Die AfD hat einen großen Wahlerfolg erzielt: Im Landkreis Sonneberg in Thüringen ist mit Robert Sesselmann erstmals ein Politiker der Partei zum Landrat gewählt worden. In der Stichwahl setzte er sich mit 52,8 Prozent der Stimmen gegen den CDU-Kandidaten Jürgen Köpper durch, der 47,2 Prozent der Stimmen erhielt. Die Wahlbeteiligung lag bei 59,6 Prozent. Vor der Stichwahl hatten SPD, Grüne, FDP und Linke zur Wahl des CDU-Kandidaten aufgerufen.
Sesselmann war bereits mit guten Chancen auf den Wahlsieg in die Stichwahl gegangen: Im ersten Wahlgang am 11. Juni hatte er mit 46,7 Prozent der Stimmen knapp die absolute Mehrheit verpasst, der Zweitplatzierte Köpper war auf 35,7 Prozent gekommen. Damals hatte nur knapp die Hälfte der rund 48.000 Wahlberechtigten abgestimmt.
Wer ist Robert Sesselmann?
Der Rechtsanwalt Robert Sesselmann ist laut der Website der AfD Thüringen in Sonneberg geboren und Vater von drei Kindern. Seit 2019 sitzt Sesselmann als Abgeordneter der AfD im Thüringer Landtag. Außerdem ist der 50-jährige Politiker im Stadtrat Sonneberg, im Kreistag und zudem Beisitzer im Vorstand der Thüringer AfD.
Der AfD-Landesverband wird vom Thüringer Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft und beobachtet. Sesselmann selbst hat auf Montagsdemos die Bundesrepublik Deutschland als „Marionettenstaat der USA“ bezeichnet.
Am Wahlkampfstand wiederum hat sich der AfD-Politiker freundlich und bodenständig-konservativ präsentiert. Mediale Aufmerksamkeit scheint er zu meiden: Sein Büromitarbeiter wimmelt Anfragen von Journalisten ab - der Kandidat gebe keine Interviews. Sesselmann selbst sprach zwar mit einem Deutschlandfunk-Reporter, schloss jedoch aus, Fragen zum Landesvorsitzenden der Thüringer AfD, Björn Höcke, oder zum Thema Faschismus zu beantworten.
Den Wahlkampf um das Landratsamt führte Sesselmann mit Forderungen, die weit außerhalb der Kompetenzen eines Kommunalpolitikers liegen. Auf den Wahlplakaten der AfD stand beispielsweise „Euro abschaffen“, „Grenzen schließen“, „Frauen vor dem Islam schützen“, „Rundfunkbeiträge abschaffen“, „Gegen Windräder – für Diesel“, „Gegen Sanktionen – für billiges Gas aus Russland“.
„Die Themenbereiche, die jetzt konkret hier vor Ort sind, die interessieren die Leute nicht“, sagte Sesselmann dazu. „Die Leute, die sie auf der Straße treffen, die interessiert: Wie geht’s denn jetzt weiter mit den Russland-Sanktionen? Was wird mit unserer Energie?“
Sesselmann war bei der Landratswahl im Landkreis Sonneberg auch 2019 schon für die AfD angetreten. Damals landete er auf dem dritten Platz.
Welches Signal sendet ein erster AfD-Landrat für Deutschland?
Die gewonnene Landratswahl ist für die AfD ein enormer symbolischer Sieg. Der rechtsextreme Thüringer Landesverband, angeführt vom Rechtsaußen Björn Höcke, könnte es so über die Kommunalpolitik schaffen, die Brandmauer zu durchbrechen, die die anderen Parteien gegenüber der AfD noch aufrechterhalten. Denn einen Landrat kann man nicht langfristig überall ausgrenzen, sondern man muss mit ihm arbeiten.
Sesselmann selbst spekulierte im Wahlkampf, „die erfolgreiche Zusammenarbeit mit der AfD“ könne „vielleicht auch die großen Politiker von Land und Bund“ auf die Idee bringen, „über Koalitionen nachzudenken“.
Der Erfolg der AfD bei einer Landratswahl hatte sich angebahnt: Der Wahlsieg Sesselmanns im Kreis Sonneberg folgt auf eine knappe Niederlage der AfD bei der Landratswahl im brandenburgischen Landkreis Oder-Spree. Dort war im Mai ein AfD-Politiker dem Gegenkandidaten der SPD erst in der Stichwahl und mit relativ wenig Abstand unterlegen.
Momentan befindet sich die AfD bundesweit im Umfrage-Höhenflug. Laut dem aktuellen ARD-Deutschlandtrend würden 19 Prozent der Befragten bei der Bundestagswahl der AfD die Stimme geben. Das ist ein Rekordwert für die Partei, die damit auf bessere Werte kommt als alle anderen Parteien außer der Union.
In Thüringen liegt die AfD in Umfragen bei 28 Prozent und ist damit stärkste Kraft. Im kommenden Jahr finden dort Landtagswahlen statt. Angesichts der Verhältnisse im Landtag könnte es zu einer Unregierbarkeit kommen: Alle anderen Parteien lehnen eine Zusammenarbeit mit der AfD ab.
Wie lässt sich die Wahl des AfD-Kandidaten erklären?
Der unterlegene CDU-Kandidat Jürgen Köpper gibt der angeblich schlechten Politik der Ampel die Schuld an seiner Niederlage. Darin wird er auch von CDU-Generalsekretär Mario Czaja unterstützt.
Dieser Sichtweise widerspricht der Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky von der Bundeswehr-Universität Hamburg: „Der Erfolg der AfD kann nicht auf so kurzfristige Faktoren wie die Performance der Bundesregierung zurückgeführt werden.“ Schon seit einiger Zeit sei bekannt, dass „die Einstellungen zur Demokratie und auch die gesellschaftlichen Einstellungen der AfD-Wähler sehr stark mit dem Programm der AfD übereinstimmen“. Die Wahl sei keine reine Protestwahl. Die Menschen hätten die AfD „aus Überzeugung“ gewählt.
Unser Hauptstadt-Korrespondent Volker Finthammer sieht noch andere Ursachen für das Erstarken der AfD:
Grundsätzlich sind die ländlichen Regionen in Ostdeutschland vielerorts strukturkonservativer als im Westen. Das hat auch mit den Umbrüchen und Verwerfungen in der unmittelbaren Nachwendezeit zu tun. Derartige Erfahrungen möchten die Menschen nicht noch einmal machen. Deshalb stoßen auch bundespolitische Projekte der Ampelkoalition, die eine schnelle Transformation erfordern, auf Ablehnung. Dazu zählen zum Beispiel die Verkehrswende oder das Heizungsgesetz.
Die AfD verspreche genau das Gegenteil von Veränderungen, sagt Volker Finthammer: eine vermeintlich "gute, alte Zeit", in der alles bleibt, wie es war. Damit traf die Partei bei vielen Wählenden im Landkreis Sonneberg offenbar einen Nerv.
Darüber hinaus haben vor allem die Grünen in ländlichen Regionen Ostdeutschlands einen schweren Stand. Sie können bestenfalls in größeren Städten mit einem studentischen Umfeld etwas punkten. Vor diesem Hintergrund hat die langwierige Debatte zu dem von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geplanten Heizungsgesetz Spuren hinterlassen. Das zeigen die aktuellen Umfragewerte. Aus Sicht des Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) kommt es nun stark darauf an, die anstehenden Veränderungen sozial und wirtschaftlich besser abzusichern.
Henry Bernhard, Volker Finthammer, jfr, dpa, bth