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Rösler: Solidarität muss zurückgezahlt werden durch Anstrengung

Ziel müsse es sein, Wachstum in Griechenland anzukurbeln und Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, sagt Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP). Eine Möglichkeit dazu sei, eine Förderbank einzurichten, die nicht abgerufene Strukturmittel in Form von Mittelstandskrediten ausgebe.

Philipp Rösler im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Der Fiskalpakt soll besiegelt, Wachstum befördert, der Arbeitsmarkt nach Hindernissen durchforstet werden – mehr haben sich die Staats- und Regierungschefs nicht vorgenommen, wenn sie sich am kommenden Montag zum Gipfel treffen. Aber das reicht ja auch. Mit dem Fiskalpakt verpflichten sich die Festlandseuropäer und die Iren, Zyprioten und Malteser – man könnte auch sagen, EU minus Großbritannien -, künftig verantwortungsvoll mit Geld umzugehen. Stichworte: Schuldenbremse, Klagerecht, automatische Sanktionen.
    Am Telefon ist Philipp Rösler, Bundeswirtschaftsminister und Vorsitzender der FDP. Guten Morgen.

    Philipp Rösler: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Rösler, wie möchten Sie der europäischen Wirtschaft auf die Sprünge helfen?

    Rösler: Ich glaube, das werden wir alle gemeinsam machen. Zum einen geht es jetzt in der Tat um die Umsetzung der Beschlüsse des Dezemberrates, also in der Tat stabile Haushaltspolitik in allen europäischen Staaten und gleichzeitig Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Das bedeutet Reformen auf dem Arbeitsmarkt, in Griechenland übrigens speziell die Verwaltung vor allem auch reformieren, Privatisierungsschritte, und für ganz Europa gilt das Grundprinzip, das wir auch in Deutschland haben: Ressourcensicherung, also von Fachkräfte bis Rohstoffe - hier ist Europa als Europäische Union auch sehr aktiv -, auch europäische Energiepolitik und das Erschließen neuer Märkte, das bedeutet im Ausland, also außereuropäisch, aber auch im Inland neue Branchen wie zum Beispiel die digitale Welt. All das trägt zu Wachstum mit bei, in Deutschland, in ganz Europa und eben nicht nur in der Eurozone.

    Heinemann: Wenn Sie auf den Arbeitsmarkt schauen, würden Sie dann gerne soziale Standards nach unten korrigieren?

    Rösler: Ich glaube, das muss jedes Land für sich selber entscheiden. Aber nehmen wir zum Beispiel mal die aktuelle Diskussion um Griechenland. Ich meine mich zu erinnern, dass im Tourismus die Gehälter noch indexiert sind, also zum Beispiel an die Inflation angepasst.

    Heinemann: Schön für die Bezieher!

    Rösler: Na ja, wenn es dann so wäre. Theoretisch ist das so, aber hier zeigt sich eben, dass die Wirklichkeit eine andere Sprache spricht. Tatsache ist, dass die Gehälter so hoch wären, dass am Ende die Leute schwarz arbeiten, weil sie sonst gar keine Anstellung bekommen würden. Und der Tourismus ist ja doch in erheblichen Schwierigkeiten, wie wir alle wissen. Viele Touristen reisen längst nicht mehr nach Griechenland, wie das noch vor ein paar Jahren der Fall gewesen ist. Also hier wäre ein ganz konkreter Bereich, wo man etwas für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in Griechenland tun könnte.

    Heinemann: Angela Merkel hat einen Wachstumsfonds vorgeschlagen, und der sollte mit noch nicht genutztem Geld aus Töpfen der Europäischen Union gefüllt werden. Nein, nein, sagt da der für Regionalpolitik zuständige EU-Kommissar. Er käme bei unausgenutzten Mitteln für die Jahre 2010 und 2011 gerade mal auf 30 Millionen Euro. War das eine Luftblase da aus dem Kanzleramt?

