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Roberto Donetta in der Fotostiftung Schweiz
Künstler, Träumer, Samenhändler

Der Fotograf Robert Donetta dokumentierte bis 1930 im abgelegenen Tessiner Bleniotal das harte und archaische Leben der Bewohner des Bergtals. Seine eindringlichen aber zum Teil auch heiteren und todernsten Bilder sind derzeit in Winterthur zu sehen.

Von Christian Gampert |
    Arbeiterinnen der Schokoladenfabrik Cima Norma, Dangio-Torre
    Arbeiterinnen der Schokoladenfabrik Cima Norma, Dangio-Torre (© Fondazione Archivio Fotografico Roberto Donetta, Corzoneso)
    Eigentlich war Roberto Donetta Samenhändler. Mit seinem Samenkasten zog er Anfang des 20. Jahrhunderts durch ein abgelegenes Tessiner Bergtal bei Biasca, das Bleniotal. Aber er hatte immer eine Kamera dabei. Als junger Mann hatte Donetta in London als Kellner gearbeitet und sich für die Fotografie begeistert – nun, zwischen 1900 und etwa 1930, wird er zum Chronisten des Tals, "il fotografo", der überall dabei ist, beim Bau der Eisenbahn und beim Besuch des Bischofs, der aber vor allem die Bewohner des Tals in ihrer alltäglichen Umgebung dokumentiert – und dabei auch eine Geschichte der Armut schreibt. Der langsame Einzug der Moderne in diese archaisch wirkenden Lebensverhältnisse ist bei ihm kein Fortschritt; stumm gucken die Menschen sich selber zu.
    Mehr als eine Chronik des Tals
    Nach seinem Tod 1932 hinterläßt Roberto Donetta 5.000 Glasplatten, die sich durch Zufall bis heute erhalten haben und Einblick in seine Arbeitsweise geben – ein Fall für die Fotostiftung Schweiz. Allerdings gibt es im Tal selber mittlerweile eine Fondazione Donetta; die in Winterthur ansässige nationale Fotostiftung leistet nur Hilfe bei Informationssicherung und Aufarbeitung. Und wirkt jetzt, mit einer großen Ausstellung, als medialer Verstärker für Donettas Werk.
    "Nach 1900 fotografiert er seine Welt – auch als Regisseur einer Bühne, die er bespielt. Also es ist nicht einfach nur die Chronik des Tales, das ist es auch; aber immer überlagert von seinem Gestaltungswillen", sagt Peter Pfrunder, der Direktor der Fotostiftung.
    Donetta selber hat nämlich vor allem Porträt-Abzüge im Postkartenformat gefertigt. Auf den Negativen, den Glasplatten aber sieht man, dass Donetta seine Aufnahmen wie in einem großen Freiluft-Studio inszeniert hat: in einen Hof, einen Garten, einen Baum spannte er weiße Tücher und arrangierte davor kleine Szenen. Und er hatte offenbar Vorbilder: Die Arbeiterinnen der Schokoladenfabrik "Cima Norma" stehen versonnen da wie die Grazien bei Ferdinand Hodler; die Haltungen, in denen Metzger, Köche, Schmiede, Soldaten, Bauern, aber auch Pfarrer, Kinder und ganze Familien sich vor der Kamera zeigen, sind denen des Bürgertums nachempfunden. Und trotzdem hat das die Ernsthaftigkeit und Würde der Armen.
    Viele Fotografen, deren Nachlässe in Winterthur lagern, haben eine sehr eigene, oft auch dickköpfige Weltsicht, sagt Peter Pfrunder.
    "Ich glaube, diese Kleinräumigkeit der Schweiz und der enge Bezug zu einer Landschaft, das ist was Wichtiges. Wenn die Fotografen nicht weggehen, wie die großen Reporter, die eben zwangsläufig aus der Schweiz ausbrechen mussten, weil das Land zu eng war, dann sind es häufig Leute, die sehr bewusst sich auf eine Region konzentrieren."
    Stiftung unterstützt Gegenwartsfotografen
    Oder eben auf die Menschen einer Region. Die Schweizer Fotografin Barbara Davatz hat 1982 junge Paare aus der Züricher Künstlerszene zu Porträtaufnahmen gebeten, vor neutralem Hintergrund. 1988, 1997 und 2014 hat sie das wiederholt, also über einen Zeitraum von über 30 Jahren: Die älter gewordenen Modelle zeigen sich nun mit den jeweils neuen Partnern, mit Kindern, mit Enkeln. Diese Langzeitstudie, dieser konzeptuelle Ansatz ist voller Verständnis und doch gnadenlos: Wir schauen nur auf Gesichter und Körper – und verlieren alle Illusionen über das Älterwerden und die Haltbarkeit von Beziehungen.
    Das war die vorletzte Ausstellung der Fotostiftung. Aber allein durch eine solche Schau oder durch den Ankauf von Bildern unterstützt die Institution auch Gegenwartsfotografen, die wichtige Themen haben. Wiederkehrendes Motiv dabei ist die Zerstörung der Schweizer Landschaft durch Industrieansiedlungen, Skigebiete und den Straßenbau.
    60 bis 70 Nachlässe sind bereits aufgearbeitet, die wesentlichen Schweizer Fotografen erschlossen – von der Landschafts- bis zur Objektfotografie und zur Reportage. Man sei offen für Neues, könne aber nur wichtige Positionen aufnehmen, sagt Peter Pfrunder. Und manchmal findet man etwas besonderes – wie den Einzelgänger Roberto Donetta.