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Römer, Fugger, Weber

Im 19. Jahrhundert nannte man Augsburg das deutsche Manchester. Erst seit wenigen Jahren besinnt sich Augsburg auf seine Industriebauten, nutzt sie als Museum, Einkaufszentrum, Hochschule oder Wohnhaus. Auf den Spuren von Fuggern, Römern und Webern.

Von Eva Firzlaff |
    Um die Zeitenwende gründeten die Römer an der Wertach ein Militärlager, das erste spülte ein Hochwasser weg. Das nächste wurde bald zur Hauptstadt einer römischen Provinz, größer als das heutige Bayern. Die zentrale Nord-Süd-Achse der Innenstadt, die Maximilianstraße war wohl die Via Claudia Augusta, eine wichtige Handelsstraße der Römer - von Norditalien über die Alpen zur Donau.

    "Die am meisten sichtbare Hinterlassenschaft der Römer in Augsburg, sie sehen`s bei uns auf jeder Straßenbahn, auf dem Rathaus, im Stadtwappen ... nämlich ein Objekt, das die Augsburger als Zirbelnuss bezeichnen. Tatsächlich ist es der Pinienzapfen, der die Bekrönung römischer Pfeilergrabmäler gebildet hat."

    Manfred Hahn ist Leiter des Römer-Museums und freut sich über sehr gut erhaltene Grabmäler. Die lebendigen Darstellungen darauf vermitteln uns ein Bild vom römischen Leben. Ein Beispiel:

    "Vier Männer, die mit Stangen und Seilen versuchen, ein ziemlich großes Stück zu verpacken, wahrscheinlich zum Versand fertig zu machen. Auf Grund der Darstellungen, die Schnüre schneiden tief in dieses Ladegut ein, vermuten wir, dass es sich um einen Textilballen handelt. Und links neben dran sieht man, die, die lesen und schreiben können, waren schon immer im Vorteil. Denn da steht der Sekretär, der Händler, der mit einer Wachstafel in der Hand nur die Buchführung macht. Der schreibt nur auf und die anderen müssen die schwere Arbeit machen."

    Das Glockenspiel vom 1000-jährigen Perlachturm. Als nebenan das Rathaus gebaut wurde, hat man den alten Stadtturm umgebaut zum italienischen Campanile. Auch das riesige Rathaus wirkt sehr italienisch, es gilt als der bedeutendste Profanbau der Renaissance nördlich der Alpen. Gästeführerin Elisabeth Retsch:

    "Das wurde 1620 von Elias Holl gebaut im Stil der Spätrenaissance und sie sehen oben diesen Mittelgiebel mit einem doppelköpfigen Adler. Und das ist der Adler des Kaiserhauses Habsburg, weil Augsburg eine kaiserliche freie Reichsstadt war und da musste das Symbol des Kaisers aufs Rathaus als Zeichen, er ist der Oberste in der Stadt."

    Und vor dem Rathaus steht Kaiser Augustus als Brunnenfigur. Jakob Fugger brachte die italienische Renaissance nach Augsburg. Man nannte ihn auch Jakob den Reichen. Zu seiner Zeit war er tatsächlich der reichste Unternehmer Europas.

    "Er wurde in Venedig ausgebildet, lernte dort eine ganz andere Lebensart kennen und lernte alles zum Kaufmannstum. Er hat gehandelt mit Gewürzen, Erzen Reliquien. Er konnte 16 Jahre die päpstliche Münze prägen, was natürlich sehr lukrativ war."

    Sein Palazzo erstreckt sich mit mehreren Innenhöfen über ein ganzes Straßenkarree. Dort waren Kaiser, Könige und Kardinäle zu Gast. Außer diesem riesigen eigenen Haus an der Maximilianstraße hat Jakob Fugger die "Fuggerei" hinterlassen, die älteste Sozialsiedlung der Welt, gestiftet 1521.

    Vor der Toreinfahrt brummt der Verkehr, dahinter liegt eine Reihenhaus-Idylle. Die zweistöckigen Häuserzeilen ähneln den späteren Werkssiedlungen von 1900 etwa, sind nur eben 400 Jahre älter.

    "Und zwar hat er hier im Handwerker-Viertel oder in der Jakober Vorstadt, wie der Teil heißt, 14 Grundstücke gekauft und ließ eine Wohnsiedlung erbauen, diese gelben Häuser. Zu deren Unterhalt er eine riesige Stiftung ins Leben gerufen hat. Der Stiftungserlös ist dazu bestimmt, auf ewiglich dem Unterhalt der Siedlung zu dienen. So ist es bis heute. Alles, was der damals bestimmt hat, gilt bis heute. Das heißt, wer hier eine der 140 Wohnungen beziehen möchte, der muss laut Stiftungsbrief Augsburger sein, einen guten Ruf haben und in Not geraten sein."

    Auch die Jahreskaltmiete hat sich nicht geändert. Damals ein Rheinischer Gulden, heute 88 Cent - im Jahr. Dazu kommen täglich drei Gebete für den Stifter und seine Familie. Die Stiftung sorgt für den Erhalt der Siedlung, renoviert und modernisiert. Eine Wohnung ist eingerichtet wie zu Fuggers Zeit, die kann man besichtigen und ein kleines Museum informiert über die Fugger und ihre weltweiten Geschäfte.

    Schon seit dem Mittelalter rauscht Wasser durch Augsburg, so viel wie in kaum einer anderen Stadt. Speziell im Handwerker-Viertel hat fast jede Straße ihren eigenen Kanal.

