Der Weg zum Mann im Polyester-Anzug führt in einen abgelegenen Winkel und hinter dicke Säulen. Dort hängt die berühmt gewordene Fotografie eines kopflosen Modells, dem der entblösste Penis aus dem Hosenstall ragt. Daneben ein weiterer Penis, erigiert als Mittelpunkt der Aufnahme, die dazu gehörende Leiste seitlich nur knapp sichtbar. Und noch ein männliches Glied, sorgfältig auf einen Kubus drapiert, der Oberkörper darüber gebeugt.
Zurückhaltende Präsentation
Zu behaupten, die explizitesten Bilder von Robert Mapplethorpe würden in dieser Ausstellung besonders prominent präsentiert, wäre gelogen. Das Guggenheim Museum hat die gesamte Schau zum dreißigsten Todestag des amerikanischen Fotografen diskret in einer Seitengalerie untergebracht. Diese Zurückhaltung ist verständlich angesichts des kulturellen Klimas, das in den Vereinigten Staaten zurzeit herrscht. Aber auch lächerlich, wenn man bedenkt, dass Pornografie im Internet mittlerweile wie Pop-up-Werbung zirkuliert und Mapplethorpe heute weltweit einen geradezu mythischen Status genießt – nicht trotz, sondern wegen des provokativen Inhalts mancher seiner Werke. Kuratorin Lauren Hinkson lenkt das Interesse freilich auf einen anderen Aspekt:
"Am interessantesten sind in dieser Ausstellung die Bilder, auf denen Mapplethorpe sich selber in unterschiedlichen Rollen darstellt. Wir stehen hier vor einer Wand mit Aufnahmen, auf denen er sich einmal supermaskulin in einer Lederjacke zeigt, mal feminin mit Lippenstift und einer Federstola. Er probiert verschiedene Rollen und Identitäten aus. Damit spricht er ein vielfältiges Publikum an."
New Yorker Sado-Maso-Szene
Die Ausstellung umfasst Werke von Mapplethorpes Anfängen in den 1970er Jahren, als er mit einer Polaroid-Kamera zu experimentieren begann, bis zu den Portfolios der späten 70er und 1980er Jahre. X, Y und Z nannte er die Serien, von denen mindestens zwei die Zensoren auf den Plan riefen: Bilder aus der New Yorker Sado-Maso-Szene, Stillleben von Blumen und Akten afroamerikanischer Modelle.
Alles sei erlaubt, sagte Mapplethorpe einmal. Denn nicht das Abgebildete zähle, sondern wie es abgebildet werde. Die Austauschbarkeit der Sujets wird deutlich, wenn man eine Orchidee und ihren Schatten neben einem männlichen Körperteil in Leder und Ketten betrachtet. Beides wirkt abstrakt, es herrscht das Primat der Komposition.
Dieselbe Herangehensweise prägt seine Aktbilder. Nur schwingt da ein bisschen Leni Riefenstahl mit. Der schwarze Köper auf dem Podest, jeder Muskelstrang ein Spiel aus Licht und Schatten, jede Rundung göttergleich. Kuratorin Lauren Hinkson:
"Mapplethorpes letzte Aufnahme ist eine Art Totenmaske, ein Selbstporträt von 1988. Sein Gesicht ist von seiner AIDS-Erkrankung gezeichnet. In der Hand hält er einen Stock mit einem Knauf in Form eines Totenkopfs. Es ist ein unheimliches Bild, das zugleich von Mapplethorpes ungeheurer Kontrolle über das Dargestellte zeugt, selbst über den Tod."
Virtuoser Stilist
Robert Mapplethorpe zeigt in seinen Fotografien nicht die Menschen und Gegenstände an sich. Er zeigt seine Interpretation von ihnen. Dabei trennt diese Aufnahmen oft nur eine Haaresbreite vom Kitsch, manchmal auch gar nichts. Der Gegensatz zwischen schockierendem Inhalt und makelloser Inszenierung erzeugt zunächst eine gewisse Spannung, die nach zig-facher Wiederholung allerdings verpufft. Und wo jede Mohnblume ein Hodensack sein könnte, geht schließlich auch das homoerotische Element verloren.
Robert Mapplethorpe braucht weder versteckt noch zum Schutzheiligen der künstlerischen Transgression erklärt zu werden. Es genügt, sein Werk als das zu sehen, was es ist: die Arbeit eines virtuosen Stilisten mit einem Gespür für Bildfindung und mit limitierter Perspektive.