    Rösler: Ausdrücklich nicht. Ich halte es für richtig, dass man die nicht abgerufenen Strukturmittel, und zwar die tatsächlich nicht abgerufenen, gerade auch für Griechenland nutzt, um zum Beispiel eine Förderbank einzurichten, damit diese dann Mittelstandskredite ausgeben kann. Nichts anderes durfte Deutschland erleben nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem sogenannten Marshall-Plan. Die Vereinigten Staaten haben uns Gelder zur Verfügung gestellt. Das wurde nicht einmalig ausgegeben, sondern damit wurde unsere heute sehr bekannte, sehr erfolgreiche Förderbank KfW gegründet. Die hat Kredite an Mittelständler ausgegeben, und so ist ja auch das Wirtschaftswachstum in Deutschland erst losgegangen nach dem Zweiten Weltkrieg. Dieses Grundmodell, das kann man doch auf Griechenland übertragen. Die griechische Regierung hat ein großes Interesse daran, und ich bin sicher, man wird auch mit der Europäischen Union einig, wenn es dann darum geht, eine solche Förderbank mit europäischen Geldern auszustatten, denn das sind übrigens ja auch Gelder, die nicht nur von den Eurozonen-Staaten bezahlt werden, sondern von allen europäischen Mitgliedsstaaten, also ein Zeichen sehr starker Solidarität.

    Heinemann: Wo soll das Geld herkommen?

    Rösler: Das sind die nicht abgerufenen Strukturfonds-Mittel. Ich weiß, es gibt immer wieder Streit darum.

    Heinemann: 30 Millionen Euro?

    Rösler: Das sind die, wenn sie alles belegt haben. Aber es geht nicht nur darum, was sie formal belegt haben, sondern was tatsächlich realistischerweise auch zur Auszahlung dann selber kommen kann. Da gibt es unterschiedliche Modellrechnungen. Entscheidend ist, dass man sich dazu entschließt zu sagen, ja, wir wollen eine solche Mittelstandsförderung, denn gerade an den Strukturen hapert es ja in Griechenland. Und wenn sie einen Mittelstand aufbauen können, dann ist das der beste Weg, um die Wirtschaft zu stärken. Bestes Beispiel ist ja hier Deutschland mit einer sehr starken mittelständischen Struktur, wohl wissend, dass man natürlich unsere Strukturen nicht eins zu eins auf Griechenland übertragen kann. Aber das Ziel muss, glaube ich, sein, hier Wirtschaft anzukurbeln im Sinne von Wachstum und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit.

    Heinemann: Herr Rösler, das erste Hilfsprogramm reicht nicht für Griechenland. Das hat EU-Kommissar Rehn jetzt gesagt. Jean-Claude Juncker, der Chef der Euro-Gruppe, luxemburgischer Regierungschef, sagt jetzt, die Euro-Staaten sollten auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Eine gute Idee?

    Rösler: Erst einmal sollte man sich darauf konzentrieren, das, was man beim letzten Mal beschlossen hat, umzusetzen. Dann muss man sehen, ob es wirkt - all das, was man gemeinsam beschlossen hat. Dann muss man auch ganz konkret – und das wird ja die Troika tun – vor Ort entscheiden, was ist noch weiter notwendig. Und wenn man dann feststellt, das was man sich vorgenommen hat, das was man vereinbart hat, das was man umgesetzt hat, das reicht nicht, dann ist der richtige Zeitpunkt, darüber zu diskutieren. Aber so weit sind wir momentan noch nicht.

    Heinemann: Benötigt Griechenland einen Staatskommissar?

    Rösler: Es gibt so etwas im Verhältnis zwischen den Bundesländern und ihren Kommunen. Wenn eine Kommune in Schwierigkeiten ist, dann kann meistens der Innenminister einen Staatskommissar in die Kommune schicken. Der bleibt so lange dort, bis die Kommune wieder auf den Pfad der Stabilität zurückgekommen ist. Allerdings sind Kommunen ja keine eigene Körperschaft, so wie im Sinne von Nationalstaaten. Insofern muss man die Souveränität natürlich auch achten. Aber ich kann übrigens verstehen, dass sich viele aus dem Ausland noch stärker wünschen würden, dass die Programme, die man gemeinsam vereinbart hat, die man eigentlich nur umsetzen müsste, dann auch tatsächlich umgesetzt werden, um eben – ich sage es noch mal – Wachstum in Griechenland möglich zu machen.

    Heinemann: Sie haben jetzt erklärt, was ein Staatskommissar ist. Braucht Griechenland einen Staatskommissar?

    Rösler: Sie brauchen vor allem jetzt, dass die gemeinsam vereinbarten Reformen im Arbeitsmarkt, vor allem bei der Verwaltung ...

    Heinemann: Herr Rösler, Entschuldigung! Die Frage war: Braucht Griechenland einen Staatskommissar?

    Rösler: ... umgesetzt werden, und deswegen halte ich es für richtig, dass die griechische Regierung das, was sie vereinbart hat, auch einhält.

    Heinemann: Mit einem Staatskommissar?

