Hütte reiht sich an Hütte, die Luftfeuchtigkeit ist hoch, 35 Grad. Von einer Anhöhe sieht das Flüchtlingscamp im Süden von Bangladesch im Distrikt Cox’s Bazar aus wie eine riesige Stadt aus Bambus und Plastik – das Material, aus dem die meisten der Unterkünfte gebaut sind.
Asphaltierte Straßen gibt es kaum. Die meisten Wege bestehen aus feinem Sand, der beim kleinsten Windstoß hochfliegt. Früher stand hier ein Wald. Die Regierung von Bangladesch hat ihn abgeholzt, als 2017 schnell neue Unterkünfte gebraucht wurden, um etwa 700.000 weitere Geflüchtete aufzunehmen.
Hin und wieder führt eine Brücke aus Bambusstäben über ein übel riechendes Rinnsal, ansonsten ist es recht sauber, kaum Müll liegt herum, Kühe stehen am Wegesrand.
Bangladesch will verhindern, dass die Rohingya bleiben
Besucher und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen werden immer wieder von Kindern umringt, die vor allem zeigen wollen, was sie im Englischunterricht gelernt haben.
Die Kinder sind noch jung, vier oder fünf Jahre vielleicht. Im Camp sind Schätzungen zufolge rund die Hälfte der Menschen minderjährig. Hilfsorganisationen gehen davon aus, dass allein im vergangenen Jahr rund 48.000 Babys hier geboren worden sind. Ihre Perspektive: ein Leben im Camp als Geduldete – denn kaum jemand, mit dem man hier spricht, geht davon aus, dass die Rohingya bald wieder in das angrenzende Myanmar zurück können. Der 30-jährigen Monira bereitet das Sorgen – ihre Tochter ist vier Jahre alt.
Das Haus, in dem sie wohnen, sei sehr eng, für die Kinder gebe es kaum Platz zum Spielen und die Hitze mache ihnen auch zu schaffen, sagt Monira in der Sprache der Rohingya. Die junge Muslima trägt ein schwarzes, langärmliges, bodenlanges Kleid, im unteren Teil sind bunte Streifen eingenäht, Haare und Gesicht sind bis auf einen Schlitz für die Augen schwarz verhüllt.
Sie wohnt hier mit Verwandten zu sechst in zwei Hütten. Einfach sei das nicht, sagt sie, weil die Plastik-Bambus-Hütten, auch die der Nachbarn, sehr nah beieinander stünden.
Plastik und Bambus - die Regierung von Bangladesch hatte lange nur diese beiden Baumaterialien erlaubt, mittlerweile ist auch Wellblech zugelassen. Die Rohingya sind hier zwar geduldet, aber Bangladesch, eines der ärmsten Länder der Welt, möchte verhindern, dass die Menschen hier sesshaft werden. Deshalb sollte alles provisorisch bleiben – so, als gebe es eine Perspektive für eine baldige Rückkehr. Auch bei der Bildung der Kinder spiegelt sich diese Einstellung wider.
Proteste im Camp selten
So dürfen die Rohingya-Kinder kein Bengali, die Landessprache in Bangladesch lernen, sondern nur Englisch und Burmesisch. Außerhalb des Lagers, das sie nur mit einer Erlaubnis verlassen dürfen, sollen sich die Flüchtlinge erst gar nicht niederlassen, wenn es nach der Regierung von Bangladesch geht.
Monira sagt, sie wolle auch zurück, aber eben erst, wenn sie auch in Myanmar sicher leben könne, die Rohingya anerkannt werden und sie die Staatsbürgerschaft, die Myanmar den Rohingya seit den 80ern verweigert, bekomme.
Selten protestieren die Rohingya im Camp laut gegen ihre Situation, hoffen vielmehr still – vielleicht, weil viele schon über Jahre Verfolgung und Bedrohung erdulden mussten. Auch Monira hat ihre Geschichte.
Ihr Mann sei 2017, so erzählt sie es dem Übersetzer, in einem Nachbardorf, vier Stunden entfernt von ihrem Heimatort, in der Region Rakhaing vom Militär erschossen worden. Danach sei sie mit ihrer Tochter, Verwandten und Nachbarn nach Bangladesch geflohen.
Vier Tage und Nächte sei sie unterwegs gewesen, erzählt Monira. Die Tochter habe sie getragen.
