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Robert Koch

Schwergewichtig kommt die Koch-Biografie daher: Sie wiegt rund drei Kilogramm - wenn es einen Kandidaten für ein E-book gibt, dann dieses Buch. Robert Koch war eine der zentralen Figuren des "Goldenen Zeitalters der Mikrobiologie" gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als schnell hintereinander etliche Infektionserreger identifiziert wurden und die Hoffnungen hoch waren, die Krankheiten dann auch besiegen zu können.

Rezension: Dagmar Röhrlich |
    Auf mehr als 1000 Seiten erzählt das Buch alles Mögliche rund um Infektionskrankheiten und Seuchenzüge im Allgemeinen und um Pest und Cholera im Besonderen. Es geht um die Kolonialgeschichte des Deutschen Kaiserreichs, um die Auswanderungswelle aus Deutschland, um den Ursprung des Tropenhelms, um Vincent Zigas, den "lachenden Tod", Prionenkrankheiten, Anthrax und Schweinegrippe: Mit alldem geht das Buch weit über Robert Koch hinaus. Und es dreht sich auch um Robert Koch und seine Familie.

    Robert Koch wies nach, dass Bakterien und parasitische Einzeller gefährlicher Infektionskrankheiten wie Milzbrand, Cholera, Tuberkulose, Pest, Malaria oder die Schlafkrankheit auslösen. Für seine Entdeckungen über die Tuberkulose erhielt er 1905 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie. Sein Leben ist für eine Biographie ideal, denn es war abenteuerlich und durchaus nicht skandalfrei: im persönlichen Bereich durch seine Scheidung und Wiederverheiratung mit einer jungen Künstlerin, im beruflichen durch den Tuberkulin-Skandal. Nicht wenige Menschen starben damals an der von ihm entwickelten Impfung, die sich als wirkungslos, ja sogar gefährlich erwies.

    Das Buch, das Johannes Grüntzig und Heinz Mehlhorn zum 100. Todestag des Wissenschaftlers geschrieben haben, ist sehr gründlich und mit viel Liebe zum Detail recherchiert. Bewundernswert ist die Menge an Briefen, die die Autoren zusammengetragen haben, interessant vor allem die erstmals veröffentlichten Auszüge aus der privaten Korrespondenz. Dazu kommen mehr als 500 Abbildungen: "Kleinstwohnungen ohne Kanalisation im Hamburger 'Gängeviertel' während der Cholerazeit" werden ebenso gezeigt wie die "Deutsche Flaggenhissung an der westafrikanischen Küste am 14. Juli 1884", der "Tisch der Familie v. Prince in Iringa, an dem Koch seiner Frau am 26.4.1905 schrieb", "blau eingefärbte Tuberkelbazillen aus einem Tuberkel der Lunge bei Miliartuberkulose nach einer Originalabbildung von Robert Koch" - um mit ein paar Beispielen die Bandbreite aufzuzeigen.

    Das Buch hat seine starken Seiten, wenn es über das Leben von Robert Koch berichtet, etwa über seine frühen Jahre als Landarzt oder seine Forschungsreisen nach Ägypten, Indien, Neuguinea oder Afrika. Oder wenn es über die Bedeutung seiner zweiten Gattin für die Forschung erzählt, über ihr gewiss nicht einfaches Leben als Frau an der Seite eines leidenschaftlichen Wissenschaftlers oder darüber, dass sie sich für Kochs Tuberkulose-Experimente zur Verfügung stellte. Auch ihr Leben wird gewürdigt.

    Aber diese Biographie hat leider auch etwas von einem Zettelkasten, ist über weite Strecken nicht genügend auf ihr Thema fokussiert, verliert ihre Protagonisten sogar immer wieder aus den Augen. Dann arbeiten sich zum Beispiel die Autoren am Aufbau russischer Quarantänestationen im Vergleich zu österreichischen ab oder den diversen Methoden in vormikrobiologischer Zeit einen Brief zu "entseuchen". Ein Absatz hätte genügt. Handwerklich ungeschickt ist auch, sich in der allgemeinen Beschreibung des deutschen Wegs ins Kolonialreich zu verlieren, ohne diesen Aspekt auf Robert Koch zuzuschneiden. Allein mit solchen Nebenschauplätzen werden die ersten 100 Seiten vollgeschrieben, ehe es richtig losgeht. Straffen, thematisches Aussortieren, Vermeiden von Redundanzen, mehr Konzentration auf Robert Koch und seine Familie, das hätte dem an sich durchaus interessanten Buch sehr gut getan: So etwas macht oft genug bei einem Buch den Unterschied zwischen im Regal verstauben und tatsächlich ganz gelesen werden aus.

    Johannes Grüntzig und Heinz Mehlhorn: Robert Koch. Seuchenjäger und Nobelpreisträger
    ISBN: 978-3-8274-2710-6
    Spektrum – Akademischer Verlag, 1085 Seiten, 99,95 Euro