    Rösler: Wenn die griechische Regierung es einhält, dann wird sich diese Frage gar nicht stellen.

    Heinemann: Auf jeden Fall mehr Geld ist offenbar schon mal angedacht. – 500 Milliarden Euro sind ...

    Rösler: Das können Sie meinen Aussagen nicht entnehmen. Nur, dass wir das noch mal festgehalten haben.

    Heinemann: Noch mal bitte!

    Rösler: Das können Sie meinen Aussagen nicht entnehmen, dass mehr Geld angedacht ist. Nur, dass wir das noch mal festhalten.

    Heinemann: Nein, nein, ich wollte es gerade erklären. 500 Milliarden sind geplant für den ESM, den Stabilitätsmechanismus, der jetzt ab Sommer funktionieren soll. Mario Monti, der italienische Regierungschef, hat schon einmal laut über eine Verdoppelung nachgedacht. Werden Sie einer Aufstockung zustimmen?

    Rösler: Es gibt überhaupt keine Notwendigkeit, jetzt darüber nachzudenken. Die Mittel, ...

    Heinemann: In Italien offenbar doch!

    Rösler: Ja, aber hier in Deutschland – Sie fragen mich ja als deutschen Wirtschaftsminister -, hier sehen wir keine Notwendigkeit, darüber zu diskutieren, denn bisher sind die Mittel vollkommen ausreichend, und ich glaube, dass diese ständigen Forderungen nach Geld eher nur die Verunsicherung vergrößern, und das können wir momentan überhaupt nicht gebrauchen.

    Heinemann: Der SPD-Politiker Thomas Oppermann bietet eine Wette an: In den kommenden drei Monaten wird der Rahmen für den ESM erhöht. Schlagen Sie fernmündlich ein?

    Rösler: Ich glaube, das Thema ist zu ernst und zu wichtig für nicht nur die Eurozone, nicht nur für Europa, sondern für die gesamte Weltwirtschaft, als dass man darum leichtfertig Wetten irgendwie abschließen sollte, oder auch nur in die Diskussion werfen muss.

    Heinemann: Was heißt das denn, wenn Frau Merkel immer wieder betont, Deutschland sei zur Solidarität bereit? Bisher war das eine Andeutung, "wenn es eng wird, zahlen wir".

    Rösler: Deutschland hat bisher sehr viel geleistet für die Stärkung der Eurozone, weil für uns in der Bundesregierung eines gemeinsam gilt: Wir sagen, Europa hat seinen Preis, aber darüber hinaus auch seinen Wert. Das heißt aber nicht, dass man beliebig bereit ist, Gelder zu zahlen, sondern wir müssen darauf achtgeben, dass die Solidarität immer auch zurückgezahlt wird in Anstrengung, das, was man gemeinsam vereinbart hat, auch gemeinsam schnellstmöglich umzusetzen.

    Heinemann: Herr Rösler, der britische Premierminister hat eine Besteuerung von Finanztransaktionen als "Wahnsinn" bezeichnet. Genau das wünscht die Bundeskanzlerin. Sind Sie näher bei Frau Merkel oder an Herrn Cameron?

    Rösler: Das wünscht sich nicht nur die Bundeskanzlerin, sondern die gesamte Europäische Kommission, denn die hat einen Vorschlag vorgelegt, der ausdrücklich von der Bundesregierung unterstützt wird, eben eine solche Steuer europaweit einzuführen.

    Heinemann: Ist das Wahnsinn, oder ist es das nicht?

    Rösler: Also es ist ein guter Vorschlag der Europäischen Kommission, und weil der so gut ist, hat er auch die volle Unterstützung der Bundesregierung, und das diskutieren wir ja gerade gemeinsam mit dem britischen Kollegen.

    Heinemann: Unterstützung auch der FDP? Sie sind dafür, für eine Finanzmarkttransaktionssteuer?

    Rösler: ... in ganz Europa. Sie kennen die Diskussion. Das heißt also, bei allen 27 EU-Staaten.

    Heinemann: Und bei 26?

    Rösler: Wir sind ja gerade dabei, Modelle zu Alternativen zu machen, wo die Briten eigentlich gar nicht nein sagen können, denn die Grundlage sind britische Systeme und wie merkwürdig wäre es, wenn Briten gegen ihr eigenes, gerade eingeführtes bestehendes System dann selber opponieren würden. Das kann ich mir nicht vorstellen.

    Heinemann: Philipp Rösler, Bundeswirtschaftsminister und FDP-Vorsitzender. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Rösler: Herr Heinemann, vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.