Musik: "Ball and chain
In einer besseren Welt, soviel ist klar, würden The Who nicht aus nur zwei Gründungsmitgliedern bestehen. Der wunderbare Wahnsinnstrommler Keith Moon wäre nicht 1978 gestorben und John Entwistle, der Donnergott der Bassgitarre, hätte nicht im Jahr 2002 einen zwar klischeemäßigen, aber reichlich verspäteten und daher doch sehr unwürdigen Sex- und Drogen-Rock n Roll-Tod erlitten. In einer besseren Welt, soviel ist ebenfalls klar, gäbe es auch keine US-amerikanischen Strafgefangenenlager auf Kuba, über die dann wiederum alte Rockmusiker schreiben müssten. Oder könnten. Immerhin: Pete Townshend kann es und er tut es, im Song "Ball and Chain". Das ist als Sujet zwar nicht ganz neu, Reinhard Mey beispielsweise hat es schon vor gut 15 Jahren abgehandelt. Aber es zeigt, dass Pete Townshend nicht in seiner eigenen Gefühlswelt verharrt oder gar nostalgisch wird, sondern den Blick nach außen richtet. Das Album "Who", so hat er selbst erklärt, hat keine Geschichte, kein Konzept. Es ist einfach eine Sammlung von relativ neuen Songs, die den mitunter kritischen Zustand der Welt spiegeln sollen. So wird er wieder zum wachen Beobachter seiner Gegenwart, der er als junger und später nicht mehr so junger Künstler oft genug gewesen ist, mag der Gestus auch allgemein etwas feierlicher sein wie in "Break the news".
Musik: "Break the news (We watch the world go by….)"
Riffs mit knallhartem Anschlag
Auch als Komponist und Gitarrist tritt der 74-Jährige häufiger mit seinem früheren Ich in Kontakt als man erwartet hätte. Hier und da blitzt er durch, der wütende junge Mann mit der, wie ein Journalist in den 60ern hämisch schrieb, Maurerkellen-Nase, der hemmungslos mit der Gitarre in die Welt hineinschlägt. Die ganz großen Riffs fehlen auf dem zwölften Who-Album, aber es sind trotzdem typische Who-Riffs, mit diesem knallharten Anschlag und dem scheppernd-widerborstigen Townshend-Ton. Und dazwischen hört man viele, viele Referenzen an die eigene Diskografie.
Musik: "All this music must fade"
Gleich der erste Song, "All this music must fade", zitiert im Titel entfernt "The music must change" vom letzten Album mit Keith Moon, "Who are you" von 1978. Dann wieder hört man das Synthesizer-Geplucker, das "Baba O Reilly" aus dem Jahr 1971 schon so enervierend wie wiedererkennbar machte. Ideenlos wirkt das nie, eher so, als würde sich Townshend einen Spaß draus machen, kleine Hinweisschilder für Kenner aufzustellen. "Ach guck an, klingt es hier in 'Detour' nicht so, als würde der "Magic Bus" von 1968 an uns vorbeirollen, oder zumindest holpern, weil er ein bisschen wenig Luft in den Reifen hat, vielleicht?
Musik: "Detour"
Mit letzter Tinte und den letzten Hertz Hörvermögen
Es hat einen schalen Beigeschmack, Künstler allein dafür zu loben, dass sie im hohen Alter noch schöpferisch tätig sind. Aber in einer Rockband zu spielen ist nunmal eine andere körperliche Herausforderung als ein Buch zu schreiben. Und die Musik der Who bringt wiederum andere Anforderungen mit sich als etwa die Chansons eines Leonard Cohen. The Who standen bei ihren Konzerten außerdem so viele Jahre in einer meterhohen Wand aus Lärm, dass Pete Townshend inzwischen schwerhörig ist. Da erstaunt die Raffinesse und Detailverliebtheit seiner neuen Songs umso mehr. Wenn er sie mit letzter Tinte und den letzten Hertz Hörvermögen geschrieben haben sollte, merkt man es jedenfalls nicht.
Musik: "I don’t wanna get wise"
Die eigentliche Überraschung auf diesem Album ist aber Roger Daltreys Stimme. Man hört den Druck, die Hingabe, die Präzision der Phrasierungen, die Kontrolle über den Ton und fasst und fasst es nicht, dass dieser Mann schon 75 Jahre alt ist. Kein Vergleich mit Mick Jagger, dessen Stimme ohnehin stets limitierter war, oder auch mit dem jüngeren Robert Plant von Led Zeppelin, der nur noch in mittleren Lagen haucht. Roger Daltrey gibt auf diesem Who-Album überzeugend den Überlebenden einer aussterbenden Art, nämlich den Rock-Shouter der ersten Generation.
Musik: "Rockin`in Rage"
Würdiges Alterswerk
Es war ja schon immer so: Townshend schreibt die Songs - gelegentlich auch mit seinem jüngeren Bruder Simon zusammen- , Daltrey interpretiert sie. Was immer den ewig geplagten Grübler in Herz und Seele bewegt, wird erst greifbar, wenn Daltrey sich diese Gedanken und Gefühle aneignet. Wäre das hier ein Zoo, dann müsste man wohl sagen, man habe gerade die letzten weißen Wale gesehen. So etwas in der Art. "Who" ist ein würdiges Alterswerk, und es wäre ein guter Schlusspunkt dieser an Höhen und Tiefen nicht armen Jahrhundertband.