    "Es gibt in Augsburg 70 Kilometer Lech-Kanäle. Aus den Alpen kommt dieses Wasser runter geschossen, es ist relativ schnell, wie das fließt. In Augsburg hat man dieses Wasser verwendet, um Mühlräder anzutreiben. Es gibt eine Stelle, wo das ganze beginnt, das ist der so genannte Hochablass. Dort werden die ganzen Kanäle aus dem Lech abgezweigt und fließen dann durchs Stadtgebiet."

    Nicht nur Mühlräder waren an den Kanälen, auch Handwerker, die viel Wasser brauchten, wie Gerber und Färber. Und später die ersten Textilfabriken, in denen die Maschinen noch mit Wasserkraft angetrieben wurden.

    Wir stehen mit Gregor Nagler vor einem Fabrikschloss, das jetzt von einer Hochschule genutzt wird. Johann Heinrich von Schüle ließ 1770 die erste Textilfabrik bauen, die von außen wie ein herrschaftliches Schloss aussieht.

    "Dann sagt das natürlich auch: ich bin wer, ich nehme jetzt eigentlich die Rolle ein, die früher der Adel hatte. Das ist komplett eine Adelsarchitektur, die er sich hingestellt hat."

    Zur gleichen Zeit gönnte sich ein Bankier in bester Lage ein Rokoko-Palais, das auch einem Fürsten gut gestanden hätte. Das ist bestens erhalten. Beim Schüle-Schloß allerdings sind die heutigen Seitenflügel moderne Bauten, die alten wurden abgerissen.

    "Augsburg hat die Industriearchitektur erst sehr spät entdeckt für sich und man hat leider in den 90er-Jahren noch jede Menge abgerissen. Schüle hat das so gebaut, dass er im Kopfbau lebte und in den Seitenbauten war diese Kattun-Druckerei. Kattune sind ganz feine Stoffe, die hat man importiert und mit Mustern bedruckt."

    Die Druckmuster von damals sind erhalten. Ein besonderer Schatz im nagelneuen Textil- und Industriemuseum, in einer früheren Spinnerei. Borromäus Murr ist dessen Leiter.

    "Das Museum hat einen Bestand von über 550 solcher Musterbücher. Das sind Stoff-Beispiele von den 1780er Jahren bis in die 1990-er Jahre. Das sind etwa 1,5 Mio. Stoff-Druckmuster, über 200 Jahre Mode made in Augsburg, bestimmt für die ganze Welt."

    Im späten 18. Jahrhundert exportierten erfolgreiche Fabrikanten nach ganz Europa. Andererseits gab es soziale Spannungen.

    "Ein Fabrikant wie Schüle arbeitete vor allem mit Importware aus Ostindien. Das hat die einheimischen Handweber fast in den Ruin getrieben. Steine sind geflogen, der Bürgermeister wurde verprügelt. Es war eine explosive Stimmung in der Stadt, Reichtruppen marschierten ein. Und man kommt zu einer Einigung: Für jedes importierte Tuch muss man zwei von einheimischen Webern aus Augsburg nehmen."

    Das hat eine Weile geholfen, aber auf Dauer die Handweber natürlich nicht gerettet. Etliche historische Textilmaschinen sind zu sehen. Alois Thoma und noch andere betagte Techniker haben sie wieder in Gang gebracht.

    "Jedes mal, wenn wir wieder so eine Maschine am Laufen hatten, haben wir gesagt 'na, haben wir`s wieder geschafft'. Wir produzieren, wir sind ja ein 'laufendes' Museum, heißt es ja. Wir müssen ja auch Reparaturen machen, da geht ja mal was kaputt oder neue Ketten auflegen. Wie in einer kompletten Weberei früher so arbeiten wir, ehrenamtlich."

    Alte Fotos zeigen, wie zwischen der Stadt und dem Lech eine ausgedehnte Textilstadt entstanden war. Einige prächtige Fabrikbauten sind erhalten. Wie der Glaspalast, einst Spinnerei, nun Kunstmuseum.

    "Es ist das erste Stahlbetonskelettgebäude in Augsburg, 1910 errichtet, eines der ersten Stahlbetonskelettbauwerke in Deutschland überhaupt. Der Stahlbetonskelettbau ermöglicht, dass das tragende Gerüst nach innen verlegt wird und die Außenwände komplett verglast werden können. Dadurch hat das Gebäude den Spitznahmen Glaspalast bekommen."

    Zu den besondern Augsburger Bauten gehört auch ein wunderschönes Jugendstil-Theater. Die Eisen-Glas-Konstruktion war lange Zeit verbrettert und vernagelt. Drinnen war ein Kino, in dem sollte es dunkel sein. Später drohte der Abriss.

    "Gerettet haben es paradoxerweise zwei Jungs, die sind da eingestiegen und haben gezündelt. Und dadurch ist das ganze Ding abgebrannt und man hat die Eisen-Glas-Konstruktion gesehen. Und man hat gesagt 'ui, was kommt denn da raus?!'"

    Nun ist es wieder ein Schmuckstück, Theater- und Veranstaltungsraum. Erst seit wenigen Jahren besinnt sich Augsburg auf seine Industriebauten, nutzt sie als Museum, Einkaufszentrum, Hochschule oder Wohnhaus. Und zeigt sie vor - auf der Route Industriekultur. Die führt auch zum ausgedienten Gaswerk. Durch eine Toreinfahrt kommt man auf einen Dorfanger.

    "Das Gaswerk wurde ab 1913 gebaut. Es war eine Tendenz der Zeit, die Konstruktionen eher noch zu verstecken. Es gibt hier Zitate vom Augsburger Rathaus oder dinge, die aussehen wie Kirchenbauten. Also man hat so den Eindruck, man steht im Dorf."

    Das geht bis zur barocken Dachhaube. Dachgauben, Türmchen. Gutshaus. Die Gasbehälter allerdings sehen aus wie überall.