Alle haben hier unterschiedliche Fluchtgeschichten zu erzählen, haben zum Teil Freunde, Verwandte, Bekannte, die ermordet, gefoltert, vergewaltigt worden sind.
In Bangladesch habe sie sich willkommen gefühlt, sagt Monira. Sie habe gleich Hilfe bekommen, zunächst von der lokalen Bevölkerung.
Immer wieder sind Schilder im Camp zu sehen, die auf Räume hinweisen, in denen Frauen, Kinder oder ältere Menschen sich sicher fühlen können, sogenannte Safe-Spaces. Ein Angebot der vielen nationalen und internationalen Hilfsorganisationen vor Ort. Noch gibt es genug Hilfsbereitschaft. Die Präsidentin des Roten Kreuzes, die frühere CSU-Politikerin Gerda Hasselfeldt, äußert jedoch bei ihrem Besuch im Camp die Befürchtung, dass die Lage der Rohingya aus dem Fokus geraten könnte.
"Diese Menschen sind jetzt hier seit knapp zwei Jahren, manche sogar schon seit noch längerer Zeit, aber die große Masse hier in diesem Lager ist etwa seit zwei Jahren hier und da laufen wir Gefahr, dass die Hilfe, die nach wie vor notwendig ist, in Vergessenheit gerät."
Kontinuierliche Hilfe sei wichtig, sagt Hasselfeldt.
Es gibt so gut wie alles im Camp zu kaufen
Im Camp versuchen sich die Menschen aber auch oft selbst zu helfen. Auf den Dächern der Hütten bauen sie Gemüse an oder verkaufen einen Teil der Hilfsgüter. Das Geld investieren sie in das, was sie dringender brauchen, erzählt die Geflüchtete Monira.
So sieht man am Rand der Staubpisten kleine Läden, eigentlich mehr offene Unterstände aus Bambus. Es gibt hier so gut wie alles zu kaufen: Gemüse, Obst, lebende Hühner, Kinderspielzeug oder auch Fertigsuppe. Auch Einheimische haben hier ihre Stände und sehen in ihren neuen Nachbarn ebenfalls Kunden.
Das trägt dazu bei, dass das Zusammenleben der rund 250.000 Einheimischen in der Region mit rund einer Million Geflüchteten halbwegs funktioniert. Manche engagieren sich auch bei der Versorgung der Flüchtlinge, zum Beispiel gibt es gemeinsame Erste-Hilfe-Kurse.
Junge Männer und Frauen simulieren den Moment nach einem Erdbeben. Einige spielen Verletzte, mit künstlichen Wunden an Kopf oder Beinen, andere die Helfer. In Bangladesch ist fast jede Naturkatastrophe möglich: Überschwemmungen, Erdbeben und Stürme können viel verwüsten. Die Monsun- und Zyklonzeit steht auch jetzt kurz bevor. Im vergangenen Jahr sei diese relativ mild abgelaufen, sagt Helfer Christopher Bachtrog.
"Aber wir gehen davon aus, dass es dieses Jahr nicht so glimpflich wird. Und da laufen dann natürlich die Vorbereitungen schon auf Hochtouren, dass man Materialien einkauft für Reparaturen, für Notlatrinen, für Wasserdesinfektionsmittel."
Sagt der Österreicher, der für das Deutsche Rote Kreuz arbeitet und unter anderem für die Wasserversorgung zuständig ist. Auch der 25-jährige Hadayet hat Angst, dass seine Hütte ein weiteres Mal zerstört wird.
Seine Unterkunft habe beim letzten Monsun schon Schäden davongetragen. Das befürchtet Hadayet auch in diesem Jahr. Im Camp arbeitet er, wie schon in Myanmar, als Imam. Seine Religion auszuüben wurde aber in seiner Heimat ab 2012 stark eingeschränkt, erzählt er. Er hatte Hoffnung in Myanmars de-facto Regierungschefin Aung San Suu Kyi gesetzt, sei aber enttäuscht worden.
In Myanmar seien Hadayet und die Bewohner seines Dorfes immer wieder bedroht und schikaniert worden. Als sie dann gehört hätten, dass Militär sei auf dem Vormarsch, sei er mit Frau, Kindern, Eltern und der Familie seines Bruders geflüchtet. Wie viele hat auch er vor allem einen Wunsch: zurückzukehren in sein Heimatdorf. Aber optimistisch gibt er sich nicht. Die Jahreszeiten gingen ins Land und am Ende werde er hier sterben, sagt der Imam.