ist, spricht ja, dass der Bundestrend im Grunde kaum durchgeschlagen hat. Die SPD gewinnt einmal in Brandenburg und verliert in Sachsen und bei den anderen ist es umgekehrt.
Das ist, finde ich, eindeutig, dass es nur darum ging, die jeweils aussichtsreiche Partei zu stärken. Das hat mit inhaltlicher Zufriedenheit, mit Frust und der GroKo gar nichts zu tun. Das war eine außergewöhnliche Wahlsituation.
"Eine demokratische Offensive"
May: Und in Thüringen wird dann wahrscheinlich die Linkspartei gestärkt werden, weil sie dort in Form von Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten stellt. Es ist im Prinzip immer alle gegen die einen.
Habeck: Abwarten! Ich glaube, es ist eine Dynamik entstanden. Der Blick auf die AfD, der erschreckte Blick auf die AfD verstellt ein bisschen den Blick auf das, was eigentlich da passiert ist aus meiner Sicht.
Es hat eine demokratische Offensive gegeben, die viele Menschen, die sich davor zurückgezogen haben, motiviert hat und aktiviert hat, daran teilzunehmen. Das gilt auch für die Leute, die meine Partei gewählt haben.
Ich meine, wir sind bisher immer abgestraft worden, wenn die Wahlbeteiligung gestiegen ist, die Grünen in Ostdeutschland. Hohe Wahlbeteiligung hieß, die Grünen gehen unter. Nun ist es umgekehrt so gekommen, dass wir Teil einer Mobilisierung geworden sind, gerade die Grünen, muss man ja sagen, mit Blick auf die Wahlergebnisse davor.
Man kann doch daraus ableiten, dass da tatsächlich eine andere Kraft wächst, und es ist jetzt noch sechs, acht Wochen hin, bis Thüringen wählt.
Wahlkampf bedeutet, dafür zu mobilisieren, dass da was geht und was passiert. Mal gucken! Da ist eine Dynamik drin. Ich meine, auch jetzt die Wahlergebnisse entsprechen ja überhaupt nicht den Umfragen davor, sondern sind ganz anders gekommen. Demokratie heißt kämpfen!
"Man kann die AfD dafür nicht loben"
May: Hohe Wahlbeteiligung sprechen Sie an. Die war tatsächlich so hoch wie lange nicht in Ostdeutschland, in den neuen Bundesländern. Ist das nicht möglicherweise auch mal ein Grund, die AfD dafür zu loben, dass sie vielen, die sich nicht mehr repräsentiert gefühlt haben im Parteiensystem, wieder eine Stimme gegeben hat?
Habeck: Dass das so ist, dass die AfD ein trotziges Milieu oder enttäuschte Menschen anspricht, das ist unbestritten und ein Menetekel und ein Warnzeichen für alle anderen Parteien, daran zu arbeiten, dass das nicht bei der AfD bleibt und mit der AfD dauerhaft nachhause geht.
Sie hat sicherlich die stärkste Mobilisierung bei den Nichtwählern oder bei den Leuten, die davor nicht gewählt haben, gefunden.
Trotzdem kann man die AfD dafür nicht loben. Wenn man auf Probleme mit Problemnegierung, mit Nationalismus, mit menschenverachtenden Parolen reagiert, dann ist das nichts, worauf man stolz sein kann oder die Menschen loben kann, sondern es ist eher so, dass man merkt, wieviel Unverständnis und wieviel Frustration in bestimmten Regionen in Ostdeutschland da ist, und das muss anders adressiert werden, als das bisher gewesen ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.