Die Handykamera gezückt, in der anderen Hand, das grüne Wahlprogramm oder auch vollgekritzelte Notizzettel voller Fragen– die älteren Herrschaften in den ersten Reihen blicken gespannt auf das knallgrüne Stehpodest in ihrer Mitte: "Lieber Robert, the stage is yours":
Bühne frei für Robert Habeck: Katja Meier, die Spitzenkandidatin der sächsischen Grünen im Landtagswahlkampf, begrüßt den Parteichef aus dem fernen Berlin; und Robert Habeck genießt den Applaus. Gut 400 Zuhörer drängeln sich im alten Gasometer in Zwickau, das heute ein Kulturzentrum ist:
"Ich will auch nur kurz guten Abend sage, mich bedanken, dass sie so zahlreich sind - SO zahlreich da sind. Sie wissen, dass das eine Veranstaltung der Grünen ist?"
Habeck: "Auch die SPD braucht Stimmen"
Lange haben die Grünen gezittert vor den Landtagswahlen in Ostdeutschland, das Image der Schlauberger- und Wessi-Partei klebte an ihnen wie Kaugummi. Doch der bundesweite Trend hat längst auch Sachsen und Brandenburg erfasst, am 1. September wird dort gewählt.
In beiden Bundesländern haben die Grünen ihre Umfrageergebnisse in den letzten Monaten mehr als verdoppelt, sie sind jetzt zweistellig. Ein Grund dafür ist dieser ältere Herr. Der Rentner im knallroten T-Shirt wird gleich ein Lächeln auf Robert Habecks Gesicht zaubern.
"Ich bin, das gebe ich zu, traditioneller SPD-Wähler. Ich bin von der SPD tief enttäuscht und fasse jetzt ins Auge, die Grünen zu wählen."
Jetzt bloß nichts Falsches sagen. Robert Habeck bricht eine Lanze für die SPD: "Also erstens wollte ich sagen, dass die SPD auch Stimmen braucht."
Kurzes Innehalten im Publikum, dann Gelächter – nicht jeder nimmt dem Grünen seine wohlmeinenden Worte für die Roten ab. Das ist für Habeck aber nicht der springende Punkt, sondern: "Entscheidend ist, ob von der sächsischen Landtagswahl das Signal ausgeht, dass eine gestaltende, zuversichtliche, progressive Politik eine starke, klare und deutliche Mehrheit hat."
Kampf gegen das Klischee vom "braunen Osten"
Das zielt gegen die AfD, die in Sachsen stärkste Kraft werden könnte. Im knallgrün schimmernden Gasometer, beleuchtet von den Scheinwerfen des Wahlkampfteams, gibt sich niemand zur AfD, doch Robert Habeck glaubt die Sympathisanten an den Fragen zu erkennen, wie er später am Abend erzählt:
"In all den Veranstaltungen, die wir jetzt hatten, waren immer ein Großteil auch AfD-Mitglieder, in Dresden Pegida-Mitglieder, identitäre Bewegung; und die haben sich auch alle zu Wort gemeldet, aber sie haben sich an der Diskussion beteiligt. Sie haben ihre Abneigung gegen die Grünen, gegen mich in Fragen gekleidet und auch das passiert mir im Westen."
Soll heißen: Im Westen genauso wie im Osten. Zur Charmeoffensive der Grünen gehört der Kampf gegen das Klischee vom "braunen Osten". Das stimme so nicht – meint der gebürtige Kieler Habeck: "Es ist nicht schön, AfD stärkste Kraft wird. Aber die stärkste Kraft sind sie nur, weil die anderen Parteien so nach gelassen haben."
Die neuen Wechselwähler im Osten
Niemand in Zwickau fragt den Grünen Parteichef an diesem Abend nach der Asylpolitik. Das neue Feindbild scheint eher die Energiewende zu sein, vor allem das Elektroauto und der Atomausstieg. Dennoch ist die Zufriedenheit am Ende des Abends groß.
"Ich fand die Veranstaltung sehr informativ und gut." - "Es hat uns sehr gut gefallen." - "Meiner Meinung nach war es eine der besten politischen Veranstaltungen, die es in der Stadt je gegeben hat. Vor allen Dingen: sehr konstruktiv."
"Ein Fangemeinde war schon da – haben wir rausgehört", sagt dieser ältere Herr – bisher eigentlich kein Grünen-Wähler. Eigentlich. "Ich glaube, wenn heute Wählerwanderung stattfindet, ist heute ein großer Teil zu Grünen übergelaufen. Die Ehefrau nickt. Beide haben bisher immer die CDU gewählt, aber jetzt: "Ein Mann mit Charisma, den wünscht man sich sehr. Man kommt schon ins Grübeln."
Da sind sie, die neuen Wechselwähler im Osten, sie kommen von der SPD oder von der CDU. Ganz anders die Taxifahrer, die die Reporterin zu Beginn des Abends zum Gasometer bringen, und später zurück: Der eine will am 1. September die AfD wählen, der andere gar nicht.