Archiv

Rohingya
Bitterarm und staatenlos

In Myanmar werden sie drangsaliert, die Fluchtwege über das Meer sind versperrt, sie besitzen keine Staatsbürgerschaft: die Rohingya. Eine Million von ihnen leben in Myanmar, und seit es vor drei Jahren zu Übergriffen durch Buddhisten kam, müssen sie unter menschenunwürdigen Umständen in Flüchtlingslagern ausharren.

Von Udo Schmidt, Singapur |
    Junge Rohingya auf der Flucht - hier in einem Lager in Aceh/Indonesien im Juni 2015
    Junge Rohingya auf der Flucht - hier in einem Lager in Aceh/Indonesien im Juni 2015 (picture-alliance / dpa / Hotli Simanjuntak)
    15.000 Bootsflüchtlinge könnten es nach Expertenschätzung im Mai und Juni draußen auf der Andamanensee gewesen sein – Flüchtlinge vor allem aus Myanmar, manche auch aus Bangladesh, die von teuer bezahlten Schleppern mit Booten Richtung Malaysia und Indonesien gebracht und irgendwann auf See allein gelassen wurden. Was aus ihnen geworden ist – bei vielen wird das wohl immer unklar bleiben. Der 22-jährige Abdhu Lami gehört zu denen, die die Flucht zumindest überlebt haben. "Es gab kaum etwas zu essen auf dem Schiff. Wenn ich nach mehr Reis oder Wasser gefragt haben, bin ich geschlagen worden."
    Mehrere tausend Bootsflüchtlinge waren im Juni von Malaysia und Indonesien an Land gelassen worden, nach einer Flüchtlingskonferenz in Bangkok, die immerhin zu einem Teilergebnis kam. Der Gastgeber, Thailands Außenminister Thanasak Patimaprakorn: "Als erstens müssen wir uns um die humanitäre Situation der Flüchtlinge kümmern, dann müssen wir den Menschenschmuggel beenden, drittens geht es darum, die Wurzeln der Flucht zu benennen."
    Das Ziel ist die Staatsbürgerschaft
    Schnell war aber auch klar, diese Wurzeln der Flucht sind vielleicht zu benennen, aber damit nicht beseitigt. Volker Türk vom UN-Flüchtlingshilfswerk: "Es kann keine Lösung geben, wenn man nicht die Ursachen anspricht. Myanmar muss die volle Verantwortung für die Menschen in seinem Land übernehmen. Die Verleihung einer Staatsbürgerschaft an die Rohingyas muss das Ziel sein. Alle Einschränkungen für die muslimischen Rohingyas müssen aufgehoben werden."
    Myanmar, derart angesprochen, sah sich angegriffen. Der Delegationsleiter Myanmars, Htin Lynn, Ende Mai in Bangkok: "Wenn ich mir die Aussagen des Flüchtlingshilfswerkes anschaue, dann sollte sich deren Vertreter wohl besser informieren. Illegale Migration, die Bootsflüchtlinge, dafür kann man doch nicht Myanmar allein verantwortlich machen."
    Rund eine Million muslimische Rohingyas leben in Myanmar, in der westlichen Rakhine Provinz nahe der Grenze zu Bangladesh. Ihnen wird die Staatsbürgerschaft verweigert, sie sind weitgehend rechtlos, nach Übergriffen radikaler Buddhisten vor drei Jahren leben 150.000 in Notunterkünften. Ein Besuch in einem der Flüchtlingslager zeigt, dass die Lage katastrophal ist.
    "Es ist sehr schwer, hier zu leben"
    In dem Lager außerhalb der Provinzhauptstadt Sittwe leben Muslime, die 2012 aus der Stadt vertrieben wurden, ihre Häuser sind niedergebrannt, seitdem hausen sie geradezu sie in einfachsten Hütten, seit drei Jahren schon. Ma Ten Shwe sitzt vor einer dieser Hütten und schützt ihr Kind mit den Händen vor der Sonne: "Es ist viel schlechter als früher in Sittwe, es ist sehr schwer, hier zu leben. Aber zumindest ist niemand aus unserer Familie tot."
    Osman Kan hat bei den Unruhen vor drei Jahren seine Familie verloren, seine Frau und sein Sohn kamen ums Leben. Osman Kann besitzt die Staatsbürgerschaft Myanmars, seit mehr als drei Jahrzehnten, er ist einer der wenigen Muslime in der Rakhine Provinz mit Ausweis. Trotzdem will er weg. "Wir können hier nicht mehr raus aus unserem Dorf, es wird jeden Tag schlimmer. Bisher hat eine Gelegenheit zur Flucht gefehlt. Wir leben schon so lange hier, es ist nicht einfach zu gehen."
    "Dann sind wir bald alle Muslime"
    Viele sind trotzdem gegangen, den weiten Weg über das Meer, für umgerechnet 1.500 Dollar, für die bitterarmen Rohingyas eine nahezu unvorstellbar hohe Summe. Viele haben die Flucht nicht überlebt, andere wurden von Myanmars Küstenwache aufgegriffen und nach Bangladesh abgeschoben, schließlich gibt es das Rohingya Problem in Myanmar nach Ansicht der Regierung nicht. Was es aber ganz sicher gibt, ist die radikale Ablehnung der muslimischen Minderheit in Myanmar, mit einer Radikalität, die man von den eigentlich doch so friedfertigen Buddhisten nicht erwartet. Min Min organsiert in Ragun, der Metropole des Landes, regelmäßig Proteste: "Die Bengalis sind alle illegal eingewandert, sie leben jetzt bei uns in Lagern und bekommen immer mehr Kinder. Wenn wir das geschehen lassen, dann sind wir bald alle Muslime."
    Die muslimischen Rohingyas, die in Myanmar nur Bengalis genannt werden, womit ausgedrückt wird, dass sie schleunigst nach Bangladesh zurückkehren sollen, die Rohingyas warten weiter auf die nächste Möglichkeit zur Flucht. Der Seeweg ist derzeit versperrt, die Menschenschmuggler sind eingeschüchtert, seitdem Thailand den sich anschließenden Landweg von der Küste über die Grenze nach Malaysia geschlossen und viele Mitwisser bei der Polizei etwa verhaftet hat – aber es wird neue Flüchtlingsströme geben, neue Boatpeople, irgendwann, solange sich in Myanmar am Grundproblem nichts ändert. Und die mehreren tausend Flüchtlinge, die erst einmal in Malaysia und Indonesien ein Dach über dem Kopf gefunden haben, genießen nur Schutz auf Zeit. Nach Ablauf eines Jahres sollen sie in Drittstaaten umverteilt werden – wer sie dann aufnimmt, ist derzeit noch vollkommen unklar.