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Rohstofflager oder Biotop

Die neue Waldstrategie 2020 der Bundesregierung klingt recht optimistisch. Danach geht es dem deutschen Wald gar nicht so schlecht. Er soll es sogar verkraften können, dass künftig sehr viel mehr Holz geschlagen wird. Umweltschützer protestieren gegen eine solch intensive Bewirtschaftung des Waldes.

Von Ingo Wagner |
    Gestern haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Minister die Waldstrategie der Regierung für die nächsten zehn Jahre verabschiedet. Aus Sicht des Bunds für Umwelt und Naturschutz, BUND, ist damit der Fortbestand intakter Wälder mit ihrer ganzen Artenvielfalt gefährdet. Waldexpertin Nicola Uhde:

    "Im Moment beträgt die Holzernte 60 bis 70 Millionen Kubikmeter pro Jahr und wenn man das auf 100 steigern würde, sieht man schon an der Differenz, das wäre eine ganz enorme Steigerung. Damit würde der ganze Holzzuwachs aus dem Wald herausgeholt und die Bodenfruchtbarkeit des Waldes wäre akut gefährdet."

    Das sieht der Präsident des deutschen Forstvereins, Carsten Wilke, etwas anders. Für ihn lässt sich ein stärkerer Holzeinschlag durchaus mit einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung verbinden.

    "Die Fakten sind, dass in Deutschland auf über elf Millionen Hektar Wald jährlich etwa 120 Millionen Kubikmeter Holz zuwachsen. Und wenn dann in der Waldstrategie davon gesprochen wird, dass bis zu 100 Millionen Kubikmeter nachhaltig geerntet werden kann, dann sieht man an diesen Zahlen, dass hier kein Raubbau stattfindet, sondern die nachhaltigen Nutzungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden können."

    Nicola Uhde sieht durch den geplanten stärkeren Holzeinschlag dagegen auch den Kampf gegen das Klimagas CO2 gefährdet. Denn die deutschen Wälder speichern Kohlendioxid, das sonst in die Atmosphäre entweichen würde.

    "Wenn Bäume wachsen, dann binden sie in ihrem Holz Kohlendioxid. Das Kohlendioxid wird durch die Bäume auch langfristig im Waldboden gebunden und nicht nur im Holz. Und wenn ich zuviel Holz aus dem Wald heraushole, dann ist einfach nicht mehr soviel Kohlendioxid gebunden."

    Stimmt so nicht, meint dagegen Carsten Wilke als Präsident des Deutschen Forstvereins:

    "Die Fakten sind, dass Wälder sich verhalten in ihrem Wachstum wie Lebewesen im Allgemeinen. Wenn sie jung sind, wachsen sie rasant und schnell. Und für den Wald heißt das, in dieser Phase kann er sehr viel Kohlendioxid aus der Luft herausnehmen."

    Bei alten oder gar absterbenden Bäumen dagegen sei das Bindungspotential von Kohlendioxid nicht mehr so hoch.

    "Ergo ist die Nutzung von Holz und das Nutzen von Holzgegenständen langlebig in Möbeln oder im Hausbau oder im Parkett ist ein ganz wichtiger Beitrag dieses CO2 dort gebunden zu lassen, es nicht klimaschädlich wirken zu lassen."

    Und die neue gepflanzten, schnell nachwachsenden Bäume würden dann wieder mehr CO2 binden. Daher führt die verstärkte Waldbewirtschaftung und Holznutzung eher zu einem Mehr an Klimaschutz.

    Aber trotz aller Erklärungen von Bundesregierung und deutschem Forstverein: Für die Naturschützer vom BUND ist mit 100 Millionen Kubikmeter Holzernte pro Jahr eindeutig die Grenze zu einer Übernutzung der Wälder überschritten. Der BUND fordert auch zum Schutz vieler Tier- und Pflanzenarten große Teile des Waldes unberührt zu lassen. Gerade abgestorbene Bäume erfüllen im Naturkreislauf eine wichtige Funktion, so die Waldexpertin Nicola Uhde.

    "Ich brauche für die biologische Vielfalt totes Holz im Wald sowohl stehende tote Stämme als auch liegendes totes Holz. Weil es ganz viele Arten von Tieren und Pilzen gibt, die an dieses tote Holz gebunden sind und die nur im Wald überleben können, wenn genügend Holz in diesem Verfallsstadium da ist."

    Die Lösung kann für den BUND nur darin bestehen, einen Teil des Waldes mehr oder weniger streng zu schützen:

    "Deshalb fordert der BUND langfristig zehn Prozent der deutschen Wälder als Urwälder von morgen komplett aus der forstwirtschaftlichen Nutzung zu nehmen, diese Wälder ihrer natürlichen Entwicklung zu überlassen. Mindestens fünf Prozent davon müssen in Großschutzgebieten ihrer natürlichen Entwicklung überlassen werden, da fängt bei einer Größe von 1000 Hektar an, ideal wären mehrere Tausend Hektar."

    Und dazu sollen dann noch mal fünf Prozent in Form von kleineren Naturwaldreservaten hinzukommen. So wäre laut BUND wenigstens in einigen Gebieten das Fortbestehen der meisten hiesigen Tier- und Pflanzenarten gesichert. Absterbende und tote Bäume im Wald zu lassen, um bestimmte Arten zu schützen, das hält auch Forstvereinschef Carsten Wilke in vielen Fällen für durchaus sinnvoll.

    "Wenn wir zu einer fundierten Analyse kommen, dass es bestimmte Lebewesen gibt - und das ist auch so, diese Erkenntnis ist da – die längere Lebenszyklen von Wäldern brauchen, die auch wirklich am Ende von selbst absterbendes Holz brauchen, um überleben zu können, dann werden wir dem Rechnung tragen."

    Aber gleich ein Zehntel des deutschen Waldes nicht mehr bewirtschaf¬ten, geht dem deutschen Forstverein zu weit. Bei Umweltschützern und Förstern kommt die Waldstrategie der Bundesregierung also ganz unterschiedlich gut an – während der Forstverein sie eher positiv sieht, macht sie für den BUND den deutschen Wald zu einem reinen Rohstofflager.