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Rohingya in Myanmar
Ohne Perspektive, ohne Hoffnung

Die meisten Rohingya, die in Myanmar geblieben sind, leben in abgeschotteten Lagern im armen Rakhine-Staat. Es gibt wenig Platz, die medizinische Versorgung ist schlecht, die Lager dürfen nicht verlassen werden. Die UN-Kommission übte zuletzt scharfe Kritik an Myanmars Regierung - aber die wiegelt ab.

Von Lena Bodewein |
    Rohingya in einem Flüchtlingslager in Bangladesch.
    Viele Rohingya sind nach Bangladesch geflohen (Ed JONES / AFP)
    Sittwe ist eine traurige Stadt. Im Westen von Myanmar nahe Bangladesh liegt der bitterarme Rakhine-Staat mit Sittwe als Hauptstadt. Der Name bedeutet: wo der Krieg eintrifft - und die Atmosphäre hier ist angespannt: 2012 haben hier ganze Stadtviertel gebrannt, als die Gewalt im Dauerkonflikt zwischen den muslimischen Rohingya und den buddhistischen Rakhine einen Höhepunkt erreichte.
    Seitdem leben wenige Muslime in zwei abgesperrten Straßenzügen, in einer Art Ghetto, das man nur mit Genehmigung betreten darf; während auf der einen Straßenseite strahlende neue Pagoden gebaut werden, verfallen die Moscheen auf der anderen. Wer sich ihnen nähert oder dort filmt, bekommt Ärger.
    Journalisten haben kaum Zugang
    Die meisten Muslime leben jetzt in den Lagern für Binnenvertriebene in der weiteren Umgebung: 120.000 Rohingya sind dort untergebracht, internationale Hilfsorganisationen haben Zugang, Journalisten seit vielen Monaten nicht mehr. Aber als Begleitung der deutschen Parlamentarierinnen Katrin Göring-Eckardt und Renate Künast scheint es möglich – sehr zum Erstaunen von Beobachtern. Die beiden Grünen wollen Bewohner der Lager treffen Und nach mehreren Kontrollposten sitzen sie schließlich in einem Container acht Männern und später drei Frauen gegenüber und hören zu-
    "Seit Juni 2012 leben wir hier, seit sechs Jahren und drei Monaten, seit man uns unsere Häuser angezündet hat", erzählt Abdurrahim. "Meine Familie lebt seit Generationen hier in Myanmar, aber ich habe keine Staatsbürgerschaft, Ich fühle mich nicht wie ein Mensch."
    Weil die Rohingya in Myanmar als illegale Einwanderer aus Bangladesh gelten, sind sie nicht als Staatsbürger anerkannt. Und sie dürfen sich nicht frei bewegen, das Lager nicht verlassen - 6.000 Menschen wohnen hier in provisorischen Behausungen
    "Unsere Gesundheit leidet, unsere Kinder sind schwach"
    70 Menschen in einem Containerhaus, das heißt Krankheiten werden leicht übertragen, Medikamente sind schwer zu beschaffen.
    "Ich habe keine Freiheit", sagt Lar Me. "Wir leben sehr eng, mit acht Leuten in einem Zimmer; auch wenn ich krank bin, darf ich nur in die Stadt und zum Arzt, wenn ich die Wache besteche; man kann also aus dem Lager raus, aber das kostet. Wer schwanger ist, darf ins Krankenhaus in Sittwe, aber mit Sicherheitsbegleitung."
    Resignation und Verzweiflung sind offensichtlich
    Das Lager ist eines der besseren; viele Wege sind asphaltiert – das ist gerade zur Regenzeit wichtig, denn in fast allen Dörfern hier stehen die Wege unter Wasser. Es ist gut ausgestattet, weil es nahe an der Stadt gelegen ist, hierhin werden internationale Besucher gebracht. Und doch sind Resignation und Verzweiflung offensichtlich:
    "Vorher in der Stadt haben alle Bevölkerungsgruppen wie Geschwister zusammengelebt, so friedlich; wir wissen nicht, warum wir hier sind", meint Lar Me. Sie würde so gerne wieder in Sittwe leben können. "Dort hatte ich ein Geschäft mit meinem Mann zusammen, und ein Fischerboot, es war ein gutes Leben."
    Viele andere, die jetzt im Lager zum Nichtstun verdammt sind, hatten Teehäuser, Restaurants, Läden. Hier können sie ein wenig fischen oder Fahrradrikscha fahren und damit umgerechnet 50 Cent im Monat verdienen. Von den 3.000 Kindern können nur 200 zur Schule gehen, für die anderen gibt es keinen Platz.
    "Menschen brauchen gute Bildung", meint Abdurrahim, "aber wir werden diskriminiert und davon ferngehalten."
    Auch von Nachrichten von anderen Rohingya im Norden Rakhines. Ein paar hunderttausend Angehörige der muslimischen Minderheit sollen noch dort leben, aber kaum jemand weiß, wie es dort zugeht und aussieht; der Norden des Bundeslandes ist die Gegend, aus der seit einem Jahr rund 700.000 Rohingya gewaltsam vertrieben wurden. Hunderte starben, viele Dörfer sind abgebrannt oder niedergewalzt, das Vieh verkauft oder gestohlen.
    Wer dageblieben ist, lebt in einer Art Hausarrest. Der Zugang ist streng kontrolliert, die Regierung lässt einmal im Monat ausgewählte Besucher dorthin, nur wenige Hilfsorganisationen sind zugelassen, die erzählen wenig, auch aus Sorge, ihre Arbeit sonst nicht mehr machen zu dürfen.
    Berichte von Morden und Vergewaltigungen
    Auch die UN-Kommission, die in der vergangenen Woche den Generälen Myanmars Völkermord an den Rohingya vorgeworfen haben, bekam für ihre Recherchen keinen Zutritt zum Land. Sie wertete Sattelitenaufnahmen aus, aber vor allem sprach sie mit rund 900 geflohenen Rohingya in den riesigen Flüchtlingslagern in Bangladesh. Deren Berichte sind immer gleich schrecklich: das Militär hat Kinder ermordet, Männer hingerichtet - und massenhaft Frauen vergewaltigt.
    "Das Ausmaß, die Brutalität und systematische Natur der Vergewaltigung und Gewalt zeigen an, dass sie als Strategie eingesetzt wurden, um die Zivilbevölkerung einzuschüchtern, zu terrorisieren oder zu bestrafen; sie wurden als Kriegstaktik benutzt", so ein Kommissionsmitglied.
    Die Regierung Myanmars lehnt den Bericht der Kommission ab – er sei hinderlich für die Arbeit der eigenen unabhängigen Kommission, die Ende August in Myanmar eingetroffen ist. Regierung und Armee haben immer eigene Versionen, zum Beispiel hat die Militärabteilung für psychologische Kriegsführung gerade ein Buch veröffentlicht: Darin sollen Bilder die illegale Einwanderung der Rohingya belegen und deren Gewalt gegen Buddhisten – die verwendeten Fotos stammen allerdings aus Ruanda und Bangladesh oder sie zeigen etwas völlig anderes.
    Die Regierung bereitet angeblich geschützte Dörfer vor, in die die vertriebenen Rohingya zurückkehren sollen – Bangladesh müsse sie nur zurücksenden, betonte Aung San Suu Kyi, de-facto Regierungschefin von Myanmar. Geschützte Dörfer – da klingeln bei den Hilfsorganisationen die Alarmglocken: das bedeute nichts anderes als Lager. Lager wie das, in dem Lar Me oder Abdurrahim leben, ohne Perspektive, ohne Hoffnung.