Jasper Barenberg: Benachteiligt wird die Minderheit der Rohingya im Grunde schon immer in Myanmar, das früher Birma hieß. Aber seit August spätestens gibt es immer wieder Berichte über offene Gewalt gegen die etwa eine Million Muslime, die im Nordwesten des buddhistischen Landes leben und von denen nach Angaben der Vereinten Nationen inzwischen schon 300.000 über die Grenze nach Bangladesch geflohen sind. Von ethnischen Säuberungen der Sicherheitskräfte spricht etwa der UN-Menschenrechtskommissar. Viel Kritik richtet sich aber auch an Aung San Suu Kyi, die de facto Regierungschefin des Landes, weil die Friedensnobelpreisträgerin schweigt oder das Vorgehen der Armee gar verteidigt.
Mitgehört hat Barbara Lochbihler, die außen- und menschen(rechts)politische Sprecherin der Grünen im Europäischen Parlament. Schon als Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland hat sie sich mit der Situation der Rohingya beschäftigt. Schönen guten Tag, Frau Lochbihler.
Barbara Lochbihler: Guten Tag.
Barenberg: Frau Lochbihler, der UN-Menschenrechtskommissar der Vereinten Nationen spricht jetzt von ethnischer Säuberung durch die Sicherheitskräfte. Ist das ein berechtigter Vorwurf?
Lochbihler: Er beschreibt natürlich die Grausamkeiten. Ob er das wirklich nachweisen kann, dafür braucht es eine unabhängige Untersuchung. Ich würde mich jetzt nicht an diesem Titel festhalten, aber es ist ganz deutlich – und das sagt er ja auch -, es gab Anschläge, die gingen von einer militanten Gruppe aus, aus der Gruppe der Rohingya, man weiß nicht, ob vom Ausland oder von dort. Das Militär aber reagiert absolut überzogen. Sie haben das jetzt im Beispiel gebracht: sie brandschatzen, sie vertreiben, sie töten. Die Regierung und auch das Militär und die Polizei lassen es nicht zu, dass man unabhängig darüber berichten kann. Das kann ich also nicht ausschließen, dass es hier auch eine ethnische Säuberung ist.
"Man geht auch auf Zivilisten los"
Barenberg: Weil es ja gerade so schwierig ist, Sie haben das angedeutet, im Bericht wurde es auch erwähnt, dass es sehr schwierig ist, überhaupt gesicherte Informationen zu bekommen, weil die Regierung verhindert, dass unabhängige Journalisten beispielsweise sich ein Bild dort machen können. Ist aber der Vorwurf berechtigt, dass es systematische und wahllose Gewalt gegen diese Menschen gibt von Seiten der Behörden, der Sicherheitskräfte?
Lochbihler: Von dem, was ich gehört habe, ja. Wenn man auch weiter zurückgeht, muss man sagen, es hat nie richtige ernsthafte Ansätze gegeben, das politisch zu lösen, dass hier die Leute aus dieser extremen Armut kommen, oder dass man auch frühere Übergriffe, Morde und diesen Hass, der auch geschürt wird, dass man dem entgegnet von Seiten der Regierung und von Seiten des Militärs. Deshalb ist es wahllos, man geht auch auf Zivilisten los, und ich glaube, viele im Militär haben gar nichts dagegen, dass Hunderttausende das Land verlassen, weil sie davon ausgehen, sie gehören nicht in dieses Land.
"Die Rohingya selber haben keine politische Vertretung"
Barenberg: Erklären Sie uns das ein bisschen, warum dieser Status dieser Minderheit so umstritten ist beziehungsweise warum die Regierung, früher waren es die Machthaber in Myanmar, diesen Menschen einen geregelten Status im Land überhaupt seit jeher verweigern?
Lochbihler: Sie werden generell sehr angeschaut, als ob sie sehr minderwertige Personen sind. Sie lesen das jetzt auch in diesen Berichten, dass gesagt wird, wir vergewaltigen die Frauen nicht, die sind ja schmutzig, niemand macht so was. Die Rohingya selber haben keine politische Vertretung. Sie sind auch untereinander oft nicht sehr einig und agieren koordiniert und sie haben keine Landtitel. Sie sind ja schon sehr früh aus Bangladesch gekommen. Manchmal sind sie nur saisonal gekommen. Aber viele sind die ganze Zeit dort, können das aber nicht nachweisen. Deshalb können sie nach dem Staatsbürgerrecht dort gar nicht sagen, sie sind so lange im Land und haben deshalb ein Recht darauf. Deshalb ist der Kern eigentlich die politische Lösung langfristig die: Man muss wirklich tiefliegend anschauen, warum kann man die Menschen so ausgrenzen und diskriminieren? Weil sie keine Rechte haben. Sie haben keine Staatsangehörigkeit und die muss man ihnen geben. Oder, was jetzt der UN-Generalsekretär Guterres auch noch mal gesagt hat, nicht nur mit dem Töten aufhören, sondern man muss ihnen mindestens einen legalen Status geben. Und wenn die Regierung das nicht tut, dann kommt es immer wieder zu solchen Ausschreitungen. Zum Beispiel diese rassistischen buddhistischen Gruppen, die es dort gibt, die sagen natürlich, das ist, weil sie Muslime sind, aber ich glaube, das ist ein ganzes Sammelsurium von Gründen.
"Das Problem liegt überproportional beim Militär und bei der Regierung"
Barenberg: Nun hören wir auch viel von dieser bewaffneten Gruppe der Rohingya, der Arakan Rohingya Salvation Army. Was wissen Sie über die Militanz dieser Gruppe?
