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Röntgen-Rekordler
Kilometerlang, milliardenschwer

Mit einem herkömmlichen Laser hat das Gerät, das heute in Hamburg eingeweiht wird, nicht viel gemein. Der Europäische Röntgenlaser, so heißt die Maschine, zählt zu den teuersten Forschungsgeräten, die je in Deutschland gebaut wurden – und soll nun die stärksten Röntgenblitze der Welt erzeugen.

Von Frank Grotelüschen |
    Ein Mitarbeiter fährt am 18.02.2015 in Hamburg im Teilchenbeschleuniger-Tunnel des Röntgenlaser-Projekts European XFEL mit einem Fahrrad am Beschleuniger (gelb) entlang. Das Projekt umfasst eine 3,4 Kilometer lange Tunnelanlage.
    Ein Mitarbeiter fährt am 18.02.2015 in Hamburg im Teilchenbeschleuniger-Tunnel des Röntgenlaser-Projekts European XFEL mit einem Fahrrad am Beschleuniger entlang. Das Projekt umfasst eine 3,4 Kilometer lange Tunnelanlage. (dpa / Daniel Bockwoldt)
    "Wenn du hier nicht aufpasst, läuft auf der ganzen Baustelle nichts. Hier kommt alles zusammen!"
    Gustav Kupkowski steht im Steuerstand einer gigantischen Maschine – ein riesiger mechanischer Maulwurf. Mit seinem messerscharfen Schneidrad wühlt er sich durch den Hamburger Untergrund.
    "Wenn wir vorn einen dicken Findling haben – dann muss ich reagieren. Langsamer fahren, sodass wir ihn wegknabbern können, den Findling."
    Das war 2011, inzwischen ist der Megabohrer längst fertig mit seiner Arbeit. Er hat ein System aus mehreren Betontunneln gegraben, insgesamt sechs Kilometer lang. Die Tunnel gehören zum European XFEL, dem größten Röntgenlaser der Welt. Er soll Materialproben mit ultrastarken Röntgenblitzen beschießen und ihnen dadurch neue Details über ihr Innenleben entlocken.
    Elektrischer Strom wird verlustfrei geleitet
    Erzeugt werden die Blitze durch einen knapp zwei Kilometer langen Elektronenbeschleuniger. Er besteht aus insgesamt 96 wuchtigen, gelben Metallröhren.
    "Braucht man deswegen, weil man diese Strukturen auf die Temperatur flüssigen Heliums abkühlt, damit sie supraleitend werden."
    Minus 271 Grad Celsius herrschen in der Röhre, nur dann kann sie funktionieren, sagt Reinhard Brinkmann, Beschleunigerchef am Forschungszentrum DESY in Hamburg. Die supraleitenden Module sind eine Spezialität der Anlage: Sie leiten elektrischen Strom verlustfrei. Dadurch kann man besonders effizient eine starke Radiowelle einspeisen. Und die kann Elektronen im Inneren der Röhre gehörig in Fahrt bringen.
    "Auf dieser Welle reiten gewissermaßen die Elektronen und werden dann peu à peu beim Durchfliegen dieser Beschleunigungsstrecken beschleunigt."
    Haben die Elektronen am Ende des Beschleunigers volle Fahrt erreicht, werden sie in eine Reihe von Spezialmagneten gelenkt. Undulatoren, so heißen die länglichen Klötze.
    "Die zwingen den Elektronenstrahl auf einen Slalomkurs. Auf diesem Slalomkurs fangen die Elektronen an, Röntgenlicht abzustrahlen", sagt Tobias Haas, Technischer Koordinator beim European XFEL.
    Experimente sollen Mitte 2017 starten – deutlich später als geplant
    "Wenn dieses Licht mit dem Licht des nächsten Undulators im Takt schwingt, findet eine Verstärkung statt. Hier stehen insgesamt 35 Stück hintereinander, eine Strecke von über 200 Metern. Damit erreiche ich den Verstärkungseffekt, den ich für einen Laser brauche."
    Die ultrastarken Röntgenlaserblitze enden in einer riesigen Halle, in der im Moment noch kräftig gebaut wird. Einige der Experimentierstationen sind aber schon fast fertig. Auf eine von ihnen geht Tobias Haas jetzt zu.
    "Direkt vor uns sehen Sie das Loch in der Wand. Da kommt dann der Röntgenstrahl raus. Direkt hinter Ihnen werden wir einen großen Roboterarm haben, mit dem man Proben in den Strahl halten kann. Da kann eine Probe gewechselt werden, ohne dass jemand hier reingehen muss."
    Nun wird der Beschleuniger schrittweise aktiviert. Die Experimente sollen dann Mitte 2017 starten – deutlich später als geplant. Denn die Verhandlungen zwischen den elf Partnerländern hatten sich hingezogen, hinzu kam manch technisches Problem. Und: Mit rund 1,2 Milliarden Euro, von denen Deutschland gut die Hälfte trägt, ist die Anlage etwa um ein Viertel teuer geworden als gedacht – was manche Forscher beklagen, ihnen zufolge fehlt das Geld nun für andere Projekte. Die Macher des Europäischen Röntgenlasers ficht das nicht an, denn:
    "Die Maschine ist ausgelegt für eine sehr große Bandbreite von wissenschaftlichen Anwendungen." Sagt Thomas Tschentscher, einer der wissenschaftlichen Direktoren.
    Chemische Reaktionen filmen
    "Ein System sind chemische Reaktionen: Man löst eine chemische Reaktion mit einem Lichtblitz aus, und untersucht sie dann mit dem FEL-Puls, wie sie wirklich abläuft: Wie bewegen sich die Atome innerhalb der Moleküle bei der chemischen Reaktion?"
    Die Hoffnung: Chemische Reaktionen sollen sich regelrecht filmen lassen. Astrophysiker hingegen dürften neue Details darüber erfahren, wie Materie im Inneren von Sternen aussehen könnte. Geoforscher wollen künstliche Schockwellen durch Materialproben jagen und dadurch die Verhältnisse in Riesenplaneten wie Jupiter simulieren. Und Biologen wollen Bilder von einzelnen Proteinen aufnehmen. Die Ergebnisse könnten das gezielte Design von Medikamenten beflügeln. Zwar gibt es in Japan und den USA bereits ähnliche Anlagen, sagt XFEL-Physiker Serguei Molodtsov. Doch der Europäische Röntgenlaser soll schlicht besser sein.
    "Diese Maschine ist wirklich einmalig. Hier in Hamburg werden wir die Möglichkeit haben, 30.000 Lichtblitze in einer Sekunde zu erzeugen. Das, was die Amerikaner können, ist 100. Und das ist eine große Differenz."
    Manche Experimente, sagt Molodtsov, werden deshalb allein in Hamburg möglich sein.