Lochbihler: Ich habe nur einzelne unscharfe Bilder gesehen und da vermutet man, dass das durchaus auch Rohingya sind, die eine Zeit lang im Ausland gelebt haben und jetzt zurückkommen. Bei den Rohingya untereinander ist die Einschätzung, dass es sehr schwierig ist, gleichzeitig verschiedene Polizeistützpunkte zu überrennen. Da müssten sie schon geordnet sein und einen Plan haben, auch militärisches Wissen haben, und das haben doch viele oder die meisten der Leute, die in Myanmar sind, nicht. Das ist eine Sache und der muss man auch nachgehen. Aber das Militär behauptet jetzt, ich habe auch mit dem Botschafter geredet, dass von denen eine Gefahr ausgeht in Rakhine State, wo die Rohingya meistens siedeln, aber auch in anderen Plätzen des Staates, weil es eine terroristische Gefahr ist wie der Islamische Staat oder so. Das ist aber nicht so und da nehmen die das jetzt als Vorwand, um zum Beispiel jetzt die humanitäre Hilfe in diesen ganzen Konfliktgebieten auf der anderen Seite von Myanmar mit den Shan und den Kachin auf null zu fahren, und es kommt jetzt der Winter. Das Problem liegt jetzt wirklich überproportional beim Militär und bei der Regierung, die eigentlich sich hinter diesem Anschlag versteckt und das eigentliche Problem nicht benennt.
"Aung San Suu Kyi hat das unterschätzt"
Barenberg: Sie sehen derzeit die Verantwortung klar bei Regierung und Militär. Warum schweigt zu all dem – das ist jedenfalls der Vorwurf – die Friedensnobelpreisträgerin? Warum schweigt Aung San Suu Kyi?
Lochbihler: Ich habe jetzt seit 2012 viermal das Land bereist als Europaabgeordnete und hatte jedes Mal die Gelegenheit, auch mit Aung San Suu Kyi zu reden, jetzt das letzte Mal im Mai, mit der Staatsrätin, und sie hat das Problem zum einen, dass sie sich gut stellen muss mit den Militärs, weil die immer noch ziemlich viel Einfluss haben und auch einen großen Anteil an den Sitzen im Parlament. Aber sie als Regierungschefin weiß genau, dass die Mehrheit der Buddhisten sie nicht dafür wählen oder dafür loben würden, wenn sie sich für die Rohingya einsetzt. Wir haben auch das angesprochen, weil bevor wir mit Aung San Suu Kyi geredet haben, haben wir auch mit Vertretern der Anan-Kommission geredet, die immer darauf verwiesen haben, wenn man das umsetzt, was sie vorschlagen, dann würde alles gut werden. Nur die geben keine Zeit vor und sie benennen nicht, wer verantwortlich war und ist dafür. Also muss man das doch eigens benennen. Dann habe ich die Aung San Suu Kyi gefragt, verweisen Sie dann diese Fälle an die Justiz, und da musste sie selber sagen, unser Justizwesen liegt so im Argen, dass wir das eigentlich erst richtig reformieren müssen.
Ich glaube, sie hat das absolut unterschätzt, dass alle anderen Reformschritte, die ja Myanmar macht, auch mit Medienfreiheit und so weiter, dass das alles in den Hintergrund tritt, wenn man die Situation der Rohingya nicht benennt und nicht grundlegend angeht. Das hat sie unterschätzt und sie hört auch nicht gut zu, wenn solche Kritik und solche Aufforderungen, das zu tun, vom Ausland kommt.
Barenberg: Muss man sagen, die Prioritäten der Friedensnobelpreisträgerin haben sich verschoben? Die neue Aung San Suu Kyi ist nicht mehr die alte?
Lochbihler: Die neue Aung San Suu Kyi ist eine Regierungschefin, die weiß oder die den Weg für sich jetzt genommen hat, dass sie eigentlich, solange sie das nicht ändern kann, mit der Führung des Militärs irgendwie gemeinsam das Vorgehen plant, und da macht sie einen Fehler.
Barenberg: Würden Sie so weit gehen zu sagen, die Friedensnobelpreisträgerin ist vielleicht keine Friedensnobelpreisträgerin mehr?
Lochbihler: Wissen Sie, ich denke, Sie hat ja auch vom Europäischen Parlament den Sacharow-Preis bekommen. Ich glaube, ihre Lebensleistung, was sie gemacht hat, mit Mut und auch Führungskapazität für die Mehrheit der Myanmar-Bevölkerung, das bleibt in sich bestehen. Dass sie jetzt als Politikerin hier das unterschätzt und falsch reagiert, das muss man kritisieren. Aber das jetzt nur auf ihre Person und welche Preise sie bekommen hat zu reduzieren, das ist mir zu wenig an Forderung. Ich denke, wir haben ja jetzt im Parlament auch eine Resolution diese Woche. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass sie als Regierungschefin und auch das Militär deutlich wieder verurteilt und gerügt wird von der UN. Bei der letzten Generalversammlung gab es zum Beispiel keine Resolution zu Myanmar, weil man gedacht hat, es verbessert sich langsam. Das muss deutlich kommen und es müssen wirklich die tiefgreifenden Probleme der Rohingya gelöst werden. Das muss eigentlich die Zielrichtung sein, und auch von der EU, die viel Geld und viele Ratschläge auch gibt für den gesamten Reformprozess, muss das noch deutlicher werden, dass die Regierung versteht, dass man bei uns jetzt nicht sagen kann, sie hat ja den Friedensnobelpreis und darum ist sie quasi nicht angreifbar, sondern es muss konditioniert werden vielleicht auch die Hilfe.
Barenberg: … sagt Barbara Lochbihler von den Grünen, die Europaparlamentarierin. Vielen Dank für das Gespräch heute Mittag.
Lochbihler: Ich danke Ihnen.
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